Es war ein dunkler Herbsttag, die Straßen waren nass vom Regen und der Wind wirbelte das Laub durcheinander. Kaum eine Menschenseele war zu dieser späten Stunde noch unterwegs.
Aus den Schatten eine kleinen Gasse heraus beobachtete der Dämon den alten Mann. Er folgte ihn schon eine ganze Weile, nachdem er ihn als sein Opfer, sein „Abendessen“ sozusagen, auserkoren hatte. Mit einer unbändigen Lust auf Menschenfleisch und eine sterbliche Seele war er aus den tiefen der Höllenkreise in die Welt der Sterblichen aufgestiegen, und er hatte nicht vor, diese Lust ungestillt zu lassen.Im Gegensatz zu den meisten seiner dämonischen Verwandten die es meist auf junge Weibchen abgesehen hatten, bevorzugte er ältere Exemplare. Alt nach Maßstäben der Menschen, denn was waren 70, 80 oder 100 Jahre für einen mächtigen Höllendämon wie ihn, der theoretisch ewig sein Unwesen treiben konnte und es auch schon seit Jahrhunderten tat. Aber er mochte reiferes Fleisch und eine Seele, die viel vom Leben gesehen hatte.
Der Mann, den er auserwählt hatte, musste um die 80 Jahre alt sein, er ging gebeugt auf seinen Gehstock gestützt die Straße hinab. Die Regentropfen tropften von seinem Schlapphut und seinem dunklen Mantel herunter und der Herbstwind zerzauste im den langen weißen Bart. Offensichtlich hatte er noch nichts von seinem höllischen Verfolger bemerkt, er zeigte kein bisschen Beunruhigung oder Nervosität. Ungewöhnlich, aber um so besser, dachte der Dämon, die Überraschung verlieh seinen Mahlzeiten immer eine ganz besondere Note.
Er betrachtete sich als Ästhet, der seine Opfer nicht einfach zerriss wie viele seiner primitiven Mitdämonen. Nein, er bevorzugte es, seiner Mahlzeit langsam und stilvoll die Haut von den Knochen zu schälen und ihnen die Eingeweide langsam eins nach dem anderen herauszuziehen und diese genüsslich vor den sterbenden Augen des armen Menschleins zu verschlingen.
Elegant begann der Dämon sich dem Mann zu nähern, langsam von Schatten zu Schatten gleitend, dabei verstörende Laute ausstoßend, die herrlich mit dem Herbststurm disharmonierten, kam er näher und näher. Der alte Mann stoppte, hob den Kopf und lauschte. Die Vorfreude und der Appetit des Dämons stiegen ins unermessliche. Mit einer plötzlichen, irrealen Bewegung löste er
sich aus den Schatten: doppelt so groß wie ein erwachsener Mann, gehörnt, die Haut blutrot und pulsierend und mit messerscharfen Zähnen und Klauen! Allein der Anblick des Dämons hatte Menschen tot umfallen lassen. So erschien er vor dem alten Mann, aber als dieser ihn sah, fing der Alte leise an zu lachen.
Der Dämon war irritiert, solch eine Reaktion hatte er noch nie erlebt. Ab und an waren seine Opfer aufgrund seines Anblicks Wahnsinnig geworden, aber dieses Lachen klang anders. Es war leise, aber gleichzeitig klang es wissend, uralt und drohend. Das Höllenwesen glaubte auch eine langsam fortschreitende äußerliche Veränderung bei dem alten Mann zu bemerken. Plötzlich wurde größer, Mantel und Bart länger. Sein einfacher Gehstock streckte und wand sich in der faltigen Hand und die vorher grauen Augen wurden schwarz wie die Nacht.
Leise sprach der Alte: „So spät noch unterwegs, kleiner Dämon? Auf der Suche nach einem leichtem Opfer, wie? Ich bedaure es sehr, dich enttäuschen zu müssen, aber aus deiner Mahlzeit wird nichts werden.“
Wieder dieses Lachen. Der Dämon begann etwas zu empfinden was er bis dahin nie gekannt hatte: Angst! Unfassbar große Angst stieg in ihm auf, verursacht von dem alten Mann, seinen Worten, seinen Gesten, seiner puren Ausstrahlung!
Der Alte hob langsam seinen jetzt sanft glühenden Stab, wodurch ein merkwürdiges Gefühl sich in dem Höllenwesen ausbreitete. Er fühlte sich, als würde jedes kleinste Teil seines dämonischen Körpers in eine andere Richtung gezogen.
Das fahle Licht, das vom Stab des Mannes ausging, begann sich über den Leib des Dämonen auszubreiten, das Zerren und Reißen wurde stärker und stärker.
Der Dämon fühlte seine ganze Kraft schwinden und er stellte erschrocken fest, dass er vollkommen machtlos gegen das war, was gerade geschah.
„Du warst leider zur falschen Zeit am falschen Ort, kleiner Dämon.“, sprach der alte Mann und schwenkte seinen Stab mit einer schnellen Bewegung plötzlich zur Seite. Mit einem lauten Knall, der Regen und Sturm mit Leichtigkeit übertönte, wurde der einige Meter über dem Boden schwebende Dämon in tausende
kleine Fetzen zerrissen, die vom Wind in alle Richtungen geweht wurden.
Der Alte, jetzt wieder gebeugt und auf einen einfachen Gehstock gestützt, drehte sich um, ging leise schmunzelnd davon und dachte sich:
„Diese Höllenviecher glauben sich heutzutage auch alles erlauben zu können!“
Comments (0)
See all