Prolog (Damahir POV)
„Ich finde, man sieht dem Bild deutlich an, wie sich der Künstler gegen die Konsumgesellschaft auflehnt. Finden Sie nicht auch?“ Der ältere Herr in einem Anzug, so teuer, dass sich andere ein Auto dafür hätten leisten können, deutete auf das abstrakte Gemälde vor ihnen an der Wand.
„Oh, ja, in der Tat.“ Damahir, der für seinen Gesprächspartner als „Damien Pierce“ bekannt war, lächelte charmant und folgte dem Fingerzeig. „Ein deutlicheres Statement hätte er wohl nicht setzen können.“ Ja – ein deutlicheres Statement dafür, wie idiotisch die Menschheit war. Egal, wie sehr er sich bemühte, aus diesem Bild ließ sich gar nichts anderes interpretieren als eine Vergewaltigung der Kunst.
Er würde darauf wetten, dass der vermeintliche Künstler schlichtweg mehrere Becher mit Farbe aus unterschiedlichen Winkeln über das Bild gekippt hatte. Dazu ein paar Farbspritzer mit einem benutzten Pinsel und schon fand sich ein Idiot mit zu viel Geld, der sich freute, vor jemanden mit seinem vermeintlichen Wissen angeben zu können. Das könnte er auch, aber er würde nicht behaupten, dass das Kunst war.
„Ich muss schon sagen, Sie haben wirklich ein Gespür für Kunst, Mr. Walton.“ Damahir lachte. Wenigstens hatte diese Art von Mann ein sehr berechenbares Ego, das sich nach der Anerkennung und Komplimenten anderer stets verzehrte.
„Nun, das liegt daran, dass ich mich stets nur in den besten Kreisen bewege und schon seit langem ein Kenner der Kunst bin, Mr. Pierce. Ich bin mir sicher, Sie werden noch ein ähnliches Auge für Details entwickeln.“
Hoffentlich nicht. Wenn das die Art von Blick fürs Detail war, die er hier entwickeln würde, könnte er wohl blind einen besseren Geschmack besitzen. Dennoch gab sich Damahir wohlwollend und charmant, wie die Situation es verlangte. Was tat man nicht alles für den Job?
Selbst wenn man sich mit so manchem Idioten darüber unterhalten musste, wie überaus brillant er war, musste man es mit Würde ertragen. Mr. Walton war nur ein kleiner Fisch in diesem riesigen Teich von Veranstaltung. Aber auch kleine Fische wollten gefüttert werden, damit Sie den Haken nicht spürten, der sich unwiderruflich in ihren Gaumen grub.
Als Mr. Walton sich entschuldigte, um einen anderen Geschäftskontakt zu begrüßen, nutzte Damahir die Gelegenheit, um sich etwas von der abstrakten Kunst loszulösen. Wieso nur tat er sich eine solche Gala an? Es wäre etwas Anderes, wenn die Kunst hier wenigsten interessant wäre. Oder sich zumindest einige Aktgemälde unter den Ausstellungsstücken befänden. Aber so?
Das hatte er davon, dass er seine ausstehenden Aufgaben nicht fristgerecht erledigt hatte. Lyras konnte selbst zu seinen eigenen Freunden ein regelrechter Sklaventreiber sein, wenn er es darauf anlegte. Nächstes Mal, so nahm er sich vor, würde er nichts liegen lassen, das Lyras als Vorwand benutzen konnte, um ihn noch einmal in solch ein kulturelles Loch zu entsenden.
Damahir unterdrückte ein Seufzen, streifte durch die einzelnen Gänge der Ausstellung und hielt dabei nach weiteren Geschäftspartnern Ausschau, mit denen er ein Smalltalk betreiben sollte. Es gab eine ganze Liste an wichtigen Persönlichkeiten, mit denen er heute Kontakt knüpfen sollte. Wo also hatten sich die Damen und Herren versteckt?
Die gesamte Gala war ein Charity-Event der wichtigen Persönlichkeiten in Washington D.C. – und jener, die sich für wichtige Persönlichkeiten hielten. Unterschiedlichste Stücke von verschiedenen Künstlern waren als Spenden zusammengetragen worden. War nicht sogar eine Versteigerung für einige Stücke für den guten Zweck angesetzt? Er erinnerte sich vage daran, etwas Derartiges gelesen zu haben. Auch wenn er nicht nachvollziehen konnte, wie jemand dafür überhaupt Geld ausgeben wollte. Obwohl der größte Teil der Kunst abstrakt ausfiel, gab es vereinzelte Ausreißer.
Er passierte Stillleben und Landschaftsgemälde, während er einen Blick zu dem angerichteten Buffet warf. Diverse Köstlichkeiten unterschiedlichster Preisklassen reihten sich adrett aneinander, damit die Spitze der Gesellschaft sie genießen konnte. Der große offene Saal, der den Gängen mit den unterschiedlichen Gemälden gegenüberstand, bot genügend Raum für viele Menschen.
Entsprechend voll war es in dem Gedränge, aber wenigstens hatte man die Presse nach draußen verbannt. Bis auf einzelne Fotografen einer örtlichen Zeitung, die offiziell berichten durften, war es nicht erlaubt auf der Veranstaltung zu fotografieren. Die gehobene Gesellschaftsschicht liebte die Geheimniskrämerei um ihre ach so herrlichen Kunstwerke.
Wer die frische Nachtluft genießen wollte, konnte sich auf den großen Balkon nach draußen begeben. Womöglich würde noch so manche wichtige Unterhaltung fernab der restlichen Meute dort geführt werden. Bisher sah Damahir jedoch niemanden, der sich als neuer Gesprächspartner anbot.
„Damien?“ Einer der Servierer hielt ihm ein Tablett mit diversen Sektgläsern entgegen. „Kann ich dich noch für einen weiteren Drink begeistern, bevor du deine Zeit wieder verschwenden musst?“
Damahir grinste, griff nach dem Sektglas und zwinkerte dem jungen Mann zu, während er es betont langsam an die eigenen Lippen setzte. „Du weißt, dass du mich noch für eine Menge anderer Dinge begeistern könntest, Matt. Aber ich fürchte, heute bin ich zum Arbeiten hier.“ Der angenehme Geruch, den der Schönling verströmte, fing sich in Damahirs Nase. Wie gerne hätte er dieser Versuchung nachgegeben, wo sie ihn so auffordernd lockte. Doch er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren.
„Ein Jammer.“ Der junge Mann lachte und zwinkerte zurück. „Vielleicht erwische ich dich ja beim Feierabend?“
„Ja, vielleicht“, raunte Damahir zur Erwiderung. Er hätte sich viel lieber mit dem jungen Mann oder einer seiner fleißigen Kolleginnen unterhalten. Bedauerlich, dass er nicht zum Vergnügen hier war. Wäre das hier nicht eine wichtige Aufgabe, hätte er es auf eine unterhaltsame Unterbrechung ankommen lassen. Mit einem letzten Blick, der nicht Matts Rücken galt, setzte Damahir seine Suche fort. Was er fand war jedoch weder ein neuer Gesprächspartner noch eine weitere intensive Bekanntschaft.
„Das darf doch nicht wahr sein.“ Sein Blick fiel auf ein weiteres Gemälde, das sich von anderen Stücken, die er zu sehen bekommen hatte, deutlich abhob. Das lag nicht nur daran, dass es sich um eines der seltenen Bilder eines Künstlers handelte, der in Washington D.C. in aller Munde war. Auch nicht daran, dass es im Gegensatz zu all der abstrakten Lächerlichkeit tatsächlichen Inhalt zeigte.
Auf der Leinwand vor ihm waren zwei Babys dargestellt, die auf in Kristallen abgelegt wurden, welche sich im Kontakt mit den beiden Kindern schwarz zu verfärben begannen. Der Farbverlauf war gut erkennbar, ebenso die Dynamik der Kristalle. Sie waren in einem Halbkreis zueinander angeordnet, der sich außerhalb der Perspektive des Bildes fortzuführen schien.
Dazu wirkte es, als hätte jemand in Teile jener Kristallformationen ein Becken geschlagen, in das sich die Kinder hineinlegen ließen. Jene Kristallstufen, die die beiden Babys zeigten, wirkten als würden sie gespiegelt zueinander stehen. Mit dem Rücken zum Betrachter zeigten sich zwei Männer, deren Konturen gewiss nicht zufällig so ausfielen, wie sie auf diesem Bild dargestellt worden waren.
Es war nicht möglich, dass das hier auf einem von Menschenhand gemalten Werk zu sehen war. Bildete er sich das ein? Nein. Die Details waren zu eindeutig, als dass es sich um einen reinen Zufall handeln könnte. Damahir griff nach seinem Handy, trat von dem Ausstellungsstück weg und begab sich auf den Balkon der Veranstaltung, um einen möglichst ruhigen Ort für sein Telefonat zu finden. Er musste die anderen informieren.
Comments (3)
See all