Ein Bild mit zwei Geschichten Teil 1 (Nathayen POV)
Mein Handy klingelte. Amüsiert betrachtete ich den Namen auf dem Display, bevor ich den Anruf entgegennahm. Dieses Mal schien seine Geduld ihn noch früher verlassen zu haben, als ich erwartet hatte. „Na, Dam? Hältst du es bereits nicht mehr auf der Gala aus? Das muss ein neuer Rekord sein.“
Ein Seufzen kam mir aus dem Hörer entgegen. „Nein, Nate. Deswegen rufe ich nicht an. Es ist etwas Wichtiges.“
„Etwas Wichtiges?“ Mein Grinsen war gewiss an meiner Tonlage zu hören. „Wie ist sein oder ihr Name?“
„Nein, etwas wirklich Wichtiges!“ In Dams Stimme schwang ein ernster Unterton mit, der für ihn untypisch war. Meine Augenbraue wanderte nach oben. Was war nun passiert? Hatte er jemanden versehentlich vom Balkon gestoßen?
Musste ich eine Leiche verschwinden lassen? So viel zu meinem geplanten abendlichen Training mit entspannendem Bad zum Abschluss. „Ok, was hast du angestellt?“
„Nichts, aber es gibt ein Bild hier, dass du dir unbedingt ansehen musst. Komm zur Gala, ich muss Lyras und Ju noch Bescheid geben.“ Dams Seufzen wurde lauter, es klang jedoch zu frustriert, um lohnenden Eroberungen zu gelten.
Was um alles
in der Welt hatte er bei der Gala entdeckt, dass er uns alle dorthin bestellen wollte?
„Schön, ich komme. Aber ich schwöre dir, wenn das eine Racheaktion wegen der
Veranstaltung ist, hängst du mit dem Kopf voran vom höchsten Gebäude, dass ich
finden kann.“ Ich schnaubte amüsiert und legte auf, bevor ich eine Erwiderung
hören konnte.
Mit einem Sprung vom Sofa landete ich auf meinen Füßen, um mich ausgiebig zu strecken. Meine Wohnung stellte eine teure Luxusimmobilie inmitten von Washington D.C. dar, die ich schlichtweg möbliert gekauft hatte. Sie verfügte über ein Schlafzimmer und ein Gästezimmer mit jeweils einem eigenen Bad, ein Wohnzimmer, eine Küche und einen kleinen Flur, der alle Räume miteinander verband.
Ein Wohnort war wichtig, aber da ich nie vorhatte mich dauerhaft in der Menschenwelt aufzuhalten, hatte ich mir bei der Einrichtung des Ortes keine Mühe gegeben. Nicht ein einziger privater Gegenstand, der nicht dem Gebrauch diente, fand sich darin. Man hätte meinen können, ich wäre gestern erst eingezogen, da alle Räume stets wirkten wie aus einem Angebotskatalog für Immobilien.
Es dauerte nicht lange, mich für die Veranstaltung vorzubereiten. Die teuren Anzüge hingen allzeit bereit in meinem Schrank und da ich mein Trainingsprogramm noch nicht begonnen hatte, war ein Duschen davor nicht notwendig. Ich stellte sicher, dass meine langen Haare glatt über meinen Rücken fielen. Es irritierte mich noch immer, auf das schwarze Haar zu starren, dass normalerweise einen veilchenfarbenden Farbton besaß.
Auch die helle Haut, der ihr gräulicher Teint fehlte, war etwas, an das ich mich so schnell nicht gewöhnen würde. Ich strich mir eine der dunklen Haarsträhnen hinter das Ohr zurück, dessen Spitzen ich der Menschen wegen verbogen hatte. Alles Maßnahmen, die notwendig waren, damit wir uns in dieser Welt unbeachtet unter das Volk mischen konnten. Dennoch fühlte sich auch nach so viel Zeit in menschlichen Gefilden die Person im Spiegelbild fremd für mich an.
Ich legte eine der Rolex an, die für solche Anlässe erworben hatte. Wieso die Spitze dieser Gesellschaft so viel Wert auf nutzlose Gegenstände als Statussymbol legte, würde ich wohl nie verstehen. Doch wer sich in diesen Kreisen unauffällig bewegen wollte, musste sich einem gewissen Bild anpassen.
Danach nahm ich meinen Sportwagen, um zum Ort des Geschehens zu fahren. Ich nutzte den Parkservices der Veranstaltung, damit ich mich nicht selbst mit der Suche nach einem Parkplatz herumärgern musste. Wenigstens ein gutes bei solchen Events: Man hatte für allerlei nervige Aufgaben Personal.
Wie es so schwer sein konnte, ausreichend Stellfläche für Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, entzog sich meiner Kenntnis. Eine der vielen Fragen, auf die sich eine Antwort in dieser Stadt nicht finden ließ. Ob sie jemand kannte? Letztlich musste ich es als menschliche Unfähigkeit verbuchen.
Damahir wartete bereits nahe dem Eingang. Nur wer ihn kannte und genau hinsah, bemerkte, dass seine Schultern sich unter dem Anzug stärker angespannt hatten. Was auch immer vorgefallen war, schien ihn tatsächlich zu irritieren. Bisher hatte ich es für einen seltsamen Scherz unseres Gruppenküken gehalten, aber womöglich steckte hinter diesem Anruf ein realer Grund.
Sein Bruder Juliel sowie meine rechte Hand Lyras waren längst zugegen. Die drei hoben sich von der restlichen Menge ab. Es war schwer zu sagen, ob es daran lag, dass die Menschen instinktiv spürten, dass etwas an uns anders war.
So wie Dam dort stand, die braunen Haare locker um die Schultern fallend und mit hellgrünen Augen, die mir wachsam begegneten, wunderte es mich, dass er niemanden zum Flirten in seiner Nähe behalten hatte.
Lyras trat wie üblich professionell auf, so wie ich es von ihm kannte. Sein blondes
Haar und die braunen Augen waren ein Anblick, der ebenso wenig zu seiner wahren
Erscheinung passte wie meine Tarnung zu mir. Dennoch war er selbst in einer
menschlichen Gestalt ein Blickfang, nachdem sich einige Menschen umdrehten, nur
um dann bei einem seiner kühlen Blicke sofort den Kopf herumzureißen, als
hätten sie ihn niemals angestarrt.
Juliel wäre von uns allem wohl am ehesten in der Menge verschwunden. Das lag jedoch nicht an seinem Äußeren, da seine Erscheinung nicht minder imposant wirkte als bei uns allen. Seine Schultern mochten nicht ganz so breit wie die meinen sein, aber neben seinem jüngeren Bruder machte er damit dennoch eine gute Figur. Die kurzen schwarzen Haare und dunkelgrüne Augen, die er hier präsentieren musste, wurden seinem wahren Antlitz jedoch ebenso wenig gerecht wie bei uns allen.
Was ihn dazu befähigte, unsichtbar inmitten eines Raumes zu werden, war seine ruhige Art, die ihn schnell aus dem Fokus nahm. Er konnte mit dem Hintergrund verschmelzen ohne, dass jemand realisierte, dass er noch immer zugegen war. Zumindest für Wesen, deren Sinne so unempfänglich waren wie bei Menschen. Ju nickte mir zur Begrüßung zu, sobald ich die Gruppe erreicht hatte.
„Dann sind wir ja vollzählig“, stellte ich fest, sah zu Dam herüber und bedeutete ihm, das Wort zu ergreifen. „Also, was verdanken wir den Anruf?“
„Hier entlang.“ Dam führte uns durch die verschiedenen Gänge an Gemälden, die ich keines Blickes würdigte. Ich wusste nicht, womit ich gerechnet hatte. Irgendeine Verschwörung, die im Gange war? Ein öffentlicher Angriff auf unser Unternehmen? So mancher Gedanke war mir gekommen, aber ich hatte nicht erwartet, letztlich vor einem Gemälde zu stehen. „Seht ihr, was ich meine?“ Dam deutete auf das Bild vor uns, dass dem metallenen Schild zufolge von einem Jonas Krewood stammte.
Lyras murmelte ein leises „Interessant“, während er das Bild studierte.
Ja, ich konnte genau erkennen, worauf Dam angespielt hatte. Das konnte kein Zufall sein, die Details waren zu tiefgründig. Ich fing Lyras bedeutsamen Blick auf, der mir zu verstehen gab, dass er es ebenso interpretierte wie ich. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie auch Juliel nickte, um die allgemeine Vermutung im Raum zu bestätigen.
Lyras zückte sein Scheckbuch und reichte es an Dam weiter. „Kauf es, alles weitere im Büro.“
„Verstanden.“ Dam nickte, während Lyras die Veranstaltung verließ, nachdem aus seinen Augen alles Notwendige in diesem Moment getan war.
„Ist es das einzige Bild dieser Art hier?“, hakte ich nach.
„Das Einzige, was ich gefunden habe, ja. Während ich auf euch gewartet habe, habe ich mich umgesehen“, versicherte Dam mir.
Nun, zumindest gab es damit keine weiteren Überraschungen, die auf dieser Gala warteten. „Gut. Wir sehen uns im Büro.“ Ich nickte Damahir und Juliel zum Abschied zu und wandte mich selbst zum Gehen. Auch wenn mich das Thema brennend interessierte, gab es vorerst nichts, dass ich vor Ort tun konnte. Es brauchte keine zwei Personen, um auf ein Bild zu bieten und wenn ich Dam nicht zugetraut hätte, ein Gemälde allein zum Zielort zu schaffen, wäre er auf unserer Mission falsch.
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