Meet and Greet Teil 4 (Nathayen POV)
Das Wohngebäude, das wir erreichten, sprach von einem finanziell gut gestellten Besitzer. Sein modernes Design mit den flachen Dächern und den weißen Außenwänden interessierte mich weniger als die Größe und Sicherung des Grundstücks. Hier lebte jemand, der mit ungewollten Eindringlingen rechnete. Ich konnte nicht alles im Detail erkennen, da die Jalousien über den Fenstern geschlossen waren, aber ich war mir sicher, dass auch sie über entsprechend stabiles Glas verfügten. Vermutlich Panzerglas, nachdem er betont hatte, in seinem Geschäft misstrauisch zu sein.
Ich ließ ihn die Tür aufsperren, betrat jedoch vor ihm das Gebäude. Die Haustür öffnete uns den Zugang zu einem Treppenhaus, von dem gleich mehrere Türen abgingen. Die meisten von ihnen interessierten mich jedoch nicht, da meine Nase gleich den Geruch von Farben und Lösungsmitteln zu unserer Linken wahrnahmen. Wenn es ein Bild zu finden gab, musste es in diesem Raum sein.
„Das ist definitiv kein Stillleben“, kommentierte Damahir, dessen Blick auf eine Kohlezeichnung im Flur gefallen war. Sie zeigte einen Krieger mit dem Rücken zum Betrachter in einer Kung-Fu-Pose. Alles war sehr detailliert und hochwertig ausgearbeitet. Der Moment des Sprunges war authentisch eingefangen, als hätte der Künstler ihn selbst erlebt. Ich wusste nicht, ob eine Verbindung zwischen dem Winzling und Kampfsport bestand. Es interessierte mich auch keineswegs. Die Position von Beinen und Fäusten im Sprung war dennoch gut getroffen und sprach davon, dass der Schöpfer dieses Werkes etwas von Kämpfern verstanden hatte.
„Halbnackte Männer kann er zeichnen“, befand Dam.
Wenn dieses Bild denn vom Hausbesitzer stammte. Dass es im Hausflur hing, ließ allein noch nicht darauf schließen. Doch ich machte mir nicht die Mühe, das mit Damahir auszudiskutieren. Viel lieber betrat ich den verdächtig riechenden Raum, gefolgt von Lyras, dem Bewohner und schließlich den Brüdern.
Ich musste zugegeben, der Architekt hatte sich große Mühe gegeben, ein geeignetes Atelier zu zaubern. Gleich drei der vier Wände waren vollständig verglast. Selbst die Decke über uns hatte man mit ausreichend Fenstern versehen, um Tageslicht in den Raum hineinzulassen. Zum jetzigen Zeitpunkt waren die Jalousien geschlossen, sodass kein Licht von draußen hineindrang. Dafür hatten sich mit unserem Betreten das Raums gleich mehrere Lampen per Bewegungsmelder aktiviert, die ich für Tageslichtlampen hielt. Der Zwerg zeichnete folglich auch, wenn das Sonnenlicht nicht mehr zur Verfügung stand. Neben einem Tisch mit diversen Malutensilien, die ich nur begrenzt zuordnen konnte, fielen vor allem die fertigen Gemälde ins Auge, die man säuberlich aufgereiht hatte.
Mein Blick wurde sofort von einem bestimmten Bild im Raum angezogen. Es zeigte einen Wohnort, der nicht aus der Menschenwelt stammte. Eine Stadt, die mitsamt der Landschaft, auf der sie stand, unterzugehen schien. Spätestens jetzt bestand kein Zweifel mehr daran, dass wir auf der richtigen Fährte waren. Wie wahrscheinlich war es sonst, dass er gleich zwei Kunstwerke angefertigt hatte, die über derart wichtige Ereignisse von Sotarineo berichteten?
„Ich denke wir haben unseren Künstler gefunden“, merkte ich an, während ich den Zwerg fixierte. „Wer ist dein Informant?“ Wir hatten lange genug umeinander getänzelt. Zeit, dass der Wicht mit der Sprache herausrückte. Ich deutete mit dem Finger auf das Gemälde, wollte ihm bewusst werden lassen, dass er sich nicht mehr länger herausreden konnte.
Doch anstatt sich seinem Schicksal zu fügen, folgte der Winzling meinem Fingerzeig, wirkte irritiert dabei. Spielte er die Überraschung nur vor? Bei dem bisherigen Schauspieltalent, das er enthüllt hatte, war das im Rahmen des Möglichen.
„Entschuldigung?“, entgegnete der Wicht. Er machte einen Schritt auf das Bild zu. „Mir ist nicht klar, was sie da hereininterpretieren, aber dieses Bild ist meiner Fantasie entsprungen. Ich male grundsätzlich nicht nach Auftrag.“
„Sicher. Es ist ein reiner Zufall, dass gleich zwei auffällige Gemälde von demselben Künstler auftauchen.“ Ich schnaubte. Nachdem ich bereits gesehen hatte, wie gut sein Pokerface ausfiel, war ich spätestens jetzt überzeugt, er versuchte sich aus der Situation zu lügen. „Ich frage dich noch einmal. Wer ist dein Informant?“
„Wie bereits erwähnt, ist das Bild von mir. Es zeigt eine Fantasiestadt im Untergang. Gerne können Sie dies symbolisch als Kritik am Kapitalismus sehen. Auch als Vergänglichkeit von großen Zivilisationen. Aber mehr hat es damit nicht auf sich“, beharrte der Zwerg. Welchen Sinn hatte es an diesem Punkt noch stur zu sein? Nun gut, dann würden wir härte Methoden anwenden müssen.
„Du willst es also unbedingt ungemütlich.“ Ich tauschte einen Blick mit den anderen aus. „Du hattest deine Chance.“
Dam ließ die Fingerknöchel begeistert knacken, während Juliel sich hinter dem Zwerg positionierte.
„Darf ich?“ Er war die gesamte Zeit über schon heiß darauf, den Winzling das Fürchten zu lehren.
Allerdings hatte der Mensch nicht vor, sich schlichtweg verprügeln zu lassen. Er holte mit einem eigenen Schlag nach Dam aus, den das Gruppenküken grinsend in der eigenen Handfläche fing. „Netter Versuch, Kleiner. Ich zeig dir gleich, wie ein richtiger Schlag funktioniert.“
Juliel nutzte die Gelegenheit und packte seine Handgelenke von hinten, um seine Hände auf den Rücken zu zerren. Zeitgleich trat er dem Winzling in die Kniekehlen, um ihn auf den Boden zu bringen.
Ich schmunzelte über die schnelle Wendung der Situation und verfolgte, wie Dam ihm zwei kräftige Schläge verpasste. Der Wicht schien jedoch nicht bereit, aufzugeben, obwohl Dam ihm eine blutige Nase verpasst hatte. Stattdessen spuckte er das Blut vor Damahir auf den Boden und lächelte mir entgegen. Der Trotz aus seinen Augen sprang mir förmlich ins Gesicht. „Damit erreicht ihr bei mir gar nichts!“
„Tja, wenn das nicht hilft, müssen wir dir eben einige Knochen brechen. Fangen wir mit den Fingern an!“
Noch bevor Dam dazu übergehen konnte, bedeutete Lyras ihm innezuhalten. „Denkt an seinen Herzschlag.“ Lyras‘ Blick begegnete meinem. Ich konnte mir denken, worauf er hinaus wollte. „Solange wir keine Möglichkeit haben die Veröffentlichung zu verhindern dürfen wir kein Risiko eingehen.“
Ich nickte zustimmend und wandte mich an Juliel.
„Wir müssen auf die Magie zurückgreifen, es geht nicht anders“, entschied ich. Juliel nickte und schloss die Augen, um sich gedanklich auf den Menschen zu fokussieren. Sicherlich war der Prozess für den Menschen unangenehm, aber er hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass es so weit gekommen war. Hätte er uns die Wahrheit gesagt, hätten wir keinerlei Magie darauf verschwenden müssen.
Wir warten geduldig, bis Juliel die Stimme erhob. Vier Wörter, die leise geraunt nicht lauter im Atelier hätten widerhallen könnten. „Er hat keinen Informanten.“
In diesem Augenblick zersprangen die Fenster um uns herum.
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