Haustier Teil 1 (Nathayen POV)
Eines musste man dem Winzling lassen: Er hatte verstanden, wann er auf verlorenem Posten kämpfte. Ich hatte damit gerechnet, dass er in Myros Wohnung einen Fluchtversuch unternehmen könnte, aber er riskierte es nicht. Entweder er ahnte, dass er uns dabei nicht wirklich entkommen konnte oder er wusste, dass wir ihn ebenso schnell aufspüren würden, wie wir es beim ersten Mal vollbracht hatten.
Wir beschäftigten uns während der Fahrt nicht übermäßig mit ihm. Wozu auch? Wir hatten dringlichere Angelegenheiten zu klären, wie die Frage, was in Wahrheit geschehen war. Wie passte es zusammen, dass diese Gemälde entstanden waren, ohne dass es einen sotarineonischen Informanten gab?
Nicht zu vergessen, dass bald unser nächster Bericht fällig war. Der Rat würde hören wollen, welche Fortschritte wir in der Menschenwelt erreicht hatten. Wie sie auf unsere neusten Erkenntnisse reagieren würden, war ungewiss. Zumal wir selbst nicht genau sagen konnten, was wir unter den Menschen eigentlich gefunden hatten, aber ich vertraute Juliels Fähigkeiten. Wenn er mir sagte, dass der Winzling seine Informationen nirgendwoher bezog, musste es die Wahrheit sein. Aber was bedeutete es für uns, für unsere Operation? Es gab so vieles, das wir noch nicht mit Sicherheit sagen konnten und angesichts der Tatsache, dass wir uns bald für jeden unserer Schritte vor den kritischsten Blicken rechtfertigen mussten, gefiel mir diese Situation überhaupt nicht. Vorerst konnte ich jedoch wenig daran ändern, es blieb uns nur, diesem Phänomen persönlich auf den Grund zu gehen.
Das Lagerhaus empfing uns mit der üblichen Erscheinung. Der Stuhl mit der Plastikplane war noch immer bereit für seinen Einsatz, weshalb ich einen neugierigen Blick auf unseren neuen Gast warf.
„Willkommen in deinem vier-Sterne-Hotel.“ Dam grinste und deutete auf einen der Metall-Container, der im Raum stand. Juliel öffnete die Tür und offenbarte darin ein Feldbett, ein Waschbecken und eine Toilette. Wir hatten schlimmere Unterbringungsmöglichkeiten als diese, aber bisher gab es keinerlei Grund, den Zwerg schlechter zu behandeln.
„Hey, Jonas!“ Dam schlug mit der Hand gegen den Container direkt neben dem zukünftigen Zuhause des Wichts. „Steh auf, wir haben dir deinen Freund mitgebracht!“ Dank Dams Schläge ertönte ein panisches Geschrei von Krewood aus dem Inneren.
Er wandte sich sichtlich zufrieden zu unserem Künstler um und hielt inne.
„Wie heißt du eigentlich, Zwerg?“
Stimmt, jetzt wo er es erwähnte, hatte sich niemand von uns die Mühe gemacht, ihn nach seinem Namen zu fragen. Der Winzling warf Dam einen angewiderten Blick zu.
„Fühlst du dich nur stark, wenn du schwächere schikanieren kannst?“, fragte er, während er sich seine Unterkunft besah. „Zwerg reicht völlig.“
Damahir hob eine Augenbraue an. „Ist doch noch nicht meine Schuld, dass er schwach ist. Dich schikaniere ich auch, du heulst deswegen nur weniger herum.“ Er zuckte mit den Schultern. Angegriffen fühlte er sich dadurch keineswegs. Ich schnaubte amüsiert. Wenn der Mensch glaubte, er könnte uns mit seinen Moralvorstellungen in Schranken weisen, mussten wir ihn enttäuschen. Warum sollten wir uns wegen menschlicher Maßstäbe zurückhalten?
Der Winzling erwiderte nichts darauf, sondern stieg widerstandslos in den Container, um sich auf dem Bett niederzulassen. „War’s das?“, wollte er wissen.
Ich schmunzelte und musterte ihn amüsiert. „Ist er nicht gut erzogen? Ich glaube ich behalte ihn. Könnte ein nützliches Haustier abgeben.“ Zumindest, wenn sich herausstellt, dass seine Bilder noch irgendeinen tieferen Nutzen für uns haben könnten. Wir hatten bereits Verwendung in so manchem niederem Volk gefunden. Wenn sich abzeichnete, dass es bei Menschen ähnlich war, würde ich mir eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Zuerst lachte der Zwerg als hätte ich einen Witz erzählt, bevor er mir vor die Füße spuckte und demonstrativ den Rücken zuwandte. Ich grinste bei dieser offensichtlichen Provokation.
„Korrigiere: Ich behalte ihn definitiv.“ Etwas sagte mir, dass ich mich noch hervorragend mit ihm amüsieren konnte. Seine widerspenstige Art versprach ein erfrischender Kontrast zu der Folgsamkeit anderer Völker zu werden.
Bevor ich die Tür schloss, warf Lyras ihm einen Block und Stift direkt vor seine Füße. „Zeichne mehr deiner Bilder.“ Ich wartete nicht auf eine weitere Erwiderung, sondern schlug die Tür des Containers demonstrativ zu. Jonas schlotterten sicherlich wieder die Zähne deswegen.
„Einige Stunden für solche Bilder sollten wohl genügen. Ich sehe später nach ihm und füttere ihn. Vielleicht.“ Wenn er etwas geliefert hatte, waren wir hoffentlich klüger, was diese seltsame Gabe betraf. Für den Augenblick hatte jeder von uns besseres zu tun, als sich weiter mit ihm auseinanderzusetzen.
„Letztlich können wir wohl froh sein, dass es nur ein seltsamer Mensch war und kein Verräter Informationen ausgespuckt hat.“ Ich seufzte gedehnt und ließ meinen Nacken knacken. Juliel nickte.
„Trotzdem seltsam. Ich meine, dass ein Mensch überhaupt so etwas kann, wirkt weit hergeholt“, stellte Dam fest. „Aber da Ju direkt in seinem Schädel war, können wir uns wohl sicher sein, dass es stimmt.“
Ja. Aber die wahre Frage daran war, was das für uns und unsere Operationen bedeuten würde.
„Wir werden sehen“, stellte Lyras fest. Ich hatte instinktiv das Gefühl, dass dieses Mysterium uns noch lange Zeit beschäftigen würde.
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