Haustier Teil 2 (Nathayen POV)
Nachdem die akute Gefahr erfolgreich gebannt worden war, fuhr Lyras zurück in sein Büro, um sich um das Tagesgeschäft zu kümmern.
„Musst du wieder los?“, hakte Dam bei Juliel nach, der nur nickte. „Ein Jammer, dass du so viel Zeit damit verbringst, Idioten zu beschützen.“ Dam seufzte und zuckte mit den Schultern.
„Ich hatte gehofft, du würdest mich mal wieder zum Feiern begleiten.“ Ich schmunzelte. Juliel auf eine Feier mitzunehmen war praktisch, als hätte man einen Statisten für eine Szene in einem Film engagiert. Selbst, wenn er den ein oder anderen Verehrer finden könnte, würde er sie alle so sehr ignorieren, dass am Ende nie ein Flirt daraus werden konnte. Aber neben jemanden, der so abweisend wie Juliel unter Menschen war, wirkte ein charmantes Lächeln von Dam umso strahlender.
Juliel schlang einen Arm um Dam. „Nächstes Mal.“ Er drückte seine Schultern, dann hob er die Hand zum Winken und entschwand aus dem Lagerhaus.
Von Zeit zu Zeit fragte ich mich, welcher Kontrast der beiden zuerst entstanden war. Hatte Dam angefangen so viel zu reden, weil Juliel so schweigsam war oder hatte sich Juliel das Schweigen angewöhnt, weil Dam für zwei sprach? Obwohl ich Dam seit Kindheitstagen kannte und Juliel fast sein ganzes Leben, konnte ich diese Frage nicht mit Sicherheit beantworten. Ihre Dynamik war stets unterhaltsam, zumal ich selbst keinerlei geborene Geschwister hatte, mit denen ich eine solche teilen könnte. Dafür nahm Lyras als mein Waffenbruder eine besondere Stellung in meinem Herzen ein. Sie alle drei bedeuteten mir mehr, als es reine Verwandtschaftsverhältnisse schaffen könnten. Für mich waren sie wie Brüder, die ich gefunden hatte und nie wieder herzugeben plante.
Dam war nicht nur eine Frohnatur, sondern ebenso loyal wie Juliel, der einem schweigend ohne Aufforderung den Rücken stärkte. Und Lyras? Lyras hatte mir auf die deutlichste Art bewiesen, wo wir füreinander standen, die für ihn je möglich war. Auch, wenn ich mir häufig wünschte, er hätte den Preis dafür nicht zahlen müssen.
„Was ist mit dir, Nate?“ Dam wandte sich mir zu. „Hast du Lust, dich etwas zu amüsieren, bevor du dich mit deinem neuen Haustier auseinandersetzt?“
„Nein, ich denke nicht. Wir beide wissen doch, dass du schon längst im Detail deine Unterhaltung geplant hast. Also ruf den oder die Glücklichen schon an und koste den Abend aus.“ Ich lachte und schüttelte schmunzelnd den Kopf über ihn. „Nach allem hast du dir das heute mehr als verdient.“
„Nun, wenn das so ist und du mich hier nicht mehr brauchst?“
„Jetzt verschwinde schon, ich schaffe es allein, den Zwerg nicht verhungern zu lassen. Wie viel kann der schon essen?“
Damahir lachte. „Stimmt wohl. Er ist kaum größer als ein Nemi. Aber vielleicht solltest du ihn mal ordentlich füttern, damit er noch wächst?“
„Ich glaub nicht, dass das so funktioniert, Dam.“
„Nein, aber schaden kann es nicht. Amüsiere dich gut. Solltest du irgendetwas brauchen, bin ich nur einen Anruf entfernt.“
Ich nickte, plante jedoch nicht darauf zurückzukommen. Auch wenn ich wusste, dass Dam selbst die leidenschaftlichste Nacht jederzeit abbrechen würde, wenn einer unserer Klingeltöne auf seinem Handy losging, musste ich es nicht provozieren. Sollte unser Küken sich die Hörner abstoßen, wenn es ihn glücklich machte.
Ich nutzte die Zwischenzeit, um die Nachrichten zu beantworten, die während meiner Abwesenheit eingegangen waren. Die meiste Korrespondenz lief über Lyras als CEO oder Dam, dessen Charme ihm die PR-Abteilung gesichert hatte. Hin und wieder kam dennoch eine Anfrage direkt an mich von Kunden, die zuvor mit mir zu tun gehabt hatten. Heute jedoch schien alles ruhig zu sein. Zu ruhig für meinen Geschmack. Ich war leicht dafür zu begeistern, mich ins Geschehen einzubringen und etwas aktiv zu tun. Doch vor dem Schreibtisch zu sitzen, mich durch Unterlagen zu wühlen und darauf zu warten, das etwas passierte? Das war für mich eine Qual.
Letztlich war es etwas früher, als ich ursprünglich geplant hatte, während ich mit einem Tablett mit Fertigsandwiches in den Händen zum Container des Winzlings kam. Krewood hatte ich bereits etwas zu essen gebracht, wobei ich nicht glaubte, dass wir ihn noch unbedingt behalten mussten. Aber vielleicht ließ er sich ja doch noch gegen den Künstler einsetzen? Der Reaktion nach zu urteilen, die er bei Dams Schlägen gegen den Container gezeigt hatte, war ihm Krewood vielleicht nicht egal. Oder hatte er ein gewisses Verantwortungsgefühl einem anderen Menschen gegenüber?
Es wäre schön, wenn wir einige seiner Freunde oder ein Familienmitglied erwischt hätten, die wir als Druckmittel nutzen konnten. Leider hatten wir diese Gelegenheit versäumt. Ich begriff noch immer nicht, wie es möglich war, dass Myro und die anderen Dunkelelfen von den Ampeln ausgebremst worden waren. Doch New York war eine furchtbar überfüllte Stadt und mit einigen unvorhersehbaren Abbiegemanövern ließ sich in diesem Verkehr einiges bewirken. Letztlich war es zu spät, um sich über dieses Scheitern zu beschweren.
Ich öffnete die Tür und stellte das Tablett auf dem Bett ab.
„Na? Wie viele Bilder hast du schon fertig, Zwerg?“, wollte ich wissen.
„Eins, ich hoffe, es gefällt dir.“ Der Winzling begegnete mir mit einem falschen Lächeln, das mich eine Augenbraue heben ließ. Ich griff nach dem Block, um mir das Werk genauer zu betrachten. Direkt von dem Papier aus sprang mir eine Zeichnung meiner eigenen Hand ins Auge, die mir den Mittelfinger entgegen streckte.
Schallendes Lachen brach aus mir heraus und ertönte sicherlich auch zu Krewood neben uns.
„Süßer Versuch.“ Ich warf ihm den Block zu und musterte ihn eindringlich. Er hatte gewiss damit gerechnet, mich damit provozieren zu können, aber damit stieß er bei mir auf Granit. Sich provozieren zu lassen, hätte ihm seinen Willen gegeben – und den würde er nicht bekommen.
„Netter Detailgrad, aber nicht ganz das, was ich sehen will.“ Ich lehnte mich gegen die metallene Wand, völlig tiefenentspannt. „Ich sage dir also, was dir vielleicht noch nicht aufgefallen ist. Jetzt, da wir den wirklichen Künstler hier haben, brauchen wir dein Double nicht mehr. Bist du sicher, dass dieses Bild das einzige ist, dass du anfertigen möchtest?“
Sein Blick glitt unwillkürlich zu der Wand hinter mir, hinter der der Container von Jonas stand. Das war ein weiterer Hinweis für mich, dass ihm dieser Kerl wohl nicht vollkommen gleichgültig sein konnte.
„Das habe ich durchaus verstanden. Nur funktioniert das so nicht. Es gibt nur ein Bild, das ich aktuell zeichne. Das der Stadt!“, behauptete der Zwerg.
„Ach ja?“, hielt ich dagegen. „Das letzte Mal sahen Städte für mich anders aus als mein Mittelfinger.“ Offensichtlich war er im Stande gewesen, etwas anderes zu zeichnen. Wen wollte er also für dumm verkaufen? Ich war mir sicher, dass war der nächste Versuch, ein Entgegenkommen zu verhindern und ich plante nicht, es ihm einfach durchgehen zu lassen.
„Dann habe ich nichts mehr zu sagen“, lautete die Erwiderung des Wichts.
„Gut, wie du willst.“ Ich verließ den Container und schloss die Tür hinter mir. Wenn sich unser unfreiwilliger Gast nicht dazu überreden ließ, von sich aus zu kooperieren, musste ich ihm wohl demonstrieren, wozu wir fähig waren. Ich schrieb Dam eine kurze Nachricht, dass er sich morgen bei mir melden sollte und ließ den Zwerg über Nacht schmoren, welche Konsequenzen sein Verhalten haben könnte.
Auch wenn ich nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob der Winzling währenddessen geschlafen hatte, hatten Dam und ich das Manöver in die frühen Morgenstunden angesiedelt. Ich plante, den Zwerg zu Jonas‘ Qualen aufwachen zu lassen, um eine mögliche Desorientierung zu meinen Gunsten zu nutzen. Dam zerrte den kreischenden Krewood aus dem Container heraus. Seine Schreie sollten das Lagerhaus erfüllen. Wenn ihn das nicht zu einer weiteren Kooperation motivieren würde, hatte ich den Wert menschlicher Beziehungen zueinander wohl überschätzt.
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