Einst gab es ein Land, welches keinen Umgang mit seinen Nachbarländern pflegte, und beherrscht wurde es von einem Hohen Rat. Dies waren zehn alte Männer, welche sich Weise nannten, und im Namen ihres Gottes bestimmten sie über das Volk.
Der Hohe Rat hatte strenge Regeln für alle Bereiche des Lebens aufgestellt, denen alle Bewohner des Landes bedingungslos zu gehorchen hatten. Alle Männer galten als Diener des Gottes und solange sie alle Vorschriften einhielten, konnten sie ihrem Tagewerk nach Belieben nachgehen. Doch alle Frauen im Volk galten als wenig mehr als die Untergebenen der Männer. Nichts lernen durften sie, nichts ohne Erlaubnis der Männer oder des Hohen Rates tun oder lassen. Die Frauen hatten zu gehorchen, und wenn nicht hatten sie drastische Strafen zu fürchten. Noch schlimmer erging es Menschen die weder Mann noch Frau waren, und denen die in Beziehungen lebten, die der Hohe Rat als gegen den Willen ihres Gottes sah. Diese Menschen mussten jederzeit Gewalt und Tot fürchten und sich versteckt halten, um der Gefahr zu entgehen.
Die Wenigen die gegen die Regeln verstießen wurden eingesperrt und nie wieder gesehen, und oft sogar hingerichtet.
Über viele Jahre fügten sich die Menschen in ihr Schicksal, und nicht wenige Männer sagten, es sei unveränderlich, denn es ist der Wille ihres Gottes, ausgeführt durch den Hohen Rat.
Doch nach einer Zeit wurden die Kontrollen der Vorschriften immer strenger, immer mehr Frauen wurden wegen immer kleinerer Vergehen gegen die angeblich göttlichen Regeln verhaftet, bestraft und mit zunehmender Häufigkeit getötet.
Mütter weinten um ihre Töchter, Schwestern umeinander, die Verzweiflung wurde immer größer, doch auch die Wut darüber, ungleich behandelt und unterdrückt zu werden wuchs mit jedem Tag. Alle von der Unterdrückung betroffenen begannen sich im stillen auszutauschen, und manche unter ihnen begannen, die Vorschriften, den Hohen Rat und die gesamte Hierarchie im Land in Frage zu stellen.
Frauen, die Mütter, Schwestern und Töchter verloren hatten, begannen sich den Regeln zu widersetzen. Der Mut dazu wurde von der Trauer über ihre Verluste gespeist, die Wut darüber ließ sie ihre eigene Sicherheit hinten anstellen.
Der Hohe Rat sah dies mit Sorge, aber auch mit Wut über die Anmaßung der in ihren Augen minderwertigen Frauen. Sie sandten ihre Garde aus, um die Unruhestifterinnen zu verhaften und zu bestrafen.
Doch immer mehr Frauen sahen, dass sich einige widersetzten, und viele von ihnen bekamen den Mut, sich den Protesten anzuschließen. Täglich gingen mehr von ihnen auf die Straßen, und auch ein paar wenige der bessergestellten Männer fingen an, das System in Frage zu stellen.
Die Garde des Hohen Rates versuchte die Proteste zu unterdrücken, doch die Anzahl der Frauen, die den Mut fassten gegen die Unterdrückung anzukämpfen, wurde immer größer. Als die Garde anfing willkürlich protestierende Frauen zu töten, war der Punkt erreicht, der die Lage kippen ließ. Angetrieben von der Wut und die Verzweiflung über die sinnlose Gewalt, gingen nahezu alle auf die Straßen, und ihre schiere Anzahl war zu viel für die Garde des Hohen Rates. Nach und nach wurden sie überwältigt und entwaffnet, niedergeworfen und eingesperrt. Und auch viele der Männer wurden zu ihnen gesperrt, nämlich die die sagten, dass es falsch sei was die Frauen taten, und auch die, die sich heuchlerisch auf die Seite der Unterdrückten schleichen wollten, um sie zu hintergehen.
Viele Bewohner des Landes, Frauen, Männer und andere, waren umgekommen, und unabhängig davon auf welcher Seite sie standen, wurden sie beweint, denn niemand sollte Opfer von Gewalt werden.
Nun blieb nur noch der Weg zum Haus des Hohen Rates.
Die angeblich weisen Männer des Rates hatten sich mit den Resten ihrer Garde in ihrer Ratshalle verschanzt, und auch wenn die Lage ernst für sie war, hielten sie sich immer noch für überlegen.
Vor dem Tor der Halle stand eine gewaltige Menschenmenge, und eine auserwählte Gruppe wurde geschickt um mit dem Rat zu sprechen. Jede Altersgruppe, jedes Geschlechts und jede Orientierung war unter den Abgesandten vertreten, und am Tor angekommen riefen sie die alten Männer an, hervorzukommen.
Nach kurzer Zeit kamen diese hervor, mit arrogantem Blick und voller Zuversicht, die Lage zu ihren Gunsten zu wenden. Doch als sie gewaltige Menschenmenge vor sich sahen, da verließ manchen von ihnen der Mut.
Der Älteste des Rats trat vor und sprach zu den Abgesandten:
„Was fällt euch ein, minderwertiges Weibsvolk! Euer Gott gebietet euch zu gehorchen und in eure Häuser zurückzukehren! Der Hohe Rat wird Euch im Namen Eures Gottes bestrafen!“
Doch die Älteste der Abgesandten trat vor ihn und sprach:
„Ich gehorche keinen alten Männern, die uns einreden wollen, dass ein Gott uns unterdrückt sehen will! Ich gehorche keinen alten Männern, die uns töten lassen, weil wir einen eigen Willen haben! Und wenn Euer Gott euch sagt, dass nicht alle Menschen gleich sind und dass wir Frauen minderwertig sind, dann ist Euer Gott nicht unser! Wir dienen keinen Gott, der Hass und Ungleichheit verlangt! Die Herrschaft des Hohen Rates ist jetzt zu Ende! Dies könnt Ihr akzeptieren, oder Ihr könnt für immer fortgehen aus diesem Land!“
Der Ratsälteste wollte dagegen anreden, doch die anderen alten begannen zu erkennen, dass sie und ihre Garde gegen die Zahl und Entschlossenheit der versammelten Frauen und anderen Bürger chancenlos waren. Der Hohe Rat hatte seine Macht verloren!
Die letzten Mitglieder der Garde legten ihre Waffen nieder, und den Mitgliedern des Hohen Rates wurden ihre Insignien genommen. Dann wurden Ihnen freigestellt dahin zu gehen, wohin sie wollten. Es wurde ihnen keine Gewalt angetan, den dann wären die Bürger des Landes genauso verdorben gewesen wie der ehemalige Rat.
Von diesem Tage an galten alle Bewohner des Landes gleich, unabhängig von Geschlecht, Sexualität oder jeder anderen Eigenschaft. Sie wählten aus allen Gruppen Vertreterinnen und Vertreter aus um das Land zu Regieren.
Jedes Jahr zu dem Tage, an dem die Ungleichheit überwunden wurde, wurde allen gedacht, die ihr Leben verloren hatten aufgrund von Unterdrückung, Intoleranz und religiösen Eifer. Nie wollten die Bewohner des Landes vergessen, was nötig gewesen war, um Frieden und Gleichberechtigung für alle zu erreichen.
Das Land knüpfte neue freundschaftliche Bände mit seinen Nachbarländern, und es gedieh in Frieden, Gleichberechtigung und Glück für alle seine nun freien Bewohner. Ohne Ausnahme.
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