Wir betreten das Erdgeschoss, in dem die Party stattfindet, durch eine große alte Flügeltür aus Eichenholz. Das Verbindungshaus ist schon über einhundert Jahre alt, aber dennoch gut in Schuss. Manchmal kommen die alten Herren, ehemalige Bewohner, wieder her, um sich im Billiard-salon einen Whiskey zu gönnen. Ansonsten gehört das Haus uns.
Mann, hier sind so viele Leute, dass wir kaum bis ins Schachzimmer durchkommen. Innerlich stöhne ich schon wieder. Vielleicht sollte ich mir doch mal eine eigene Wohnung suchen… Ein Typ drängelt sich an mir vorbei und zieht eine Blondine mit hohen Schuhen und kurzem Kleid hinter sich her. Sie schaffen es bis zum Treppenhaus, dann fangen sie an, wie wild rumzuknutschen und dabei (wie zur Hölle ist sowas möglich?!) die Treppe hochzusteigen. Ter Typ ist kein Bewohner hier und oben sind eigentlich nur die Schlafzimmer. Mann, wie froh ich bin, dass ich mein verdammtes Zimmer abgeschlossen habe!
Im Schachzimmer
angekommen führt mich Aaron an einen Tisch, an dem schon ein Typ sitzt und an
seinem Bier in der rechten Hand nippt, während er eine Rothaarige auf dem
linken Knie balanciert, der er mit der linken Hand an den Hintern fasst.
Und sofort kann ich den Typ nicht leiden.
Ich würde nicht sagen, dass Eifersucht der Grund dafür ist. Vielmehr finde ich, dass es nicht unbedingt notwendig ist, sowas vor allen möglichen Leuten zu machen. Ich meine- was glaubt er, was eine Frau ist? Ein Spielzeug zum rumzeigen?
Aber gut, ich als ewige Jungfrau scheine ja auch irgendwas gehörig falsch gemacht zu haben.
Als ich mich, ihm gegenüber, auf den alten, hochwertigen Ledersessel setze, macht der Typ den Mund auf und sofort verstehe ich, warum Aaron ihm mit einem Duell den Arsch versohlen wollte.
„Alter, du siehst schon so aus, als ob du das Spiel kannst. Weißt du überhaupt, wie die Figuren heißen?“ Blafft er mit einer betrunkenen Volldepp-Stimme. Gleich darauf, um seinem Satz Ausdruck zu verleihen, klatscht er der rothaarigen auf den Hintern, sodass sie fast von seinem Knie fällt und dabei ihren Drink beinahe über das alte, wertvolle Ebenholz-Schachbrett kippt.
Mein Blick schweift zu Aaron. Er sieht mich ernst an und nickt.
„Ich hol dir ein
Bier.“ Er dreht sich hastig um und verschwindet. Gut, er hat verstanden.
Manchmal denke ich, er kann meine Gedanken lesen.
So einen Bullshit kann man nur mit Alkohol überstehen.
Seufzend sitze ich vor meinen schwarzen Figuren.
„Weiß beginnt.“ Sage ich genervt.
Grinsend lehnt
sich der Typ vor und setzt einen weißen Bauern auf E4.
Gelangweilt setze ich meinen Bauern auf E5. Ich hab schon so eine Ahnung, was
er vorhat. Der Typ fühlt sich durch mein Mitspielen bestätigt und setzt seine Dame
auf H5.
Wie ich es mir dachte. Er versucht das Schäfermatt?! Nicht sein Ernst. Denkt Er
ich bin ein Kleinkind? Ich sehe ihn ungläubig an. Er ist noch dümmer, als ich
dachte.
Zufrieden lehnt sich der Typ zurück und grinst seine Rothaarige an. Er scheint echt zu denken, das wäre irgendein krasser Schach- Trick, oder? Oh man, das Ganze ist so lächerlich, dass ich fast schon Mitleid mit ihm habe.
Ich tue ihm den Gefallen nicht, sondern mache einen vernünftigen Zug und ziehe G7-G6. Damit habe ich pariert und die Gefahr abgewendet.
Der Typ schaut dumm aus der Wäsche.
Aaron kommt mit zwei Bier zurück an unseren Tisch. „Danke, Man.“ Sage ich und nehme ihm eine der Flaschen ab und nehme sofort einen großen Schluck. Dann sehe ich den Typen mir gegenüber an.
„Was? Keinen Plan B, wenn das Schäfermatt nicht funktioniert?“ frage ich trocken. Der Typ scheint zu überlegen. Kann er Das überhaupt noch, so voll wie er Ist? Aaron lacht und klopft mir auf die Schulter.
„Ganz, wie von unserem Genie erwartet!“ Sagt er zufrieden, bevor er an seinem Bier nippt. Oh Gott, wie peinlich.
„Nenn mich nicht Genie, das Schäfermatt kannte meine kleine Schwester schon im Kindergarten, das ist nichts, worauf man stolz sein kann.“ Aaron verdreht die Augen und trinkt weiter.
Der Typ gegenüber ist leicht grün vor Scham und macht seinen nächsten Zug. Doch jetzt, wo er seine Dame zu früh rausgeholt hat, ist er ein leichtes Ziel für mich. Wäre ich ein richtiger Arsch, könnte ich ihn jetzt selbst Schäfermatt setzen. Ich wette diesen Feedback Zug kennt er nicht. Aber wo wäre der Spaß am Spiel und außerdem der Pädagogische Effekt für Aaron, wenn ich das Spiel nicht noch ein wenig strecken und spannender machen würde? Hier geht es nicht einfach nur um ein Schachspiel.
Ein bisschen Nervenkitzel wird Aaron nicht umbringen. Es wird Zeit, dass er mal seine Lektion lernt. Nur weil man ein verwöhnter Jurastudent ist, kommt man nicht immer mit allem durch.
Außerdem hab ich mein Bier noch nicht ausgetrunken.
Ich mache meinen nächsten Zug und er seinen. Die Rothaarige sieht uns gespannt zu. Ich frage mich, ob ich sie schon mal irgendwo gesehen habe. In der Uni vielleicht?
„Yara, Babe, holst du mir noch n Bier?“ fragt der Typ und klatscht ihr wieder mal auf den Hintern. Ich verdrehe genervt die Augen.
„Lass das!“ Zischt sie schließlich genervt und schiebt seine Hand weg, während sie aufsteht und in Richtung Küche verschwindet, wo wir eine Theke mit Zapfhahn aufgebaut haben. Wir machen noch ein paar weitere Züge. Hin und wieder sehe ich nach rechts, um mich zu vergewissern, dass Aaron auch schön Angst um sein Motorrad bekommt, bis ich den Typ schließlich Matt setze. Gerade als die Rothaarige mit seinem Bier zurückkommt.
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