„Also, was issssnun midder kleinen?“ Lallt Henry über seiner zehnten Bierflasche
„Sieis meine Naccchbarin gewesn un ichab sie ssehn jahre nicch geseeeehn.“ Erkläre ich völlig besoffen. Henry hebt kritisch eine Augenbraue.
„Unn jedss isssie einfach hier aufgetauchd und dann einfach wiedr weggelaufffn.“ Trotz des Alkoholpegels kriege ich meine Worte irgendwie auf die Reihe. Vorwurfsfoll zeige ich auf mein Handy, das uns gegenüber auf dem Labortresen liegt. „Un sie hadmir niccchmal ihre Nummer gegebn…“ Füge ich frustriert hintenan. Henry nickt übertrieben verständnisvoll. Dabei fällt er fast seitlich vom Sofa.
„Ich wette duu hasssd sie niccchma gefragt!“ Sagt Henry, nachdem er sich rechtzeitig abgefangen hat.
Beleidigt nehme ich einen weiteren Schluck und zucke mit den Schultern.
„Du mussd sie suchn!“ Sagt Henry und nickt wissend.
„Haha. Gude Idee un wie solllich das anstellln?“ Frage ich trotzig. „Alle Uniräume einzeln absuchn? Sie googeln?“ Frustriert schüttele ich den Kopf, bis mir plötzlich ein Licht aufgeht. Ich drehe mich schlagartig herüber zu Henry, der denselben Gedanken wie ich zu haben scheint.
„Wir googeln sie einfach!“ Sagt Henry. In weniger als zwei Sekunden springen wir beide vom Sofa auf, verlieren dabei das Gleichgewicht und stürzen. Nachdem wir wie ein verhedderter Menschenklumpen auf dem Boden aufgeschlagen sind, greife ich schnell nach meiner umgestürzten Bierdose und stelle sie aufrecht hin, damit nicht noch mehr von dem Bier auf den Fußboden läuft. Stöhnend stemmt Henry sich hoch und reicht mir die Hand. Wir sind wohl etwas zu schnell aufgestanden.
„Wie heißt sie?“ Fragt Henry, nachdem wir die Sauerei aufgewischt haben. Seine Finger fliegen schon über die Computertastatur, um das Passwort einzugeben.
„Valerie Peters!“ Instruiere ich und nehme gespannt einen weiteren Schluck aus meiner Flasche.
„Da gibt es ein Instagram-Profil das so ähnlich heißt!“ Sagt Henry und flucht leise. „Wir brauchen einen eigenen Account damit wir das sehen können!“ Er klickt auf die Registrierungsanfrage und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wir machen dir ein Profil, dann kannst du sie anschreiben!“
Ich denke kurz betrunken darüber nach, dann schüttele ich den Kopf. „Was wenn sie mich für einen Stalker hält? Mir ist es lieber ich würde sie in der Uni nochmal sehen.“ Henry verdreht die Augen.
„Nagut, wir machen folgendes: Wir geben dir einen anderen Namen und machen kein Bild rein. Dann weiß sie nicht, wer du bist.“ Henry dreht sich um und tippt „Nerd“ ein.
Ich schüttele den Kopf. „Ohne Profilbild hält sie mich nur für einen dieser Sexbots oder so.“ gebe ich zu bedenken. Dann sehe ich mich im Zimmer um, bis mein Blick auf Watson fällt. „Oh, das ist die Idee!“ Ich schnappe mir mein Handy und schieße ein paar Bilder von Watson. „Wir machen ein Katzenprofil! Dann ist keiner skeptisch!“ Ich lade die Bilder hoch und veröffentliche sie in meiner Story, nachdem ich das Profil erstellt habe. „Das könnte funktionieren! Sie liebt Katzen!“ Erkläre ich, weil Henry mich so überrumpelt ansieht.
„Dude, das ist das erste Mal, seit ich dich kenne, dass du dir Gedanken darüber machst, wie man eine Frau beeindrucken kann!“ Er kichert leise.
Gesagt, getan und der arme Watson durfte den Rest des abends vor der Kamera posieren. Watson auf dem Fensterbrett, neben einem Erlenmeyerkolben, unter einer Bürette, Watson mit Schutzbrille, Bunsenbrenner, eingerollt auf dem Sofa und noch in vielen anderen Positionen. Außerdem filtere ich meine komplette Fotogallerie, die ohnehin hauptsächlich aus Screenshots, Fotos von Notizen meiner Forschungsarbeit und Watson-Bildern besteht.
Das Profil ist ein Erfolg und schließlich sind wir so weit, eine Nachricht an Valerie zu formulieren.
„Was schreibt man denn in so einer Situation?“ frage ich, völlig ahnungslos. Henry macht neben mir große Augen.
„Naja, wie wär´s, wenn du einfach schreibst was du normalerweise auch zu ihr sagen würdest?“
„Klar, super Idee! Und dann frag ich sie auch noch ob sie gut ausgenüchtert ist und wenn wir schon dabei sind, warum sie mir nicht ihre Nummer gegeben hat und wenn sie mich bis dahin noch nicht für einen Creep gehalten hat, dann tut sie es spätestens dann!“
Henry runzelt die Stirn. „Also willst du sie jetzt anonym anschreiben oder nicht?“
Ich seufze und fahre mir mit den Händen übers Gesicht. „Ach ich weiß auch nicht.“
„Hast du nicht gesagt ihr wart früher gute Freunde?“ fragt Henry ungeduldig. „Dann hast du doch die besten Karten, wenn du offen und ehrlich zu ihr bist! Als ob sie dich nicht mehr mögen würde, nur weil du ihr geschrieben hast!“
Ich hadere noch zwei Minuten mit mir, doch dann muss ich mir eingestehen, dass Henry Recht hat.
Ich wappne mich kurz und formuliere eine Nachricht:
Hey.
Es war toll, dich gestern Abend wiederzusehen!
Ich hoffe, deiner Freundin geht es gut?
-Adrian-
Skeptisch starren wir zu zweit auf den Bildschirm.
„Kann man das so schreiben?“ frage ich misstrauisch.
„Klar.“ Sagt Henry. „Warum nicht?“
„Was wenn sie es falsch versteht?“ Frage ich unsicher.
„Und was genau soll sie da falsch verstehen?“ fragt Henry mit hochgezogener Augenbraue. „Das hier ist keine Doktorarbeit! Schick es einfach ab.“
Als ich wieder etwas Kritisches äußern will, klingelt plötzlich mein Telefon.
Nanu? Wer ruft mich um diese Uhrzeit noch an? Wenn ich richtig drüber nachdenke: wann hat mich überhaupt zum letzten Mal jemand angerufen? Ich wusste schon gar nicht mehr, was mein Klingelton ist. Aber jetzt, wo ich ihn höre, nehme ich mir vor, ihn zu ändern.
„Hallo?“ frage ich. Die Nummer ist unbekannt.
„Hey, Adrian.“ Aaron klingt angespannt. Das wundert mich, der Typ wirkt sonst immer so entspannt, als sei er dauerhaft bekifft. „Es gibt ein Problem. Jemand war im Herrensalon. Während der Party.“
Ein unguter Gedanke kommt in mir hoch. Ich schiebe ihn beiseite.
„Wie kommst du darauf?“ frage ich gespielt unschuldig und füge noch ein paar Worte zu meiner Nachricht an Valerie hinzu.
„Die Tür war abgeschlossen. Aber heute Morgen stand sie offen, wir haben ein besoffenes Pärchen rausgejagt und mussten das Sofa putzen, und…,“ er macht eine Künstlerpause, „und jemand hat den Chandon geöffnet!“
„Den was?“ Ich sehe zu Henry und nicke in Richtung Bildschirm, damit er meine Nachricht absegnet, doch er zuckt nur ahnungslos mit den Schultern.
„Den Chandon Dom Pérignon von 1961!“ Wiederholt Aaron energisch.
„Was zur Hölle soll das sein?“ frage ich genervt. Henry drückt auf Senden.
„Nein!“ rufe ich laut, während Henry lacht.
„Ganz recht!“ Sagt Aaron durch den Hörer. Oh, hatte ganz vergessen, dass er immer noch da ist. Doch seine nächsten Worte lassen mir das Blut in den Adern gefrieren: „Eine Flasche von diesem Champagner kostet 3700€!“
Meine Hand erstarrt und das Telefon gleitet aus meiner Hand. Henry fängt es blitzschnell auf und schaltet auf Lautsprecher.
„Was hast du gerade gesagt?“
„Ich sagte, jemand hat Den Chandon Dom Pérignon von 1961 geöffnet!“ Schreit Aaron hysterisch. „Eine Flasche Champagner, die auf der Hochzeit von Lady Diana und Prince Charles 1981 serviert wurde! Eine Flasche, die 3700€ kostet!“
Eine Minute sagt niemand von uns ein Wort, bis ich das Schweigen unterbreche, weil Watson auf meinen Schoß springt: „Warum, um alles in der Welt, sollte so eine teure Flasche Champagner bei uns im Verbindungshaus herumstehen?!“ frage ich das offensichtliche.
„Weil einer der alten Herren sie neulich ersteigert hat und seiner Frau demnächst zum Hochzeitstag schenken wollte!“ Aaron klingt verzweifelt, es ist eine interessante Mischung aus Schreien und weinen, die mich angesichts seiner üblichen Hochnäsigkeit befriedigen würde, wenn da nicht diese Winzige Tatsache wäre, dass ich diesen Wein ruiniert habe, die mir die Laune vermiest.
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