Valerie zieht die Augenbrauen hoch. „Die da wäre?“
„Bioinformatik.“ Stelle ich klar.
Valerie überlegt kurz. „Bioinformatik?“
„Genau.“ Erkläre ich. „Informatik ist das Wichtigste, was jeder Wissenschaftler können sollte! Was nützen einem alle anderen Fertigkeiten, wenn man sie alle einzeln, langsam und aufwendig selbst machen muss? Die Forschung ist nur effizient und vor allem in einem Menschenleben an Zeit zu schaffen, wenn man Automatisierungstechniken anwendet. Und ich finde, dass das in meinem Studium zu kurz kam.“
Valerie lächelt.
„Was ist?“ frage ich nervös.
„Nichts. Ich finde nur, dein Fachgebiet passt zu dir.“ Murmelt sie leise.
Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus, was jedoch von Aaron und Yara überschattet wird, die zu unseren Plätzen zurückkehren.
Es ist dreiundzwanzig Uhr. Der Film ist vorbei und der Abspann läuft. Ich genieße die letzten Minuten, bevor die Deckenlichter wieder eingeschaltet werden und werfe einen Blick auf Valerie. Sie sieht gut gelaunt zu mir auf und schnappt sich den letzten Chip aus der Chipstüte, die wir zu zweit leergefuttert haben. Weiter links erwische ich Aaron mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. Es dauert einen Moment, bis ich bemerke, was daran so seltsam ist. Es sieht aus, als sei sein Kopf knallrot und auf das Doppelte aufgebläht. Stirnrunzelnd werfe ich ihm einen -was ist los?- Blick zu, bevor ich verstehe: Yara ist tatsächlich eingeschlafen. Mit dem Kopf auf Aarons Schulter.
Wow. Ich pruste los.
Aaron wirft mir einen Strengen Blick zu.
Valerie bemerkt unseren Blickwechsel und kichert ebenfalls. Doch dann stupst sie Yara sanft in die Seite, um sie aufzuwecken. Yara streckt sich und gähnt, bevor sie bemerkt, in welcher Situation sie sich befindet. Aaron besitzt tatsächlich den Anstand, nicht zu grinsen, sondern mit rotem Kopf in eine andere Richtung zu sehen, als Yara völlig verwirrt von ihm Abstand nimmt.
„Oh Gott, sorry, ich bin einfach eingenickt!“ Entschuldigt sie sich aufgebracht.
„Alles gut, du hast höchstens fünf Minuten geschlafen!“ beruhigt Valerie ihre Freundin. Ich weiß zwar nicht, ob das stimmt, doch es scheint Yara zu erleichtern.
Aaron traut sich nun auch endlich, ihr ein freundliches Lächeln zukommen zu lassen.
Wow. Zweimal getroffen und schon schläft sie auf ihm ein?! So schnell kann das wohl gehen, wenn Menschen keine Berührungsängste haben? Kann ich gar nicht nachvollziehen.
Ich bin wohl einfach zu altmodisch… Oder ein Soziopath…
Die Deckenlichter werden hell und ich nutze die Gelegenheit, um meine nächste Ankündigung zu machen.
„Also, die Sentina-Bar hat heute zwei für eins! Wer hat Bock auf Cocktails?“
Die Mädels nicken begeistert und Aaron schenkt mir einen Dankbaren Blick. Er ist vielleicht doch nicht so ein Scheißmensch, wenn ich so drüber nachdenke. Nur dank ihm sind wir heute überhaupt hier. Vielleicht sollte ich ihm danken, dass er mitgekommen ist und ihm einen Cocktail ausgeben?
„Also ich brauche jetzt Sex on the Beach!“ platzt Aaron heraus und sofort bereue ich meinen Letzten Gedanken. Die Mädels sehen ihn auf eine Merkwürdige Art an. Dieser Idiot. Frustriert seufze ich und schüttele den Kopf.
Wortlos verlassen wir das Kino und verlassen die Uni über den Hinterausgang.
Hinter der Uni erstreckt sich ein langer, riesiger Park über eine Größe von drei Fußballfeldern, an den einige Häuser und Studentenbars angrenzen.
Unser Ziel, die Sentina Bar, ist eine der günstigen Studentenkneipen der Stadt, wo dementsprechend abends das Meiste abgeht. Hier treffen sich alle Semester aus allen Fachbereichen, um sich die Kante zu geben.
Wir haben Glück und erwischen noch einen kleinen, freien Tisch, an den wir unsere Cocktails bestellen.
„Wow, ist der stark!“ Valerie macht große Augen.
„Das wolltest du doch, oder etwa nicht?“ hakt Aaron nach.
„Naja… eigentlich nicht unbedingt…“ stammelt Valerie.
Yara lacht. „Du hast ihm das falsche Signal gegeben.“ Klärt sie Valerie auf. „Er hat dich angezwinkert. Wenn du ihn daraufhin anlächelst, heißt das, du willst deinen Cocktail stark!“
Valerie schaut ihre Freundin bestürzt an. „Woher soll ich das wissen?“
Alle am Tisch müssen lachen.
„Ihr Mädels habt es gut!“ sagt Aaron. „Wir Kerle kriegen nie so starke Cocktails, wenn wir sie nicht bestellen. Und das kostet extra!“
Yara stößt ihn spielerisch mit dem Ellbogen in die Seite, woraufhin er so tut, Als hätte sie ihn tödlich getroffen. Ich beobachte sein kleines Schauspiel etwas irritiert, als schon wieder mein Handy klingelt. Was ist heute nur los?
Genervt sehe ich nach, wo das Problem liegt.
Ah, Meinolf ist fertig mit der PCR. Shit. Ich hätte gedacht, dass er länger dafür braucht. Habe ich mich verrechnet?
„Was ist?“ fragt Valerie besorgt. „Du siehst gestresst aus.
„Ähm, ich…“ Ich sehe mich einmal kurz am Tisch um.
„Ich muss nochmal kurz ins Labor…“ Aaron und Yara, die gerade über einen seiner Witze gelacht haben, verstummen und sehen zu mir herüber. Aaron macht große Augen schüttelt energisch den Kopf.
„Jetzt?“ fragt Valerie leicht enttäuscht. „Um halb zwölf nachts?“
Aaron schüttelt immer noch energisch den Kopf.
„Ähm… Es ist gleich auf der anderen Straßenseite.“ Ich blicke hilfesuchend zu Valerie. „Es dauert nicht lange.“ Valerie und Yara werfen sich einen Mädels-Blick zu, bevor Valerie sich wieder zu mir dreht.
„Kann ich vielleicht mitkommen? Ich wollte schon immer mal dein Labor sehen!“
Überrascht hält Aarons schüttelnder Kopf inne, bevor energisch zu nicken anfängt. Das Bild ist so witzig, dass ich unwillkürlich lachen muss.
„Ja, klar. Gerne.“ Ich werfe Aaron einen strengen Blick zu. Hoffentlich vergrault er Yara nicht, während wir weg sind. Ich kann nur Zeit mit Valerie verbringen, solange wir die rothaarige Freundin bei Laune halten.
„Bis gleich.“ Valerie schnappt sich ihren Cocktailbecher und wir verlassen die Bar.
Gleich auf der anderen Straßenseite ragt ein großes Gebäude in die Höhe. Ich ziehe meine Schlüsselkarte aus der Handyhülle und halte sie vor den Sensor am Eingang.
Ein Summendes Geräusch ertönt, als uns die Tür geöffnet wird. Ich halte sie für Valerie geöffnet, bevor wir eintreten und die Bewegungsmelder das Licht einschalten.
„Dürfen wir um diese Uhrzeit überhaupt noch hier sein?“ fragt Valerie und sieht sich vorsichtig um.
„Klar.“ Versichere ich ihr und winke sie zu mir in den Fahrstuhl, der sich gerade geöffnet hat.
„So lange die Forschungsgelder in Arbeitskraft und Ergebnisse umgewandelt werden, ist es denen egal, wer hier zu welcher Uhrzeit hereinschneit.“ Erkläre ich schmunzelnd.
Auf der vierten Etage verlassen wir den Fahrstuhl und treten vor mein Labor am Ende des Flurs.
„Ich schließe auf, du fängst ein.“ Sage ich zu Valerie, die mich verwirrt anschaut.
„Den Kater.“ Erkläre ich achselzuckend und öffne die Tür, bevor sie weitere Fragen stellen kann.
Die Tür öffnet sich einen Spaltbreit und sofort zischt ein schwarzes Fellknäuel daraus hervor und an uns vorbei. Valerie stößt einen spitzen Schrei aus und taumelt nach hinten. Ich halte sie schnell am Arm fest, damit sie nicht umfällt.
„Alles okay?“ frage ich. Valerie nickt verlegen und rappelt sich wieder auf, während ich mich nach dem Fellknäuel umsehe.
Watson ist bis ans andere Ende des Korridors gelaufen und hat sich dort niedergelassen.
„Sorry, das ist mein Kater, Watson. Er will immer abhauen.“ Lachend ziehe ich einen kleinen Laserpointer aus meiner hinteren Hosentasche und erwecke mit dem leuchtend grünen Lichtpunkt Watsons Aufmerksamkeit. Sofort stürzt sich der Stubentiger auf den Punkt und lässt sich von mir zurück ins Labor führen.
Valerie beobachtet fasziniert das Schauspiel, das wir ihr bieten. Für einen kurzen Moment frage ich mich, ob sie mich für komisch hält, doch als mir wieder einfällt, weshalb wir hergekommen sind, schalte ich schnell das Licht ein und sehe nach meinem letzten Projekt.
„Wow.“ Valerie sieht sich im Labor um, während ich meine Röhrchen aus dem PCR Gerät herausnehme und sie in der Zentrifuge platziere. „Hier ist so viel… Zeug“ Sagt sie staunend.
Ich sehe mich kurz um und stelle fest, wie unaufgeräumt mein Labor ist.
Shit.
„Oh, ähm… Ja, ich hatte nicht mit Gästen gerechnet.“ Entschuldige ich mich und starte die Zentrifuge. Schnell räume ich ein paar Dinge vom Sofa herunter, damit sie sich setzen kann.
„Nein, ich meine so viele Geräte und…“ sie lässt einen Blick über unseren Roboter schweifen, „Kabel“ fügt sie hinzu.
„Oh, ja…“ stimme ich ihr zu. „Das sammelt sich so an im Laufe der Zeit.“
„Was genau machst du hier überhaupt?“ fragt sie neugierig und beugt sich über unseren Laborroboter.
„Oh, wir machen nur Grundlagenforschung. Das geht automatisiert natürlich schneller, deshalb haben wir Meinolf installiert.“ Ich klopfe stolz auf unseren Elektronischen Helfer.
„Meinolf?“ fragt Valerie belustigt.
„Ja. Wieso nicht?“
Lachend lässt sich Valerie auf die Couch fallen. Und wofür brauchst du einen Thermocycler bei Chemischer Grundlagenforschung?“ fragt sie mit einem seltsamen Unterton.
Schmunzelnd setze ich mich neben sie.
„Du hast also tatsächlich schon etwas gelernt im Studium.“ Stelle ich fest.
„Ich weiß, was eine PCR ist.“ Gibt sie lachend zu. „Das ist aber auch schon alles. Was zentrifugierst du da?“
„Das sind die aufgereinigten DNA- Proben aus Watsons Speichel.“ Mein Blick schweift zu Watson, der neugierig an Valeries Schuh schnuppert.
„Watson?“ fragt Valerie nach. „Wie Watson und Crick? Die die Molekülstruktur der DNA veröffentlicht haben?“
Lachend schüttele ich den Kopf. „Du bist die Erste, die den Nagel auf den Kopf getroffen hat!“ Ich wusste es! Sie ist nicht, wie andere Mädchen! Sie hat mich schon immer verstanden, so wie auch jetzt! „Watson fühlt sich geehrt, dass du seinen Namensursprung nicht mit der rechten Hand von Sherlock Holmes verwechselt hast. Dafür wird er dir, im Gegensatz zu allen anderen Menschen, für immer treu und dankbar sein!“
Ich schnappe mir den Kater und reiche ihn Valerie, denn ich weiß: Sie liebt Katzen! Begeistert krault sie das Tier, doch er sträubt sich und springt schnell wieder von ihrem Schoß herunter.
„Er wirkt mir gegenüber noch nicht so treu.“ Sagt sie lachend.
„Das kommt noch.“ Versichere ich ihr und zaubere eine Packung Katzenleckerli aus meiner Tasche hervor. Plötzlich kann der Kater doch sehr liebenswürdig sein.
„Warum untersuchst du seinen Speichel?“ fragt sie neugierig. „Glaubst du er ist krank?“ Besorgt streicht sie dem Tier über das Köpfchen.
„Nein, ich habe eine andere Theorie.“ Erkläre ich.
„Ich will nachweisen, welche Phagen er in seinem Speichel züchtet. Für die Antimikrobielle Wirkung.“
„Phagen? Du meinst Bakterien angreifende Viren?“ Valerie sieht überrascht aus.
„Ja. Ich glaube, dass er dreckiges Blumenwasser trinkt, weil er die Phagen im Mund züchten muss, bevor er sie beim Putzen auf seinem Fell verteilt.“ Erkläre ich kurz und knapp. „Es ist ein kleines Experiment, um Meinolf zu testen, bevor wir unser Projekt für den Molbi-Tech Wettbewerb beginnen. So weiß ich schneller, welche Arbeitsschritte ich noch verbessern muss, um eine CMg- Pipeline aufzubauen.
Valerie nickt verwirrt mit dem Kopf. „Okay? Eine… was genau hast du gesagt?“
Ich lache. „Das lernst du schon noch. Ist auch noch nicht so wichtig im dritten Semester.“
„Ich fände es echt toll, wenn du mir ein bisschen was beibringen könntest.“ Sagt Valerie leise. „Du weißt so viel mehr als ich und du kannst so gut erklären.“
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