Es war Frühlingsanfang! Voller Freude schob Herr Lund den Vorhang beiseite und sah aus dem Fenster.
Herr Lund war von durchschnittlichen Aussehen und Größe, hatte eine Brille mit ovalen Gläsern und einen langsam grau werdenden Bart. Die Haare wurden leider immer weniger, der Bauch dafür (auch leider) immer mehr. Er hatte einen sanften und freundlichen Charakter, auch wenn er manchmal etwas grummelig war.
Er lebte in einem leicht schiefen Holzhaus am Rande eines friedlichen und freundlichen Waldes. Dieser lag etwas außerhalb einer alten Stadt, und war nicht magischer oder ungewöhnlicher als jeder andere, bot aber immer wieder das ein oder andere Erlebnis.
Am heutigen Tage nun freute sich Herr Lund, dass endlich Frühlingsanfang war, doch als er aus dem Fenster sah wurde seine Freude jäh getrübt:
Es regnete in Strömen!
Dies war, gelinde gesagt, sehr unerfreulich, hatte er doch gehofft, einen schönen Frühlingsspaziergang zu machen. Einen Augenblick war Herr Lund in trübe Gedanken versunken, doch dann trat ein Lächeln auf sein Gesicht.
„Wenn ich jetzt Trübsal blase regnet es trotzdem. Da kann ich auch genauso gut fröhlich sein!“
So sprach er zu sich selbst, nun wieder voller Heiterkeit.
Nach einem morgendlichen Bad und einem leichten Frühstück kleidete Herr Lund sich an, nahm Schirm und Hut, und trat hinaus in den Frühlingsregen.
Zwischen der Stadt und dem Wald lag ein Park, und diesen wollte er besuchen. Dort gab es einem Teich, wo Herr Lund oft Enten und Schwäne beobachtete, außerdem waren dort viele hübsche Beete und Skulpturen. Herr Lund hoffte, dass vielleicht die ersten Frühlingsblumen die Köpfe aus der Erde streckten, und dass nur wenige Menschen im Park sein würden, was ihm recht gefallen würde.
Der Park war tatsächlich fast menschenleer, nur hier und da ein paar Leute die mit ihrem Hund gingen. Sogar bei diesem Regenwetter zeigte der Park seine ganze Schönheit: das Wasser das an den Statuen herabrann, die Regentropfen die auf den See fielen, ein Entenpaar das sich im Gebüsch am Seeufer aneinanderschmiegte. Der Regen spülte den Winter förmlich davon, und der ganze Park strahlte Frieden aus.
Herr Lund ging glücklich am See entlang, als er plötzlich unter einer nahen Parkbank eine Bewegung bemerkte. Langsam ging er auf die Bank zu, und als er auf wenige Schritte herangekommen war, sah er darunter ein kleines Wesen sitzen. Es war ungefähr eine Handbreit groß, sehr zierlich und hatte zwei glänzende Flügel auf dem Rücken. Außerdem war es völlig durchnässt. Herr Lund war überrascht, denn dort unter der Parkbank saß eine kleine Waldfee, welche schon seit langen Jahren hier in der Umgebung nicht mehr gesehen wurden. Im Moor in der Mitte des Waldes lebten zwar Moorfeen, diese waren aber außerordentlich scheu, weshalb es mehr als überraschend war hier eine Verwandte von ihnen anzutreffen.
Er näherte sich langsam der Fee, machte eine leichte Verbeugung und sprach: „Sei gegrüßt, Kind des Waldes. Benötigst du Hilfe?“
Die Fee blickte zu ihm auf, nass von Kopf bis Fuß und mit verweinten Augen.
„Willst du mir helfen? Ich wurde von meinen Geschwistern getrennt und kann sie nicht wiederfinden“, antwortete die Fee mit zitternder Stimme. „Wir waren auf der Suche nach einer neuen Wohnstatt, nachdem unsere Heimat zerstört und wir vertrieben wurden. Auf unserer Reise wurden wir von Menschenkindern überrascht. Die anderen konnten fliehen, aber ich wurde in einer Dose eingefangen und von den Menschen verschleppt, doch sie verloren schnell die Lust als ich mich tot stellte. Sie warfen die Dose fort, und ich fand mich hier wieder. Willst du mir helfen?“
Tränen traten der kleinen Fee in die Augen. Herr Lund war voller Mitgefühl mit dem zarten Wesen, er streckte ihr die Hand entgegen und sagte: „Sehr gern will ich dir helfen. Aber zuerst musst du aus diesem Regen raus.“
Herr Lund hob das kleine Wesen vorsichtig auf und half ihr in seine Manteltasche zu klettern. Dann reichte er ihr sein Taschentuch (frisch gewaschen), damit die Fee sich abtrocknen konnte.
„Als erstes müssen wir herausfinden, wo deine Geschwister geblieben sind“, sprach Herr Lund und machte sich auf den Weg aus dem Park zurück nach Hause. „Am besten ist es, denke ich, wenn wir die Wasserfrau um Rat fragen. Sie weiß über manches Bescheid, was im Wald und der Umgebung vorgeht.“
„Die Wasserfrau? Ist das eine Art Hexe?“ fragte die Fee aus der Manteltasche heraus.
„Oh nein, sie ist keine Hexe“, lachte Herr Lund. „Obwohl ich eine Hexe kenne, eine recht mürrische. Sie lebt in einem Sumpf, weit entfernt von hier im Süd-Westen, zusammen mit ihrem fröhlichen Drachen. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Die Wasserfrau ist die Hüterin des Waldsees, und letztendlich des ganzen Waldes. Wenn deine Verwandten irgendwo in der Nähe des Waldes sind oder waren, dann wird sie es wissen.“
Und so machte Herr Lund sich auf den Rückweg vom Park zurück zum Wald. Still schritt er voran, das Geräusch des Regens, der weiterhin unvermindert auf den Schirm prasselte, half ihn beim Nachdenken. Die Fee in der Manteltasche hatte mittlerweile aufgehört vor Kälte und Nässe zu zittern, was ihn sehr beruhigte. Als er an seinem Haus ankam, holte er einen Schal heraus, in den die Fee sich einwickelte, und dann trat er in den Wald und machte sich auf den Weg zur Wohnstätte der Wasserfrau.
Die Wege waren vom Regen aufgeweicht, der Matsch machte das vorankommen schwierig, und so war es bereits Nachmittag als Herr Lund mit der Fee am Waldsee ankam. Er rief ein paar Worte in einer alten Sprache, und zuerst schien es nicht als hätte sie jemand gehört. Doch dann erhob sich eine Gestalt nah beim Ufer aus dem Wasser. Es war die Wasserfrau, sie trug ein dunkelgrünes Gewand, weißes Haar umrahmte ein Gesicht das wie das eines jungen Mädchens wirkte. Doch in ihren Augen lag das Wissen aus Jahrhunderten, wie tiefe Brunnen waren sie. Freundlich lächelnd trat sie aus dem Wasser, und mit sanfter Stimme sprach sie zu ihren Besuchern:
„Ich grüße dich, Herr Lund! Was führt sich an solch einen feinen Regentag zu meinem See?“
Er verbeugte sich höflich und antwortete: „Sei gegrüßt, verehrte Wasserfrau. Gemeinsam mit einer Fee in Not komme ich zu dir, und ersuchen dich um Rat und Hilfe.“
Mit diesen Worten holte er vorsichtig die Waldfee aus der Manteltasche, diese wirkte zuerst verängstigt, entspannte sich aber als sie in der Wasserfrau ein verwandtes Wesen erkannte. Die Fee berichtete erneut was ihr zugestoßen war, und als die Hüterin des Sees sich all dies angehört hatte, stand sie für einen Moment nachdenklich im Regen.
Dann sprach sie zu der Fee: „Schlimm ist was dir widerfahren ist. Doch bin ich froh, das Herr Lund dich gefunden und hierher gebracht hat. Zwar weiß ich nicht, wo deine Geschwister sich aufhalten, aber ich weiß, dass die Moorfeen dir helfen werden.“ Nun wandte sie sich an Herrn Lund und sagte: „Da ich meinen See nicht allein lassen kann, bitte ich dich, diese Fee zu ihren nahen Verwandten ins Moor zu bringen. Ich werde Nachricht an die Moorfeen aussenden, dass ihr beide zu ihnen kommen werdet. Der Weg ins Moor ist kein einfacher, schon gar nicht bei diesem Wetter, aber ich weiß, dass du ihn sicher gehen wirst, mein lieber Herr Lund.“
Herr Lund und die Fee bedankten sich bei der Wasserfrau, er verstaute die Fee wieder vorsichtig in der Tasche, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zum Moor. Die Wasserfrau winke ihnen zum Abschied, und sandte dann einen Boten zu den Moorfeen, damit diese ihre Gäste erwarten konnten.
Der Weg ins Moor war nicht einfach, aber Herr Lund war ihn schon oft gegangen, wenn auch nicht bei solch einem Regen. Es wurde bereits dunkel als er endlich den Rand des Moores erreichte, und zum Glück ließ nun der Regen auch langsam nach. Herr Lund hielt kurz inne um zu verschnaufen, es war ein anstrengender Tag gewesen, und so jung war er auch nicht mehr. Dann sah er sich nach Spuren der Moorfeen um, und auch die kleine Waldfee sah sehnsüchtig über den Rand der Manteltasche. Minuten vergangen, die wie Stunden wirkten, doch dann war in der Nähe ein schwaches Glühen zu sehen. Langsam wurde es heller, wechselte schnell von rot zu grün und blau und wieder zurück, und dann tauchten mehrere kleine geflügelte Wesen auf, die alle einen kleinen Regenschirm hielten. Sie waren etwas größer als die Waldfee und etwas robuster gebaut, sahen ihr ansonsten aber sehr ähnlich.
Eine von ihnen flog näher an Herrn Lund heran, und sagte:
„Uns hat Nachricht erreicht, dass eine Verwandte von uns in deiner Obhut ist?“
Herr Lund nickte freundlich und half der Waldfee aus seiner Tasche. Als die Fee vor ihm unter dem Schutz seines Regenschirms aufflog und die Moorfeen sie sahen, gab die, die zu ihnen gesprochen hatte, ein fiependes Signal, woraufhin noch mehr leises Geflatter zu hören war. Im Schutz von mehreren großen Blättern, die ein paar Moorfeen über sie hielten, kamen da die verlorenen Waldfeen angeflogen. Die Fee die mit Herrn Lund angekommen war konnte ihre Freude nicht verbergen und fiel ihren Geschwistern laut lachend um den Hals. Eine große Freude brach unter den Feen aus und auch Herr Lund stimmte in das freudige Lachen ein. Die Moorfeen und die Waldfeen bedankten sich vielfach bei ihm, nie würden sie seine Güte vergessen. Die Fee die er im Park gefunden hatte und hierher gebracht hatte, verabschiedete sich mit einem Kuss auf seine Nase, was Herrn Lund ein wenig verlegen machte. Und unter vielen Danksagungen trennten sie sich von einander, die Feen zogen sich in ihre Behausungen im Moor zurück, und Herr Lund machte sich auf den Weg nach Hause.
Es war ein langer Tag gewesen, und der morgen dämmerte bereits, als Herr Lund an seinem leicht schiefen Haus ankam. Doch er war glücklich, denn die Fee war mit ihren Verwandten wieder vereint worden und sie hatten eine neue Heimat bei den Moorfeen gefunden.
Und gerade als Herr Lund seinen Schlüssel ins Schloss seiner Haustür steckte, kletterte die Sonne über den Horizont und erleuchtete einen wolkenlos blauen Himmel.
Was für ein schöner Frühlingsbeginn.
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