Es war Sonntagabend und es wurde bereits dunkel. Der Parkplatz vor dem alten Lagerhaus war bis auf einen Kleinbus und ein paar Fahrräder leer. Nur selten kam jemand hierher, schon gar nicht so spät am Abend.
Vor einer guten Stunde waren die Mitglieder des geheimen Kultes eingetroffen, hatten das Gebäude unauffällig betreten und bereiteten seitdem alles vor, so wie sie es jeden zweiten Sonntag taten.
Alle Mitglieder kannten sich schon länger, waren Verwandte, Freunde oder Arbeitskollegen. Das erste mal hatten sie die uralte Entität noch aus einer Laune heraus beschworen, nach einer Party oder irgendeiner Veranstaltung. Wo das alte Buch herkam, wusste keiner von ihnen, aber das darin beschriebene Ritual hatte funktioniert.
Nach der Beschwörung waren der kleinen Gruppe zwei Dinge klar geworden. Zum einen, dass die Wesenheit nicht das war, was sie erwartet hatten, und zum anderen, dass sie die Beschwörung von nun an regelmäßig wiederholen würden.
Sie hatten Geld zusammengelegt um die alte Lagerhalle zu mieten, und in den letzten Wochen hatten sie dort alles nach ihren Bedürfnissen eingerichtet. Und so war das Lagerhaus ihr kleiner Tempel geworden, der Tempel des Kults des Rotidnok.
Die Vorbereitungen waren im vollen Gange. Es wurden Decken auf den im Rechteck aufgestellten Tischen ausgebreitet und die benötigten Utensilien und Geräte darauf verteilt. Dann zogen die Kultisten ihre Roben an, alle in weiß, manche mit Mustern.
Die Hohepriesterin wartete einen Moment bis sich jeder an seinen Platz begeben hatte, und nach einer kurzen Pause begann sie mit der Beschwörung. Die Kultisten stimmten nach und nach in den erstaunlich fröhlichen Singsang ein, und nach einem Augenblick flackerte die helle Beleuchtung einmal kurz auf und eine weiße Wolke erschien inmitten des Tischrechtecks.
Freude breitete sich auf den Gesichtern der Kultisten aus und alle hoben die Hände zum Gruß.
Eine sanfte tiefe Stimme erklang aus dem Inneren der Wolke:
„Ich grüße Euch, Menschenkinder! Seid Ihr bereit, erneut an der Weisheit des Rotidnok Anteil zu haben?“
Alle Kultisten bejahten dies mit großer Freude, und die Hohepriesterin sprach: „Großer Meister, lasst mich Euch erneut danken für Eure Weisheit, die Ergebnisse der letzten Lektion haben großen Anklang unter Euren Anhängern und deren Freunden gefunden!“
„Es bereitet mir große Freude, dies zu hören! Das Wohlbefinden meiner Menschenkinder ist mir sehr wichtig!“ Die Stimme aus der Wolke klang fröhlich, und auch ein wenig Stolz. Zwei große, aber sehr sanft wirkende Hände kamen aus der Wolke, mehrere Schriftrollen haltend. Dann sagte die Entität namens Rotidnok:
„Und nun seid bereit, meine heutige Weisheit zu hören! Ähhm, was hatte ich Euch beim letzten mal gelehrt?“
„Käsekuchen mit Rosinen, großer Meister“, antwortete die Hohepriesterin freundlich.
„Ah ja!“, sagte Rotidnok, und alle bis auf eine Schriftrollen verschwanden. „Dann hört was ich Euch heute lehren will: Streuselkuchen mit Kirschen!“
Daraufhin begann die Wesenheit die Zutaten aufzuzählen, welche seine Anhänger notierten, und zugleich förderten die Arme alles benötigte aus der Wolke zutage.
Und unter der Anleitung ihres uralten Meisters begannen die Kultisten Kuchen zuzubereiten und zu backen, die köstlicher waren als alles was Menschen jemals hergestellt hatten.
Bei jedem Treffen lernten die Mitglieder des Kultes neue wunderbare Kuchenrezepte, was sie weithin bekannt machte. Die uralte Entität Rotidnok hatte große Freude daran, sein gewaltiges Wissen über Kuchen und Konfekt an die Menschen weiterzugeben, denn es brachte ihnen Glück und Harmonie.
Liebevoll blickte er auf seine Anhänger hinab und dachte sich:
„Warum andere Entitäten wohl immer Opfer und Unterwürfigkeit fordern? Wenn die Menschen froh sind ist es doch viel schöner!“ Dann lachte er laut auf und kümmerte sich wieder um die Kuchen.
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