Ich erinnere mich noch an das grelle Licht, das mich umgeben hatte, als ich gestorben war. Ein Moment der Blendung, gefolgt von völliger Dunkelheit, während ich mich schwerelos durch den Raum zu bewegen schien. Es war eine seltsame Erfahrung, als ob ich in einem schwebenden Traum gefangen wäre, aus dem es kein Erwachen gab. Ich spürte eine warme Präsenz um mich herum und wusste nicht, ob es real oder nur meine Einbildung war. Dann hörte ich eine Stimme, die zu mir sprach. Es war eine sanfte, weibliche Stimme, die mich beruhigte und sagte, dass alles in Ordnung sei.
Schließlich öffnete ich meine Augen und mein Blick wurde von einem völlig unbekannten Raum gefangen. Ich lag auf einer weichen, warmen Oberfläche und konnte mich nicht bewegen oder sprechen. Mein Körper fühlte sich fremd an, als ob er nicht meiner war. Alles um mich herum erschien groß und altmodisch, als würde ich in einer längst vergangenen Zeit gefangen sein. Nach einiger Zeit gelang es mir, mich ein wenig zu bewegen. Meine Arme und Beine waren winzig und zart, ich erkannte, dass ich in einem Babykörper gefangen war. Ein überwältigender Schock durchzog mich: Ich war ein Baby! Die Realisierung traf mich wie ein Schlag und ich konnte nicht anders, als laut zu weinen und zu schreien. Verzweiflung und Angst erfüllten meinen kleinen Körper. Doch meine Schreie blieben unbeantwortet. Niemand kam, um nach mir zu sehen, was mir ein noch größeres Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit gab. War es nicht üblich, dass man sich um ein schreiendes Neugeborenes kümmerte? Ich fühlte mich verloren und verängstigt.
Doch plötzlich hörte ich Schritte, die sich dem Raum näherten. Eine Frau mit braunen Haaren, die zu einem strengen Dutt zusammengesteckt waren, blickte auf mich herab. Ihre Miene verriet keine Freundlichkeit, sondern eher Verärgerung oder gar Abscheu. Obwohl ich ihre Worte nicht verstand, spiegelte ihr Gesichtsausdruck deutlich wider, dass es nichts Nettes war, was sie von mir dachte. Sie packte mich grob und hielt mich wie einen Sack Reis. Ein stechender Schmerz durchzog meinen Körper und ich konnte nicht anders, als vor Schmerz laut aufzuschreien. "Das tut weh!", brüllte ich, doch aus meinem Mund kamen nur lautes Geheul und Schluchzen.
Wir verlassen den Raum und ich wage es, mich etwas umzusehen. Die Menschen um mich herum scheinen meine Anwesenheit zu ignorieren, als wäre ich unsichtbar. Sie tragen Kleidung, die wie die Dienstbekleidung aus dem Mittelalter aussieht, und ihre Sprache ist mir völlig fremd. Mein Kopf pocht vor Schmerzen und Übelkeit überkommt mich plötzlich. Meine Sicht wird verschwommen und alles um mich herum wird langsam schwarz.
Als ich wieder zu mir komme, finde ich mich in einer düsteren, kalten Umgebung wieder. Der Geruch von feuchtem Mauerwerk und modrigem Holz erfüllte die Luft. Der Raum war spärlich beleuchtet, nur ein schwaches Licht drang durch das kleine schmale Fenster, das mit dicken Gitterstäben versehen war. Es wirkte, als ob es Jahrhunderte her war, seit das letzte Sonnenlicht diesen Raum berührt hatte. Die Wände des Raumes waren aus grauem, abgeblättertem Putz, an einigen Stellen zeichneten sich feuchte Flecken ab. Die Steine darunter waren rau und uneben, als ob die Zeit an ihnen genagt hätte. Die Ecken waren von dunklen Schatten durchzogen, die unheimliche Formen anzunehmen schienen und das Gefühl der Beklemmung verstärkten.
In einer Ecke des Raumes stand ein zerbrochener Holztisch, dessen einst glatte Oberfläche von zahlreichen Kerben und Brandspuren gezeichnet war. Ein paar abgenutzte Stühle mit losen Sitzpolstern umgaben den Tisch, deren einst prächtige Polsterung nun zerrissen und verstaubt war. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein heruntergekommenes Regal, das von der Last der vergangenen Jahre zu erdrücken schien. Die Holzbretter waren verbogen und gebeugt, manche sogar gebrochen, und die wenigen verbliebenen Gegenstände darauf wirkten vernachlässigt und wertlos. Einige zerbrochene Tontöpfe, rostige Werkzeuge und vergilbte Schriftrollen und Bücher.
Der kalte, staubige Boden bestand aus groben Steinplatten, die uneben und mit Spalten durchzogen waren. Der Boden schien jahrhundertelang die Last vieler Schritte und das Leid vieler Gefangener getragen zu haben. Es war ein Ort, der von dunklen Erinnerungen und traurigen Geschichten erfüllt war. In diesem kleinen schäbigen Raum schien die Zeit stillzustehen, als ob er vergessen und verlassen worden wäre.
Stunden vergehen, doch niemand kommt, um nach mir zu sehen. Kalte Tränen strömten unaufhaltsam über meine Wangen. Ich konnte nicht anders, als zu weinen und zu schluchzen. Mein Körper schmerzte, doch was noch schlimmer war, war die quälende Ungewissheit, die mich umgab. Warum befand ich mich hier? Würde ich jemals meine geliebte Familie und meine Freunde wiedersehen? Während ich in meinem Selbstmitleid versank, wurde der Raum allmählich heller. Kleine, leuchtende Farbbälle begannen, sich um mich herum zu versammeln. So etwas hatte ich zuvor noch nie gesehen. Die Schmerzen ließen nach und eine wohltuende Wärme erfüllte meinen Körper.
Einige Jahre vergingen, in denen ich viel über die Welt, in der ich gefangen war, erfahren hatte. Es war eine Welt voller Magie, Monstern und anderen faszinierenden magischen Wesen. Ich befand mich im Königreich Azariel im Süden. Mein Vater war ein angesehener Herzog, der sowohl bei der Kirche als auch bei der Königsfamilie einen hohen Status genoss. Seine Familie wurde wegen ihrer Heilmagie als Heilige verehrt und als Boten Gottes angesehen. Meine Mutter hingegen war eine Nonne, die meinem Vater unterstellt war. Doch sie wurde getötet, weil sie mich zur Welt brachte. Die Gerüchte besagten, dass sie eine Dämonin gewesen sei, die meinen Vater verzauberte. Doch die Wahrheit war eine ganz andere. Mein Vater hatte sich meiner Mutter aufgedrängt, und als die Wahrheit ans Licht zu kommen drohte, webte er diese abwegige Geschichte.
(Haru's Mutter)
Zudem erfuhr ich, dass mein Vater bereits verheiratet war und zwei weitere Kinder hatte. Somit hatte ich eine große Schwester und einen älteren Bruder. Dennoch hatten sie mich bisher nicht einmal besucht. Ich wurde abgeschottet und in einem Raum auf dem Anwesen unserer Familie gefangen gehalten. Mein weißes Haar und meine roten Augen wurden als schlechtes Omen betrachtet, und die Bediensteten waren überzeugt, dass ich ein Dämon sei.
Trotz allem fühlte ich mich nicht allein, denn ich hatte die Lichter um mich herum. Sie entpuppten sich als Naturgeister, die sich mir in Form kleiner leuchtender Bälle zeigten. Mit der Zeit gelang es mir, mit ihnen zu kommunizieren. Sie sprachen zwar keine Worte, doch ich konnte ihre Gedanken und Bilder in meinem Geist empfangen. Sie brachten mir die Sprache bei und berichteten mir von den Ereignissen außerhalb meiner Gefängniszelle. Ohne sie wäre ich vermutlich längst dem Tod erlegen. Sie brachten mir Obst, Gemüse und Wasser, und mit ihrer magischen Kraft wuschen sie mich, auch wenn mir dies anfangs äußerst peinlich und unangenehm war. Alle paar Tage oder Wochen kam eine Bedienstete, um mir verrottete Nahrung und einen Becher Wasser zu bringen. Jedes Mal wurde ich beschimpft und als Monster bezeichnet. Mir fiel auf, dass scheinbar nur ich die Naturgeister sehen konnte, da die anderen keine Reaktion auf sie zeigten. Sie waren meine einzigen Begleiter in dieser düsteren Welt und schenkten mir Geborgenheit und Hoffnung.
Die Jahre vergingen und ich wuchs heran, doch meine Situation änderte sich kaum. Ich blieb weiterhin in meiner engen Gefangenschaft gefangen, von der Außenwelt isoliert und von meiner eigenen Familie vergessen. Es gab Momente, in denen ich verzweifelt war und mich nach Freiheit und einem normalen Leben sehnte. Doch dann erinnerte ich mich an die Worte der Naturgeister, die mir Mut zusprachen und mich daran erinnerten, dass ich einzigartig und wertvoll war, ungeachtet der Ablehnung und des Hasses, denen ich begegnete.
So vergingen weitere Tage, und ich fand Trost in den Geschichten und Legenden, die mir die Naturgeister erzählten. Sie erzählten von tapferen Helden, von magischen Artefakten und von einer Welt jenseits meiner eingeschränkten Existenz. Ich begann zu träumen, von Abenteuern und von einem Leben voller Freiheit und Möglichkeiten. Und in meinen Träumen fühlte ich mich lebendig, stark und voller Hoffnung.
Obwohl ich in einem kleinen, schäbigen Raum gefangen war, war mein Geist frei. Ich war entschlossen, mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und meine eigene Geschichte zu schreiben. Die Naturgeister waren meine Verbündeten, und mit ihrer Hilfe würde ich einen Weg finden, aus dieser düsteren Gefangenschaft auszubrechen und mein Leben diesmal ohne Einschränkungen, ohne mich zu verstellen zu Leben.
Inzwischen war ich etwa acht Jahre alt, als erneut eine Bedienstete meinen Raum betrat. Doch dieses Mal war etwas anders. Das Essen, das sie mir brachte, war frisch und noch warm. Der verlockende Duft stieg mir in die Nase, und es war das erste Mal seit Jahren, dass ich etwas so Köstliches roch. Die Naturgeister umschwirrten das Essen wild und versuchten, es mir wegzunehmen. Die Worte "Gefahr" und "Giftig" hallten in meinem Kopf wider. Das Essen war also vergiftet. Wie sehr ich es auch begehrte, ich wusste, dass ich es nicht essen durfte. Die Naturgeister schrien förmlich in meinem Kopf, als würden sie mich vor der Gefahr warnen. Enttäuscht ließ ich meinen Kopf sinken und flüsterte vor mich hin: "Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, dieses Essen zu genießen?"
In diesem Moment hörte ich ein lautes Knallen. Eins der wenigen Bücher, die im Regal verblieben waren, fiel zu Boden. Es war kaum lesbar und ein modriger Geruch hing ihm an, doch ich konnte einige Zeilen entziffern. Es handelte von Heilmagie und der Fähigkeit der Reinigung. Dank der Hilfe einiger Naturgeister gelang es mir, die Worte zu verstehen. Doch bisher hatte ich noch nicht die Fähigkeit entwickelt, Magie einzusetzen.
Die Naturgeister können nur Elementarmagie verwenden dazu gehört Wasser-, Feuer-, Erde- und Luftmagie. Es gibt noch andere Magiearten wie Dunkle- oder Lichtmagie, zu der auch die Heilmagie gehört. Bis jetzt hatte ich mich nur an der Elementarmagie versucht, die mir die Naturgeister geduldig versuchten beizubringen doch leider ohne Erfolg. Meine „Familie" gehört zu dem mächtigsten Heiler des Landes, wenn nicht sogar auf der Welt. Vielleicht ist es ja erblich und ich besitze auch einige Heilkräfte, da ich zum Teil ja auch „heiliges Blut" besitze.
Ich fragte mich, ob ich vielleicht über natürliche Heilkräfte verfüge, die in mir schlummern. Mit der Unterstützung der Naturgeister konnte ich nur hoffen, meine eigenen magischen Fähigkeiten zu entdecken und zu entfalten. Die Seiten des alten Buches raschelten in meinen Händen, während ich mich darin vertiefte und von den Möglichkeiten träumte, die mir die Heilmagie bieten könnte.

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