Gemeinsam mit Isabella und Raven begab ich mich zum prächtigen Speisesaal, wo ein köstliches Frühstück auf uns wartete. Tatsuya, der Herzog, bat mich jedoch, schon einmal vorauszugehen, da er noch einige Dinge zu erledigen hatte. Während ich den Saal betrat, spürte ich, dass sich die Atmosphäre im Anwesen seit meiner Ankunft verändert hatte. Sowohl die Angestellten als auch der Herzog und seine Ritter schienen mir nun wohlgesonnen zu sein. Es war ein Gefühl der Geborgenheit, das ich schon lange nicht mehr empfunden hatte und das mich umso mehr motivierte. Ich war mir zwar bewusst, dass ihre Freundlichkeit nicht nur auf reiner Barmherzigkeit beruhte, aber das störte mich nicht. Wenn sie mich benutzen wollten, dann konnte ich sie ebenso für meine Zwecke nutzen. Schließlich war ich genauso auf ihren Schutz angewiesen, wie sie von meiner Magie abhängig waren.
Als wir den Saal betraten, entdeckte ich Ryota bereits an einem der Tische sitzend. Ein warmes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und ich erwiderte es mit Freude. Manchmal erinnerte er mich an meine kleine Schwester aus meinem vorherigen Leben. In diesem Moment überkamen mich Gedanken an meine Familie. Wie mochte es meiner Schwester wohl gehen? Was trieb sie heute? Falls die Zeit hier ähnlich verlief wie in meiner alten Welt, müsste sie mittlerweile in ihren Dreißigern sein. Hatte sie vielleicht schon eine eigene Familie gegründet? Und wie ging es meinen Eltern? Diese Fragen und Gedanken zogen mich tief in ihren Bann, und ich verlor mich fast darin, bis ich plötzlich eine Berührung an meinem Arm spürte.
Ryota hatte seine Hand sanft auf meinen Arm gelegt und betrachtete mich besorgt. "Ist alles in Ordnung?", fragte er mitfühlend. Der Kummer, den ich immer noch wegen meiner früheren Familie empfand, spiegelte sich wohl in meinem Gesicht wider. Mir war schon lange bewusst, dass ich sie nie wiedersehen würde, aber selbst nach all den Jahren fühlte es sich manchmal an, als hätten wir gestern gemeinsam gefrühstückt und als wäre all das hier nur ein Traum.
Ich zwang mich zu einem Lächeln und legte meine Hand auf Ryotas. "Es ist alles in Ordnung, Ryota. Ich war nur für einen Moment in meinen Erinnerungen gefangen", antwortete ich ihm mit einem Hauch von Wehmut in meiner Stimme. Ryota nickte verständnisvoll und ließ seine Hand langsam von meinem Arm gleiten. Es war berührend zu sehen, wie einfühlsam er war und wie sehr er sich um mein Wohlbefinden sorgte.
Wir nahmen unsere Plätze ein und begannen, das köstliche Frühstück zu genießen. Der Speisesaal war in ein warmes Licht getaucht, und der Duft von frischen Brötchen und dampfendem Kaffee erfüllte die Luft. Es war ein wahrer Genuss für die Sinne. Während wir uns amüsierten und uns über unsere Pläne für den Tag austauschten, wurde mir bewusst, dass wir eine wichtige Aufgabe vor uns hatten. Wir mussten Menschen finden, die an derselben mysteriösen Krankheit litten wie Ryota zuvor. Es war von großer Bedeutung herauszufinden, ob mein Heilmittel auch in anderen Fällen wirksam sein konnte und wie viele Leben wir damit retten könnten.
Nachdem wir unser Frühstück beendet hatten, erhoben wir uns von unseren Plätzen und verließen den Speisesaal. Tatsuya erschien nicht mehr, vermutlich hatte er andere wichtige Angelegenheiten zu erledigen. Ryota verabschiedete sich, da er zum Unterricht musste, und ich begab mich erneut in mein Alchimielabor, um weitere Tränke herzustellen.
Da ich nun den Dreh heraus hatte, ging die Herstellung ziemlich schnell voran, und bald hatte ich weitere Kisten mit Heiltränken fertiggestellt. In diesem Moment klopfte Wolfram an die Tür. Er informierte mich, dass alles für meine Reise in die Stadt vorbereitet sei und ich jederzeit aufbrechen könne. Ich warf einen kurzen Blick in mein Labor. Ich hatte mittlerweile etwa drei Kisten voller Tränke, und es war noch nicht einmal Mittag. "Dann möchte ich gerne jetzt abreisen", sagte ich entschlossen. Wolfram sah mich etwas überrascht an. Offensichtlich hatte er erwartet, dass ich mehr Zeit benötigen würde. Doch ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, und er nickte zustimmend. "Dann lasse ich die Kisten sofort verladen", erklärte er.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Vorhof des Anwesens, wo bereits eine prächtige Kutsche auf uns wartete. Raven und Isabella stiegen mit mir ein, während uns die drei Ritter begleiteten. Es waren der einhändige Ritter, der Ritter der unter einer Erkältung gelitten hatte, und der Ritter mit der Augenklappe, obwohl diese nun nicht mehr notwendig war, da sie alle dank meiner Heiltränke geheilt worden waren.
Die Tür der Kutsche öffnete sich erneut, und Tatsuya trat schweigend ein, um sich neben mich zu setzen. Isabella und Raven, die uns gegenübersaßen, sahen ihn verblüfft an. Es war das erste Mal, dass sie ihn in einer Kutsche mitfahren sahen. Normalerweise ritt er stets auf seinem Pferd, da er Kutschen als zu umständlich empfand und sie als Nachteil bei einem möglichen Angriff ansah. Sobald die Kisten hinten auf der Kutsche verstaut waren, setzten wir uns in Bewegung.
Auch ich konnte meinen Blick nicht von Tatsuya abwenden, doch als wir das Anwesen hinter uns gelassen hatten, wandte ich meinen Blick aus dem Fenster. Ich wollte mir die Umgebung genau einprägen. Der Weg war holprig und mit einer dicken Schneedecke bedeckt. Die Fahrt dauerte etwas länger als vierzig Minuten. Mit dem Pferd hätte die Strecke vermutlich nur halb so lange gedauert.
Schließlich erreichten wir die Stadt, die von einer massiven Steinmauer umgeben war. Zwei Ritter standen vor einem großen Tor und bewachten den Eingang. Als sie die Kutsche und die Ritter sahen, öffneten sie das Tor ohne jegliche Widerworte. Die Stadt selbst war nicht sehr groß und hatte einen eher rustikalen Charme. Die meisten Häuser waren aus Holz und von einfacher Bauweise. Es gab nicht wirklich viel zu sehen. Einige Leute standen um ein Lagerfeuer herum und unterhielten sich. Sie waren alle bewaffnet und wirkten wie Jäger. Selbst die Frauen waren muskulös und trugen Hosen. Man konnte ihnen ansehen, wie hart ihr Leben sie gemacht hatte.
Ich war beeindruckt von der Stärke und Entschlossenheit der Menschen hier. Es war offensichtlich, dass sie sich auf eine harte und gefährliche Umgebung eingestellt hatten. Ich war gespannt darauf, sie kennenzulernen und zu sehen, ob ich ihnen mit meinen Heiltränken helfen konnte.
Die Kutsche hielt im Stadtzentrum, wo sich ein alter, vertrockneter Baum befand. Auf den ersten Blick wirkte er abgestorben, doch um ihn herum schwirrten einige Naturgeister, was meine Neugierde weckte. Tatsuya stieg als Erster aus, gefolgt von Isabella und Raven. Als ich aus der Kutsche stieg, reichte mir Tatsuya seine Hand, und ich nahm sie dankend an. Seine Hand fühlte sich rau an und trug Narben, vermutlich von vielen Jahren des Schwertkampfes. Inzwischen hatten sich einige Bewohner der Stadt versammelt. Sie waren offenbar neugierig, warum der Herzog so plötzlich in die Stadt gekommen war.
Ein älterer Mann mit grauem Haar und Fuchsohren näherte sich uns und verbeugte sich voller Hochachtung. "Wir grüßen euch, Herzog Drakonov. Wie kann ich euch behilflich sein?", sagte er mit Ehrerbietung in der Stimme. Tatsuya blickte mich kurz an, und ich spürte, wie alle Blicke auf mich gerichtet waren und leises Getuschel sich in der Menge ausbreitete. "Sagt allen Verwundeten und Kranken, sie sollen herkommen", antwortete Tatsuya knapp. Der Mann nickte erstaunt und begann sofort, seinen Worten Folge zu leisten.
Während die Ritter die Kisten entluden, versuchte ich, meine Aufmerksamkeit von den neugierigen Blicken abzulenken und ging auf den Baum zu. Es war ein imposanter alter Baum. Ich legte meine Handfläche auf den rauen Baumstamm. Von außen wirkte er vertrocknet und tot, doch in seinem Kern schien noch ein Funken Leben zu glimmen. Ich atmete tief ein und blendete die skeptischen Blicke aus, die weiterhin auf mir ruhten. Meine Magie floss durch meine Handfläche in den Baum. Der Baum begann zu knirschen, und seine Rinde, die zuvor trocken und dunkelbraun gewesen war, wurde nun saftig braun. Die Zweige richteten sich auf, und der Schnee schmolz von ihnen ab. Grüne Blätter erblühten. Doch ich hörte nicht auf. Der Baum wuchs noch weiter, und saftige Äpfel begannen an den Ästen zu wachsen. Es war ein uralter Apfelbaum. Jedoch waren die Äpfel nicht grün oder rot, sondern von einem strahlenden Dunkelblau.
Die Augen der Menschen waren voller Erstaunen, als ich den blauen Apfel pflückte und genussvoll hineinbiss. Der süße Saft vermischte sich mit meinem Lächeln, während ich den köstlichen Geschmack des Apfels genoss. Die Menge verfolgte jede meiner Bewegungen gespannt, als ich weitere Äpfel pflückte und sie in meinen Händen hielt. Die Schönheit und Einzigartigkeit der blauen Früchte strahlten regelrecht in der kalten Winterluft.
Inmitten der Zuschauer entdeckte ich ein kleines Mädchen, deren hungriger Blick auf die Äpfel gerichtet war. Sie biss sich aufgeregt auf die Lippen und konnte ihren Blick kaum von den verlockenden Früchten abwenden. Mitfühlend ging ich zu ihr und streckte ihr den Apfel entgegen. Zuerst zögerte sie, als ob sie es kaum glauben konnte, dass sie einen der wundervollen blauen Äpfel bekommen sollte. Doch schließlich siegte ihre Neugierde und Freude, und sie nahm den Apfel mit einem strahlenden Lächeln an. Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung, als sie hineinbiss und den süßen Geschmack auf ihrer Zunge spürte. Es war ein Moment des Glücks, der sich wie eine Welle der Zufriedenheit über die Menschenmenge ausbreitete.
Die anfängliche Skepsis und Zurückhaltung der Menschen begann langsam zu schwinden. Als sie sahen, dass der blau schimmernde Apfel nicht nur einzigartig in seiner Erscheinung war, sondern auch einen außergewöhnlichen Geschmack hatte, wurden ihre Gesichter von Begeisterung und Verwunderung erhellt. Mutig wagten sie sich nach und nach zum Baum, um sich ebenfalls einen Apfel zu nehmen. Die Menge wurde immer lebhafter, während die Menschen die blauen Äpfel genüsslich verspeisten. Worte des Lobes und der Überraschung hallten durch die Straßen der Stadt.
Inmitten des Getümmels überreichte ich auch Tatsuya, Isabella, Raven und den Rittern einen Apfel. Tatsuyas Blick blieb fasziniert auf dem blauen Apfel haften. Seine Augen schienen von einer unergründlichen Neugierde erfüllt zu sein. Statt den Apfel sofort zu essen, steckte er ihn behutsam in eine Tasche, als ob er dessen Einzigartigkeit für spätere Betrachtungen bewahren wollte. Es war deutlich zu erkennen, dass dieser blaue Apfel für ihn mehr als nur eine Frucht war.
Die Szene war wie aus einem Märchen. Die Menschen genossen die köstlichen Früchte und feierten die wundersame Verwandlung des einst vertrockneten Baums. Als die Menge immer größer wurde und sich die verletzten und kranken Menschen vor mir versammelten, spürte ich die Anspannung in der Luft. Die Ritter waren wachsam und besorgt, da die Menschenmenge auch eine potenzielle Gefahr darstellte. Die erste Person trat schließlich vor, und ich begann mit der Heilung. Isabella dokumentierte die Symptome und Behandlungen gewissenhaft, während ich die Heilmittel verteilte.
Der Andrang wurde immer stärker, und Menschen mit verschiedenen Verletzungen und Wunden traten vor. Es gab Verstauchungen, gebrochene Knochen, Biss- und Kratzspuren und vieles mehr. Doch auch diejenigen, die von der mysteriösen Krankheit betroffen waren, sorgten für Unruhe in der Menge. Viele hatten Angst, sich anzustecken, und einige von ihnen waren in einem sehr schlechten Zustand, weshalb sie Unterstützung beim Gehen benötigten. Die Spannung war förmlich spürbar, als sie darauf hofften, dass mein Heiltrank auch bei ihnen wirken würde.
Zu meiner großen Überraschung erwies sich mein Heilmittel als äußerst effektiv. Es übertraf meine Erwartungen bei Weitem und schien alles zu heilen, was ich damit behandelte. Einzig die Regeneration von Gliedmaßen schien nicht möglich zu sein. Ich begann mich zu fragen, ob mein Heilmittel nicht zu mächtig war. Es schien beinahe so, als würde es die Rolle anderer Heiler komplett nutzlos machen. Ich fragte mich, wie wirksam herkömmliche Heiltränke normalerweise waren und ob meine Lösung nicht zu stark war.
In diesem Moment wandte ich mich Tatsuya zu, in der Hoffnung, dass er mir einige Antworten auf meine Fragen geben konnte. Er hatte ein breites Grinsen auf den Lippen, und es war offensichtlich, dass er mit den Ergebnissen mehr als zufrieden war. Sein Blick strahlte eine Mischung aus Stolz aber auch Gier aus.

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