"Ich denke es ist Zeit für ein privates Gespräch zwischen uns beiden, während die Crew sich über deinen Fall bespricht."
Hatte ich richtig gehört? Ich sollte mit dem Captain alleine sprechen? Dem gefährlichsten Captain auf dem ganzen Atlantik? Nachdem er höchstwahrscheinlich gerade erraten hatte, was meine Präferenzen waren?
Erneut überkam mich die Panik. Konnte ich nicht eine Leibwache oder Anstandsdame mitnehmen? Babette vielleicht? Sie war mir gegenüber am freundlichsten eingestellt und erschien zudem auch noch stark.
Ich traute mich jedoch nicht zu protestieren und so folgte ich Antonio alleine in seine persönliche Kajüte.
Er legte Federhut und Mantel ab und griff nach Zündhölzern.
Unter Antonios Hut waren lange braune Haare zum Vorschein gekommen, die er zu einem Zopf gebunden hatte.
Mit klopfendem Herzen wartete ich, bis er einige Kerzen angezündet hatte.
Der kleine Raum war mit einem Bett, mehreren Bücherschränken mit verglasten Türen und einem vollgestellten Schreibtisch möbliert.
An diesen Schreibtisch lehnte sich der Captain und verschränkte seine Arme, die von einigen Tätowierungen gezeichnet waren.
Ein paar Sekunden, die mir wie Minuten erschienen, sah er mich streng an.
Sein Gesicht war unter dem linken Auge von einer Narbe geziert, die mir zuvor nicht aufgefallen war und am Kinn trug er einen kleinen Bart, der in einer dünnen Linie seinem scharfen Unterkiefer folgte.
Nichts war zu hören als das Knirschen der Planken und das Gurgeln des Wassers.
Schließlich hielt ich die Stille nicht mehr aus und fragte: "Euer Ehren, Ihr habt mich zu einem privaten Gespräch gebeten?"
Antonio lächelte sanft und sprach: "Phillip, im Laufe meines Lebens habe ich gelernt, wer mich überaus förmlich anspricht versucht mich zu hintergehen."
Ohne zu zögern antwortete ich: "Sobald mir eine weniger förmliche Anrede gestattet ist, werde ich sie gern benutzen!"
Spöttisch kommentierte er: "Nein, eine Vergangenheit bei den Freibeutern hast du sicher nicht, mit deiner feinen Aussprache. Warum magst du dann den Weg auf mein Schiff gesucht haben?"
"Wie ich vorhin bereits sagte…", begann ich, doch Antonio hob die Hand und sofort schwieg ich.
"Ich erwähnte vorhin bereits einige Tugenden meiner Crew… Ach, und sprich mich an mit Captain oder einfach Antonio."
Ich nickte gehorsam und er fuhr fort: "Zu Respekt und Zusammenhalt kommen noch einige weitere Dinge, man möchte sagen, ein Code, der unser Verhalten bestimmt. Darunter das Recht zur eigenen Meinung, deshalb bespricht in dieser Sekunde die gesamte Crew, ob sie dich in ihrer Mitte haben wollen. Was die Crew entscheidet gilt und ich werde deren Meinung folgen. Es zählt außerdem absoluter Gehorsam in einer Situation der Not. Was ein Captain befiehlt wird ausgeführt bis zum Ende der Situation oder zum Ende des eigenen Lebens."
Ich schluckte, nickte jedoch abermals.
"Der Titel des Captain geht auf Smilla über, wenn ich ohne Besinnung oder nicht auffindbar wäre."
Antonio machte eine kurze Pause, in der er mit gerunzelter Stirn etwas in einem Bücherschrank betrachtete. Dann sah er mir fest in die Augen und fuhr leise und bedrohlich fort:
"Eine weitere Tugend ist die Ehrlichkeit. Deswegen solltest du mir die Wahrheit erzählen, bevor wir uns die Entscheidung der Crew anhören."
Ich sah erschrocken zu Boden. Was nun? Wieviel konnte ich erzählen ohne in Gefahr zu kommen? Wieviel musste ich erzählen um hier bleiben zu dürfen?
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