Liebes Tagebuch, die Nacht war durchwachsen. Immer wieder habe ich zu der Leinwand gestarrt, lauernd ob der Geist abermals erscheint. Der Gestank in meiner Wohnung scheint beißender zu werden. Als ich heute Morgen mein Fenster öffnete, wurde ich von einer Herrscharr Fliegen heimgesucht. Es ist so widerlich. Sie sind einfach überall , ihr Brummen ist fast schlimmer als das Klopfen. Seit Stunden versuche ich sie zu erschlagen, doch sie scheinen immer mehr zu werden. Ich werde Fallen aufhängen und einen dieser Luftfilter kaufen. Ich habe langsam das Gefühl nicht mehr atmen zu können in meinen eigenen Wänden, die Kälte hier scheint mich wie einzufrieren. Meine Recherche zu dem Okkult Shop meines Nachbarn hat nichts zutage gefördert. Er verkauft Kräuter und dieserlei Dinge. Die Seite war überraschend wenig "Dämonisch" keine Pentagramme oder schwarze Kerzen. Wieder und wieder frage ich mich, ob ich halluziniere, das Porträt verflucht ist oder mein Nachbar mich in den Irrsinn treiben will. Doch was sollte er davon haben? Welche Motivation könnte dahinterstecken? Ich habe kaum je ein Wort mit ihm gesprochen. Wir leben in keiner Stadt, in der es nötig wäre jemanden umzubringen, um eine Wohnung zu erhalten. Ich habe nichts in meinem Heim, das von solchem Wert wäre, dass es sich lohnen, würde mich herauszutreiben. Blieb nur noch das er es tut aus reiner Bosheit. Dann wieder wirkte er nicht so. Ja, ich hielt ihn für merkwürdig, vorwiegend seine starrenden Augen, aber traute ich ihm solche Taten zu? Aber waren es nicht immer die, denen man es nicht zutraute? Ich komme auf keinen Gedanken zu der Vermutung, die mich zufriedenstellt. Ich habe eine Liste begonnen, mit den Vorkommnissen begonnen. Wann, wie und wo sie begonnen haben. Alles fällt auf den Tag, an dem ich auf dem Flohmarkt dieses Porträt gekauft habe. Dennoch weigere ich mich, an einen Fluch zu glauben. Es fällt mir leichter, die Geistererscheinung mit einer Halluzination zu erklären.

Ich glaube, was am meisten an meinen Nerven zerrt, ist diese Hilflosigkeit. Was kann ich tun? Das Bild verkaufen? Umziehen? Mich an einen Therapeuten wenden? Meinen Nachbarn mit meinem Verdacht konfrontieren? Bei der Hausverwaltung einen neuen Handwerker verlangen? Mir erscheint jede Option aussichtslos. Ich fühle mich hoffnungslos.

Das Einzige, auf das ich momentan mit Spannung warte, ist die E-Mail meines Bekannten mit dem Transkript des Tagebuchs des Wanderers. Ich gebe zu, dass mich die Legende um die Burgruine lockt. Könnte der Mann auf dem Porträt ein Frauenmassenmörder sein? Wollte deswegen niemand etwas mit dem Gemälde zu tun haben? Den Gedanken habe ich wieder verworfen. Schließlich gab es über jeden noch so abartigen Kriminalfall einen True-Crime-Podcast oder Serie etc. Sicher hätte sich da schon jemand drauf gestürzt. Zumal mir die Geschichte auch sehr nahe an dem Märchen von Blaubart war. Ich habe versucht mehr über die abgebrannte Burg herauszufinden, aber auch hier hatte ich kein Glück, selbst auf Wikipedia ist lediglich die Existenz vermerkt. Mein Bauchgefühl ist jedoch der Meinung, dass ich auf einer Spur bin, die sich lohnt. Ich werde die Mail abwarten, ehe ich mich an weitere Stellen wende.

Zu dem Brummen der Fliegen mischt sich dumpfes Klopfen...