Liebes Tagebuch,
ich habe schlechter geschlafen als je zuvor in meinem Leben. Ob es der Eintrag des Wanderers war oder der äußerst merkwürdige Besuch im Café mit meinem Nachbarn, ich vermag es nicht zu sagen. Daher verzeih, wenn dieser Eintrag heute nur einen Teil enthält, ich trage den Rest nach.
Vielleicht sollte ich dir zuerst von dem äußerst sonderbaren Treffen im Kaffee erzählen. Ehrlich gesagt war mir schon vor dem Losgehen etwas mulmig zumute. Nicht nur, weil ich mich mit meinem Nachbarn treffen würde, ich per se für wenigstens suspekt hielt sondern, auch weil ich das Porträt mitbringen sollte und damit auch meinen Hausgeist.
Das Gemälde, eingeschlagen in Laken war ich zwanzig Minuten vor der Zeit da. Das Café lag nur wenige Gehminuten von meiner Wohnung entfernt. Es war ein kleines eher altbackenes Geschäft, das vorwiegend Seniorinnen zum Kaffeeklatsch über verstorbene beherbergte, als eins dieser hippen Teile in denen sich woke Studenten trafen.
Die Bedienung zuckte nicht einmal mit der Wimper, als sich mich mit meinem übergroßen Gepäck sah, sondern wies mir einen Tisch am Ende des Ladens zu. Möglichst ohne eine der anwesenden Damen K.O. zu schlagen, mit dem Bild schaffte ich es zu dem Platz. Ich positionierte das Gemälde neben mich, als sei es mein Ehemann und genoss, nachdem ich einen heißen Kakao geordert hatte, den eigentlich wundervollen Ausblick durch das Fenster. Leichter Regen hatte eingesetzt und man konnte beobachten, wie in der kleinen Gasse plötzlich hektische Bewegungen entstanden. Es war fast wie in einem dieser französischen Filme. Fast, weil in den meisten französischen Filmen die ich kannte, was nicht viele waren, sich kein Geist einem gegenübersetzte um mit hinauszusehen. Hin und wieder glitt sein Blick zu mir und er lächelte mich sanft an. Ich seufzte und erwiderte die Geste. Ich hatte mit der Zeit meine Halluzination lieber gewonnen als die meisten Menschen.
Er hatte die Abschrift des Wanderers gelesen und danach war er für Stunden in seinem Porträt. Mir war immer noch nicht klar, ob er freiwillig zurück auf die Leinwand ging oder er "hineingesaugt" wurde . Seit gestern trieb mich die Frage um, ob er der Burgherr war. Vielleicht hatte eine seiner vielen Frauen ja sein Porträt so zerstört. Ich seufzte über die Frage in meinen Kakao hinein, als mein Nachbar sich unvermittelt an den Tisch setzte. So als wüsste er, dass mein Hausgeist den Stuhl mit direkt gegenüber belegt hatte, nahm er jenen mir schräg gegenüber.
Selbst nachdem die Kellnerin seine Bestellung gebracht hatte, schwiegen wir uns weiter an. Es war deutlich, dass wir beide nicht hier sein wollten. Wahrscheinlich hielt er mich für ebenso komisch wie ich ihn. Mein Hausgeist deutete auf sein Bild und gestikulierte in Richtung des anderen Mannes, ich nickte unmerklich, dass ich verstanden hatte. Gut irgendwo muss man ja anfangen, warum also nicht ?
"Warum sollte ich das Porträt mitbringen?" Meine Stimme klang kratzig, was mich kurz aus dem Konzept brachte, nicht jedoch so sehr wie sein Blick. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich unheimlich unwohl fühlte.
"Mein Vater ist Kurator für die gestohlenen Schätze aus der Burg, ihm fehlt noch genau ein Stück dann ist die Kollektion wieder vollständig und ich glaube, dass es dieses Bild ist." Mein misstrauischer Blick muss Bände gesprochen haben, denn er sprach hastig weiter: " Ich bin mit dem ganzen Kram aufgewachsen, ich habe von der Burg und all dem mehr gehört und gesehen als von meiner eigenen Familie, obwohl technisch gesehen ist das meine Familie. Wir sind Nachfahren der von Saalensteins. Vielleicht erklärt es das, die von Saalsteins hatten eine ganz bestimmte Angewohnheit, was ihre Porträts anbelangte. Sie verwendeten über Jahrhunderte nur eine ganz bestimmte Art von Rahmen, die merkwürdige sternenförmige Abdrücke auf den Gemälden hinterließ. Als ich ihr Bild erspähte, mit einem Rahmen, der exakt so aussah wie jene, die meine Familie seit Generationen nutzt und die wahrscheinlich einzigartig sind, musste ich das überprüfen." Während er seinen Kaffee trank , fühlte sich mein Herz, an als läge eine Faust darum und drückte zu. Unwillkürlich tat ich zwei Sachen, ich griff nach dem Bild und sah zu dem Geist, der seinen Sitznachbarn überrascht und misstrauisch ansah. Irgendwas an der Sache stank gewaltig, wenn selbst meine Halluzination stutzig war.
"Welches Gemälde wird vermisst?", fragte ich bemüht unbekümmert.
"Das der ersten Burgherrin, sie wurde auf den Namen Hyazinth getauft." seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, entweder hatte er die Nummer geübt oder er sagte die Wahrheit. Mir war es einerlei, denn ich hatte nicht, was er suchte und lächelte daher offen.
"Dann muss ich sie enttäuschen, was mein Porträt angeht." erleichtert nippte ich an meinem Kakao und sah zu meinem Hausgeist der Finster seinen Nebenmann anstarrte. Was entging mir?
"Dürfte ich es sehen?" Er klang verunsichert. Irgendwie hatte ich Mitleid mit ihm, schließlich kannte ich das Gefühl, wenn man glaubte, etwas gefunden zu haben und dann enttäuscht zu werden. Dieses Gefühl ganz nah dran zu sein, nur um dann doch wieder mit leeren Händen dazustehen, aber es nicht wahrhaben zu wollen.
Da ich ihm aber nicht vertraute, nickte ich und entpackte das Gemälde neben mir so, das er es nicht einfach anfassen und damit wegrennen konnte. Kaum war das letzte Laken gefallen, starrte er es an und grinste breit.
"Oh doch, sie haben es." Triumphierte er. Ich war völlig verwirrt und starrte auf das Bild neben mir. Ich benötigte vielleicht eine Brille zum Lesen, aber das da war, auf der Leinwand war definitiv ein Mann! Und wieso war er auf der Leinwand, wenn er doch neben meinem Nachbarn saß? Das war....
"Atmen sie tief ein und aus, ganz ruhig." ich spürte einen Lufthauch an meiner Wange und hörte die Stimme meines Nachbarn, der mit zusammengezogenen Brauen mich betrachtete....Nein, nicht mich, sondern den Geist, der mir über die Wange strich.
"Du hättest ihr ruhig sagen können, dass wir verwandt sind." Missmutig verzog mein Nachbar den Mund, der Geist neben mir gestikulierte. Ich hatte Mühe, die Situation zu begreifen. Etwas entging mir etwas Fundamentales...
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