Sie hatte so lange gekämpft, bis sie ihr fast die Flügel ausrissen. Normalerweise Waffe und Fluchtoption zugleich, waren immer mehr der schillernd weißen Federn in die Hände der stinkenden, kreischenden Kreaturen geraten. Es waren einfach zu viele. Sie hatte ihre Flügel wegschicken müssen und konnte sich nun nur noch auf ihre Schnelligkeit, ihre Stärke und ihr Schwert verlassen. Doch der Griff ihrer Waffe war inzwischen glitschig vom Blut und ihre Muskeln erlahmten mit jeder Sekunde mehr. Irgendwann war ihr Schild zerschmettert und sie verlor ihren Helm. Ihre weißblonden Haare klebten ihr in Strähnen in Nacken und Gesicht.
Sie hatte sich von ihrem Trupp trennen lassen, war im Kampfrausch zu weit nach vorne geprescht. Nun würde sie den Preis bezahlen. Aber sie hatte sich gut verkauft; um sie herum lagen viele rotbraune Körper, die so schnell nicht wieder auferstehen würden. Der Tod auf diesem Schlachtfeld war nicht endgültig, doch jeder kleine Sieg zählte. Diesmal hatte sie immerhin Zeit für ihre Gefährten herausgeholt. Jetzt sammelten sich ihre Gegner, diese niederen, verkrümmten Kreaturen, wieder und sie wusste, es würde der letzte Ansturm für sie sein.
Kreischen. Eine rote Welle von verdrehten Leibern stürzt auf sie zu. Zustechen. Drehen. Schneiden. Der Geschmack von Blut auf ihren Lippen. Feuer in den Augen.
Scharfer Schmerz.
Dunkelheit.
~~~
„Was habt ihr da?"
Dieser Ewige Krieg war so langweilig geworden. Immer nur Tod und Verderben ohne Hoffnung auf ein Ende irgendeiner Art. Für eine lange Zeit hatte ihn das alles erfüllt. Das Brüllen seiner Feinde, wenn er seine schwarzen Hörner durch ihre Brustpanzer stieß. Der Geschmack ihres Lebens auf seiner Zunge. Die Macht, Wellen von Dunkelheit über ihre angeberisch glänzenden Rüstungen zu schicken.
Jetzt...
Es war eben immer das Gleiche, gleichgültig ob er sich während der Schließung in die Schlacht warf oder ob er die Eintönigkeit dazwischen zu füllen versuchte. Es fehlte der Reiz, das Neue, irgendetwas, das ihm sagte, dass er weiterhin am Leben war.
Und nun das. Seine Diener hatten etwas erbeutet und es vom Schlachtfeld bis in seine Gänge und Kavernen geschleift. Sie waren so stolz, sie wollten es ihm zeigen.
Sie hatten eigenmächtig gehandelt. Eine Strafe war fällig. Er seufzte. Auch die Aussicht darauf erfreute ihn nicht mehr angemessen.
Mit einer ungeduldigen Bewegung fegte er den vordersten Kriecher zur Seite, um sehen zu können, was sie angeschleppt hatten. Sein Blick fiel auf ein fleckiges Bündel auf dem Boden. Ehemals musste es vorrangig weiß gewesen sein, doch nun war es rot und braun verschmiert. Es roch eindeutig nach Blut und Dreck. Und nach... Was war das noch?
Ah, es bewegte sich. Er erkannte nun, dass Hände und Füße der Gestalt gebunden waren. Plötzlich blitzten ihn bernsteinfarbene Augen aus einem blutverkrusteten Gesicht an.
~~~
Metall. Und Asche. Der Boden schmeckte nicht besonders. Sie war wohl nicht zurück im Weißen Berg. Was auch die Schmerzen erklären würde. Und ihre Erinnerungen.
Hm. Dieser Gestank. Was...?
Sie riss den Kopf hoch. Nein! Das durfte nicht sein.
Aber es gab keinen Zweifel. Sie war in einer niedrigen Höhle aus schwarzem Stein, umgeben von einem zischenden, nervösen Haufen niederer Kreaturen. Und direkt vor ihr hatte sich deren Herr aufgebaut. Sie blickte ihm aus ihrer ungünstigen Position am Boden geradewegs ins Gesicht. Gerade rechtzeitig um zu sehen, wie sich seine Züge zuerst zu einem Grinsen verzogen, dann fing er dröhnend an zu lachen. Warf den Kopf in den Nacken und brachte die Wände zum Zittern. Seine scharfen Zähne funkelten silbrig und standen damit im Kontrast zum tiefen Rostrot seiner Haut. Breitbeinig und selbstbewusst stand er vor ihr; jeder Muskel zeichnete sich deutlich ab, von den klauenbewehrten Füßen über den flachen Bauch bis zu seinen muskulösen Armen, die er vor der breiten Brust verschränkt hatte. Er trug nur einen etwa knielangen braunen Lederkriegsrock, der in regelmäßigen Abständen mit schwarzen Metallplatten verstärkt war. Er brauchte nicht mehr Schutz.
Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass die Höllenfürsten in ihren Festungen nichts fürchteten. Und das zu Recht, denn ständig waren Heerscharen von Dienern um sie herum, die sich eher buchstäblich anzünden würden, als jemanden an ihren Herrn heran zu lassen. Unter anderem, da die geringste Nachlässigkeit den Verlust von Körperteilen oder gleich die Entleibung zur Folge hatten. Möglichst langsam, um als gutes Beispiel zu dienen. Eine Dämonenfestung einzunehmen war unmöglich, solange sich der Höllenfürst darin aufhielt.
Und nun war sie hier. Mit ihm. Sie hätte gerne gebetet, aber die Stimme versagte ihr. Zum ersten Mal in ihrem Kriegerleben verspürte sie Angst.
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Wie hatten die kleinen Ratten das nur geschafft? Der köstliche Duft der Angst des Engels stieg plötzlich in seine Nase. Angst? War ihnen das nicht völlig fremd? Arroganz und Selbstüberhöhung hätte er ihnen zugeschrieben; da dürfte Angst eigentlich keinen Platz haben.
Seit langer, langer Zeit verschüttete Neugierde keimte in ihm auf. Und Freude. Eine ihrer Kriegerinnen, gebunden zu seinen Füßen. Das hatte es seit... Er konnte sich nicht an einen Vorfall während dieser Inkarnation erinnern. Normalerweise ließen sie sich nicht fangen, genauso wenig wie die Höheren seiner Seite. Aber das Wie und Warum war im Grunde gleichgültig. Hier galt es eine Chance zu ergreifen. Wer wusste schon, wie lange sie durchhalten konnte; die Zeit musste genutzt werden.
„Nun, ein Gast. Wie schön." Er grinste wieder. Mit extra vielen Zähnen. „Lasst sie sich waschen und gebt ihr etwas Weißes zum Anziehen. Sie soll sich wie zuhause fühlen. Dann werden wir... speisen." Er fixierte sie und bekam zur Antwort ein Fletschen nadelspitzer Zähne. Im Gehen nickte er seinem Hauptmann zu.
„Seid vorsichtig mit ihr. Auch ohne Waffen tötet sie einige von euch mit Leichtigkeit. Es wäre ja sehr bedauerlich, wenn die ganze Mühe umsonst gewesen wäre, nicht wahr?" Er senkte seine Stimme zu einem Grollen. „Bedauerlich für jeden von euch."
Nachdenklich schritt er die Gänge bis zu den eigentlichen Räumlichkeiten seiner Festung entlang. Er würde Ihm Bericht erstatten müssen. Er zischte in den leeren Raum. Später. Erst einmal gehörte sie ihm. Wenn er sich überlegt hatte, was er mit ihr anstellen würde, dann wäre die richtige Zeit. Ohne Plan bräuchte er gar nicht erst vor den Herrn der Hölle zu treten.
~~~
Krallenhände rissen sie vom Boden hoch; sie wurde an Armen und Beinen durch die Gänge getragen. Sie war noch völlig fassungslos und ließ es widerstandslos mit sich geschehen. Nicht nur, dass sie sich in der Gewalt eines Höllenfürsten und seiner Kreaturen befand. Er schickte sie zum Waschen und wollte mit ihr essen?
Ein fürchterlicher Gedanke befiel sie. Was, wenn sie selbst das Essen sein sollte? Sie hatte mehr als einmal Gefährten schreiend unter den Zähnen eines höheren Dämons und seines Gefolges verenden sehen. Doch das war in der Schlacht und somit verhältnismäßig schnell vorbei. Hier würde er sich Zeit nehmen können. Viel Zeit. Sie musste würgen, versuchte jedoch es zu unterdrücken.
Die Gänge weiteten sich und grob behauener Fels wich fein gearbeiteten Mauersteinen. Fackeln wechselten zu Laternen aus geschwärztem Metall, die ein gelbliches Licht verströmten. In einige Wände waren kunstvolle Vertiefungen geritzt worden, durch die Lavarinnsale flossen. Es war warm, aber nicht unangenehm heiß, wie sie es erwartet hatte. Nur der beständige leichte Wind fehlte, der am Weißen Berg nie versiegte. Und natürlich roch es hier ganz anders. Nach Stein und Feuer, nach Metall und Schmerz.
Ihre Eskorte kam vor einem Durchgang zum Stehen und ließ sie unsanft zu Boden fallen. Zwei der niederen Dämonen schnitten ihr mit ihren messerscharfen Klauen die Reste ihrer Rüstung vom Leib, während weitere wachsam um sie herumstanden. Zuerst fielen die Fetzen ihrer ehemals weißen Kampfgewänder, die sie als Kriegerin auswiesen. Dann lösten sie die Riemen und Schnallen ihres Brustpanzers und der Beinschienen, die zur besseren Beweglichkeit aus verbundenen Sanftholzplatten bestanden, zum Schutz verstärkt mit Metallstreifen. Um ihr die Stiefel abzunehmen, banden sie ihr die Beine los, was nicht hieß, dass sie ihr irgendeinen Bewegungsspielraum gaben. Die Polsterung, die im Kampf die meisten Stöße dämpfte, wurde akribisch aufgetrennt, so dass die Höllenkreaturen ihre Arme nicht freigeben mussten.
Doch damit nicht genug. Sie verzog das Gesicht, als ihr klar wurde, dass die Dämonen nicht vorhatten, ihr ihre Untergewänder zu lassen. Immerhin fassten sie sie so wenig wie möglich an, fast als hätten sie Angst, eine bloße Berührung könne sie in Rauch aufgehen lassen.
Sie stellten sie vor den Durchgang und zogen sich ein wenig zurück. Ein größerer Dämon, weniger tierisch als die Übrigen, trat vor sie.
Mit der Haut verschmolzene Rüstungsteile. Halbwegs erkennbare Gesichtszüge, aber verzerrt. Ein Hauptmann. Die kurzen klaren Beobachtungen bewiesen ihr, dass ihr Verstand noch arbeitete, auch wenn der Schock, gefangen worden zu sein, sie betäubte.
Er hatte ein Messer in der Hand, um auch die Fesseln an ihren Händen zu zertrennen. Ein kritischer Moment, wie er wohl wusste. Sie sah seinen wachsamen Blick und seine grimmige Entschlossenheit.
Sie spannte sich, versuchte aber den Anschein zu erwecken, dass sie nur erschöpft dastand. Er grollte, zwei Krallenhände schossen links und rechts von ihr vor und umklammerten ihre Handgelenke. Mit einer schnellen Bewegung schnitt er die Fesseln durch und zog das Messer sofort zurück. Sie war schneller und stärker als die niederen Dämonen, doch sie war auch verletzt. Einfach nicht schnell genug. Ihre Hände gingen ins Leere, dann spürte sie einen harten Stoß vor ihre Brust und taumelte rückwärts in den Raum hinter ihr. Direkt knallte eine metallene Tür vor ihr zu und blockierte den Weg zurück.
Mit stumpfem Blick schaute der Schlachtenengel auf die Tür; die kurze Anstrengung hatte sie schon wieder an den Rand eines Zusammenbruchs gebracht. Sie rieb sich die Handgelenke, die leicht taub von den engen Fesseln waren und nun kribbelnd erwachten. Müde und frustriert drehte sie sich um. Der Raum war rund, sehr übersichtlich und vollkommen leer. Nur ein im Boden eingelassenes Becken, bis kurz unter den Rand mit dampfendem Wasser gefüllt. Sie trat heran und testete das Wasser mit dem Fuß. Angenehm. Sie überlegte kurz. Es gab keinen weiteren Ausgang, keine Möbel, keine anderen Gegenstände, die sich irgendwie verwenden ließen. Die Tür war zu. Sie konnte genauso gut das Bad nutzen. Sauber würde sie sicher auch wieder besser denken können.
Sie ließ sich vom Rand langsam ins Wasser gleiten; es war nicht tief. Mit jedem Bereich Haut, der vom warmen, schmeichelnden Wasser berührt wurde, verabschiedete sie sich von Schmutzkrusten, getrocknetem Blut und Schmerz. Wohlig stöhnte sie auf, als sie sich entspannte. Sie konnte nicht lange so bleiben, da sie am ganzen Körper tiefe Schnitte und zumindest eine Stichwunde an der Schulter hatte. Wenn sie sich nicht selbst ausbluten wollte, musste sie bald wieder aus dem Wasser steigen. Doch jetzt, nur kurz, war es gut.
Den Umständen entsprechend fühlte sie sich fast so etwas wie... glücklich. Für den Moment.
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