Er war aufgeregt. Tatsächlich geschah gerade etwas Neues, Unerwartetes. Er fühlte sich wacher als in den letzten hundert Zyklen. Neugierig auf die Abwechslung, die ein Engel in seine Hallen bringen konnte. Er wollte sie studieren. Verwirren. Und sehen, was passierte.
Sein Leben als Kriegstreiber N'Arahn war ihm in letzter Zeit lästig geworden. Er hatte schon erste Überlegungen angestellt, wie er seine Alte Seele wieder auf die Reise schicken konnte. Doch nun...
Der Raum, in dem er darauf wartete, dass seine Diener den Engel zu ihm brachten, war schlicht. Seine Heimat nannte sich zwar Rote Tiefe, doch nah am Schlachtfeld, wo seine Festung sich im Boden verborgen befand, waren Erde und Stein schwarz. Und so bestanden die Räume vorwiegend aus dem dunklem Gestein und dieser hier machte keine Ausnahme. Es war ein Raum ohne Verzierungen, mehr ein Verlies, als ein Zimmer, in dem man sich gerne aufhalten mochte. Für den Zweck des Höllenfürsten jedoch genau richtig. Nichts lenkte ab. Nur ein steinerner Tisch, zwei dunkle Stühle mit hoher Lehne. Aus Eisenholz, geradezu verflucht schwer. Einer der Stühle war der Tür zugewandt, der andere stand an der rechten Seite des Tisches. Der Höllenfürst blickte gedankenversunken zur Doppeltür.
Die Kriegerin würde hier fast schmerzhaft strahlen. Ein Engel in seinen Hallen... N'Arahn schüttelte leicht den Kopf. Es war unglaublich.
Engel waren ihm kein ungewohnter Anblick. Bei jeder Schlacht in den Öden warf er sich den Kriegerinnen und Kriegern mit den blitzenden Rüstungen in vorderster Front entgegen. Diese Begegnungen waren meist kurz und sehr blutig; er raste von einer zur nächsten, ihm war egal, ob er ihnen den Todesstoß versetzte. Nur der Rausch zählte, die Schneise, die er schlug. Wenn er wirklich Glück hatte, war einer der Erzengel auf dem Schlachtfeld. Die einzigen, die ihm eins zu eins ebenbürtig waren, vielleicht sogar überlegen. Doch was für ein Höllenfürst wäre er, ließe er einen ausgeglichenen Kampf zu? Seine Kreaturen waren Legion, und das nutzte er. Aber es war nun einmal der Ewige Krieg, und so gingen die Dämonen- und Engelsscharen dezimiert, aber nie endgültig geschlagen, vom Feld.
Jetzt jedoch würde er einem Engel gegenüberstehen, ihm in die Augen sehen, ohne direkt in einen Kampfrausch zu verfallen. Er würde sich Zeit nehmen können, sie zu beobachten, ohne die Hitze der Schlacht, ohne die Fokussierung auf das Töten. N'Arahn war gespannt auf diese Erfahrung. Sie würden miteinander essen. Vielleicht reden. Er würde auf jeden Fall versuchen, etwas zu lernen.
Was willst du danach tun? Sein Mundwinkel hob sich wie von selbst. Er legte den Kopf zurück, stützte ihn an der steinharten Lehne ab, fuhr eine Rille im Eisenholz der Armlehne mit einem Fingernagel nach.
Seine ersten Gedanken führten ihn, wenig überraschend, aufs Schlachtfeld. Zwei schwarze Klingen teilten den Engel in handliche Stücke. Zu einfach, zu wenig.
Folter? Der Engel in Ketten auf einem Tisch, Nägel, ein Hammer, Brandeisen erhitzen sich weiß in einer Schale glühender Kohlen, dünne Messer, hauchfeine Seile. Den Engel zum Schreien zu bringen wäre sicherlich ein Spaß. Und wie lange reizt es dich, wenn sie sich nicht wehrt? N'Arahn schnaubte. Einer der Gründe, warum er sich nicht mehr mit den Menschen beschäftigte. Es war langweilig, wenn die eigene Überlegenheit zu umfassend war. Um sich zu widersetzen braucht sie Hoffnung...
Verwirrung auf ihrer Seite würde auf jeden Fall helfen, dass es interessant blieb. Sie unerwartet gut zu behandeln, könnte ein Teil davon sein. Im Moment würde sie sich wahrscheinlich Blut und Dreck der Ewigen Schlacht von ihrer Haut waschen.
Bilder drängten sich dem Höllenfürsten auf: Ein nackter Körper, der in Wasser eintaucht, Hände gleiten über Haut, streifen Tropfen, verwischen sie zu glänzenden Mustern.
Es berührte ihn kaum. An die Gründe dafür erinnerte er sich nicht gerne. Sein Grinsen der Vorfreude war einem Zähnefletschen gewichen, das er mit einem Knurren abschüttelte. Vielleicht später... Falls sie einen Anreiz für Widerstand benötigt.
Er musste sie ein wenig kennenlernen, um das richtige Maß zu finden. Was trieb sie an? Was würde sie brechen, so dass sie nutzlos für ihn würde?
Falls sie es überhaupt bis zu ihrem Treffen überlebte.
Der Höllenfürst spürte leichte Sorge in sich aufsteigen. Er hatte sich zwar klar ausgedrückt, aber seine Diener waren roh. Sie würden sich seinem Befehl nicht wissentlich widersetzen, dazu waren sie gar nicht in der Lage, aber sie waren nicht besser als Menschenkinder mit einem kleinen Vogel.
Gut, der Vergleich hinkte etwas. Seine „Kinder“ hatten Zähne und Klauen, die jeden Tiger neidisch gemacht hätten. Und der Engel war ungefähr so wehrlos wie ein überdimensionierter Falke.
Trotzdem. Vielleicht war sie bereits tot. N'Arahn bemerkte, dass er schon halb aufgestanden war. Er lachte in sich hinein. Es steckte ja doch noch etwas anderes als lähmende Langeweile in diesen Knochen. Der Gedanke, dass die willkommene Ablenkung, sein neues Spielzeug, so schnell wieder verschwinden könnte, ah, das beunruhigte ihn tatsächlich. Um sicher zu gehen, hätte er alles selbst beaufsichtigen sollen. Das war jetzt nicht mehr zu ändern. Zumindest konnte er seine Diener spüren lassen, dass er ungeduldig wurde.
Der Höllenfürst weitete seine Präsenz aus, sickerte durch die breiten Steinwände, floss durch die Gänge. Seine Kreaturen duckten sich unter seinem Unmut, während er sich suchend weiter nach seinem Hauptmann ausstreckte, dem er die Aufgabe übertragen hatte. Er fand ihn, zwängte sich in seine Gedanken. Ein unerwarteter Schmerz und vollkommene Unterwerfung empfingen ihn.
„Darr!“ Er drückte den Namen des Hauptmannes heftig in dessen Kopf, machte durch dieses eine Wort die Konsequenzen weiterer Verzögerungen klar.
„Herr, sie steht sofort bereit“, antwortete Darr ergeben. Der Höllenfürst zog sich wieder zurück, verschwendete keine weitere Energie auf den Hauptmann.
Nur wenige Augenblicke später spürte er sie im Gang. Seine Kreaturen und diese helle, eigentümlich unpassende Energie. Kurz überlegte er, ob die Engelskriegerin ihn ebenfalls spüren konnte, doch der Gedanke war wie weggewischt, als sich die Tür öffnete.
Der Engel wurde in den Raum gestoßen, eine Schlinge eng um ihren Hals geschnürt, geführt an einem langen Stab. Ihre Haare schienen einen Wirbel aus Licht um ihr Gesicht zu bilden. Sie fielen offen, jedoch wild zerzaust, knapp bis auf ihre Schultern hinab. Ihre Augen verschossen bernsteinfarbene Blitze, loderten fast. Das Gesicht des Engels war zu einer harten Maske erstarrt, Kampf versprechend. Doch N'Arahn bewunderte ihre symmetrischen Züge, die ausgeprägten Wangenknochen, das kleine Kinn, den fast kantigen Kiefer. Sie hatte die Zähne fest zusammengebissen, die Lippen zu einem Strich gepresst. Wie sie wohl sonst aussahen?
Das Kleid, das sie trug, war so weiß, wie es am Rand der Roten Tiefen mit all dem schwarzen, braunen und roten Staub eben zu finden war. Es war knöchellang, mit rundem Ausschnitt und ließ die Arme frei. Schlicht. Wobei, es war nicht mehr ganz weiß. Der Höllenfürst sah rote Flecken auf dem Stoff und roch Blut. Die Handgelenke der Kriegerin waren wieder oder immer noch gebunden und sie ging barfuß.
Hinter ihr drängte Darr vorwärts, sie am Stab vor sich herschiebend. Der Blutgeruch verstärkte sich noch und N'Arahn erkannte den Grund für den Schmerz, den er in den Gedanken seines Hauptmanns gefunden hatte: Darr fehlte mindestens ein Finger seiner linken Hand und eine tiefe Schnittwunde zog sich von seiner Nase über seine rechte Wange. Der Engel war zwar geschlagen gewesen, aber diese Biester waren fürchterlich zäh. Gut, das würde seinen Hauptmann lehren, Vorsicht walten zu lassen.
„Mach sie los und schließ die Tür hinter dir.“
„Herr?“ Etwas Unglauben schwang in Darrs knarrender Stimme mit. N'Arahn knurrte tief und blickte seinen Hauptmann nur an. Dieser senkte sofort den Blick.
N'Arahn lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und ließ Schattenmacht aus sich herausfließen, füllte damit den Raum. Der Engel zischte. Das Schimmern, das die Kriegerin umgab, wurde gedämpft. Die Temperatur schien zu steigen, doch die in die Wände eingelassenen Laternen leuchteten stetig weiter.
Darr hatte die Schlinge inzwischen komplett gelöst und zog sich rückwärts zur Tür zurück. Auf ein Nicken seines Herrn verschwand er und schloss die Doppeltür zum Raum von außen. Die Türseiten verriegelten sich mit einem vernehmlichen Rasseln.
„Setz dich, Engel. Dann löse ich auch diese Stricke.“
Ihre Nasenflügel bebten, als versuche sie eine Lüge zu wittern. Er log nicht, er hatte keinen Grund dazu.
„Komm schon. Ich habe dir Nahrung versprochen und ich gehe davon aus, dass du sie lieber selbst zu dir nehmen möchtest.“
Er zwinkerte ihr zu und versuchte ein Lächeln. Er wollte doch lernen. Warum also nicht mit einer Auffrischung höflicher Umgangsformen anfangen. Höflichkeit war anstrengend und in der Hölle meist unangebracht. Aber sie konnte auch eine Waffe sein. Ein feines Messer, blendend und verborgen gefährlich. Nicht gerade seine bevorzugte Wahl, aber er hatte ja nichts zu verlieren.
Eine steile Falte hatte sich auf der Stirn des Engels gebildet, doch sie schritt tatsächlich zu dem freien Stuhl. Mit zusammengezogenen Schultern und misstrauisch jede von N'Arahns Bewegungen beobachtend.
Sie setzte sich und der Höllenfürst zog tief ihren Duft ein. Unter dem aufdringlichen Geruch von Blut, das nicht nur ihres war, roch er ganz fein Minze und Honig. Ungewohnt, doch erstaunlich angenehm.
Sie sah ihn wieder mit ihren blitzenden Augen an und streckte ihm wortlos, aber eindeutig fordernd, ihre Hände hin. Wo war die Angst geblieben, die er vorhin noch an ihr gespürt hatte? Engel waren wirklich erstaunlich. Und anscheinend ziemlich eiskalt. Es imponierte dem Höllenfürsten, wie diese Kriegerin mit der für sie sicherlich nicht weniger unvertrauten Situation umging. Entweder sie war wirklich so unerschrocken, wie sie sich gab, oder sie verstand einfach nicht, wie groß die Gefahr war, in der sie sich befand. Möglicherweise war es auch eine Mischung aus beidem.
Andererseits, woher wollte er wissen, ob Engel nicht einfach grundsätzlich etwas wahnsinnig waren? Nun, er hatte ja jetzt Zeit, es herauszufinden. Er betrachtete sie eingehend. Ihre Haut hatte einen leichten Bronzeton, doch an vielen Stellen zogen sich haarfeine weiße Streifen über ihre ausgestreckten Arme. Narben vergangener Schlachten.
„Geduld. Verrate mir vorher eines: Wie heißt du?“ Er wollte sie unbedingt sprechen hören. Eine Stimme konnte so vieles verraten und ebenso viel verbergen. Die Frage gefiel ihr eindeutig nicht, doch ein wenig mehr Unbehagen war gut. N'Arahn beugte sich etwas vor und erhöhte den Druck der Dunkelheit.
Sie zog die Lippen zurück, zeigte ihre Zähne und knurrte fast.
„Veidja.“
Sofort pressten sich ihre Lippen wieder aufeinander, als könnte sie sonst dazu verleitet werden, weiter zu sprechen. Er lockerte den Griff um ihr Schimmern etwas, sah die ganz leichte Entspannung um ihre Augen, die sich einstellte. Ihre Stimme war rau, eher tiefer als er erwartet hatte. Ob das nur an der Anspannung und den hinter ihr liegenden Strapazen lag? Er würde es herausfinden. Ein paar Mal rollte N'Arahn den Namen des Engels lautlos über seine Zunge, versuchte ihn zu schmecken. Er hallte nicht wieder, war einfach ein Name. Irgendwie beruhigend. Eine Alte Seele, die bereits zu ihrer Bestimmung gefunden hatte, hätte ihm und seinen Dienern jedoch kaum in die Hände fallen können.
Er wurde aus seinen Betrachtungen gerissen, als der Engel wieder auffordernd seine gebundenen Hände hob. Fast hätte der Höllenfürst sich zu einem Lachen hinreißen lassen. Diese Furchtlosigkeit gefiel ihm. In den letzten Minuten hatte er bereits mehr Spaß, als im gesamten letzten langen Zyklus.
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