Kurz zuckte Veidja zusammen, als der Höllenfürst mit einer zirkelnden Geste eine schwarz-violette Klinge aus der Luft griff. Diese Dunkelheit, die sie blockierte, auf ihre Seele drückte, lenkte sie ab. Einen Moment lang wollte sie ihre Hände zurückziehen, eine nur natürliche Reaktion auf einen Höllenfürsten, zudem mit einer Waffe. Doch die Hände frei zu bekommen... Sie hatte den niederen Dämonen schon bewiesen, dass sie keine leichte Beute war, ihren Herrn würde sie es auch noch lehren.
Mit einer schnellen Bewegung hatte der Höllenfürst die Riemen um ihre Hände durchgeschnitten und ließ die Klinge wieder verschwinden. Unbeachtet fielen die Reste zu Boden. Veidja rieb sich wieder die Handgelenke; die Dämonen waren nicht gerade zimperlich mit ihr umgegangen. Bei dem Handgemenge waren auch alle Risse und die Stichwunde wieder aufgebrochen. Nichts, was mit ein wenig Zeit und Mana nicht heilen würde, doch unangenehm. Ihr Kleid klebte bereits an einigen Stellen fest.
Nach einem kurzen Blick durch den Raum (Nur der Eingang, durch den ich hereingekommen bin, außer den schweren Stühlen und dem steinernen Tisch keine Möbel. Schlechte Voraussetzungen für eine Flucht.) beobachtete Veidja den Höllenfürsten, wie er sie beobachtete.
Einen Höllenfürsten ohne Rüstung und mindestens eine Hundertschaft wuselnder Kreaturen hatte sie noch nicht zu Gesicht bekommen. Die so kurze Entfernung machte den Eindruck nicht gerade weniger intensiv. Er schien sich sehr sicher zu fühlen, saß zurückgelehnt in dem hohen Stuhl, die Unterarme auf den Lehnen abgestützt. Eine Hand hing locker herab, die andere hatte er auf dem Tisch abgelegt. Seine Finger waren lang, sahen aber kräftig aus, mit Schwielen an den Knöcheln. Im Gegensatz zu seinen Kreaturen hatte er keine Klauen, doch dem Engel war bewusst, dass das den Höllenfürsten nicht weniger bedrohlich machte. Zwei schwarze Hörner wanden sich aus seiner Stirn etwa zwei Handbreit in die Höhe, wo sie in gefährlichen Spitzen endeten. Schwarz glänzende lange Haare fielen ihm auf die Schultern. Die Strähnen, die ihm sonst ins Gesicht gehangen hätten, hatte er hoch auf dem Hinterkopf zusammengebunden. Seine Brust war mit einem kurzen Fell in der Farbe seiner Haare bewachsen, über den Bauch zog sich jedoch nur ein schmaler Streifen nach unten. Noch immer trug er am Oberkörper ansonsten nichts, stellte seine breiten Schultern, seine Muskeln und Narben zur Schau. Kein Schmuck, keine Waffen.
Sein Kiefer war breit, sein Gesicht eher kantig mit scharfen Zügen. Ein leichter Wulst zog sich durch seine rechte Augenbraue; eine Klinge musste ihn einmal fast ein Auge gekostet haben. Ein heller Streifen zog sich quer vom rechten Schlüsselbein bis zur linken Kinnseite, wo Veidja nicht mehr sehen konnte, wo er endete. Wie der Dämon eine solche Wunde hatte überleben können, konnte sie sich nicht recht vorstellen. Ihre Augen fanden seinen Blick, smaragdgrün strahlend. Wenn sie sich nicht täuschte, blitzte ihr Neugierde entgegen.
Leichte Belustigung schwang in seiner grollenden Stimme mit, als er sie fragte: „Gefällt dir, was du siehst, Engel?“
Sie starrte ihn nur weiter an. Diese Frechheit würde sie mit keiner Antwort würdigen. Was sollte ihr an einem Höllenfürsten gefallen? Er war der Feind. Durchtrieben und böse bis ins Mark. Die halbwegs ansehnliche Hülle und sein fast höfliches Benehmen konnten sie nicht trügen. Täuscher. Mörder. Abschaum.
Sie wollte nicht mit ihm reden. Er war ein Dämon und sie wusste nicht, was er mit dem, was sie ihm sagte, anstellen konnte. Ja, sie hatte ihm ihren Namen verraten, aber das gab ihm keine Macht über sie. Es war schließlich nicht der Name ihrer Alten Seele, nur wie sie zurzeit gerufen wurde. Sie konnte nicht einschätzen, was er durch diese Schatten, die er nutzte, aus ihr herauszupressen im Stande war, aber sie würde es so wenig wie möglich werden lassen. Und er musste sich seine Informationen schon mit Gewalt holen, freiwillig würde sie ihm nichts geben.
„Kriegerin durch und durch, das gefällt mir.“ Der Höllenfürst zeigte bei einem breiten Grinsen seine Zähne. Veidja kämpfte sofort gegen den Drang an, zu fliehen oder zu versuchen, ihm mit bloßen Händen das Gesicht zu zerkratzen. Sie hatte keine Chance gegen ihn, nicht in ihrem jetzigen Zustand, ohne Schutz, ohne Waffen. Nicht einmal ihre Flügel konnte sie ausbreiten, da sie einerseits noch vom Gefecht schwer ramponiert waren, andererseits blockierte der Höllenfürst ihre Fähigkeit, sie zu rufen. Vor Frust krampften sich ihre Hände einen winzigen Moment um die Stuhllehnen. Er hatte es bemerkt, sie sah es am Zucken um seine Augen. Am liebsten hätte sie mit den Zähnen geknirscht. Sie wollte sich keine Blöße geben, aber sie war noch zu angegriffen, hatte sich und ihre Reaktionen nicht wieder voll unter Kontrolle.
Sie wusste zwar nicht, warum sie nicht längst auf dem Weg zu einer neuen Inkarnation war, aber sie hatte auch nicht vor, das zu beschleunigen. Sähe sie eine realistische Möglichkeit, den Dämon zu töten, ja, dann wäre sie bereits im Kampf. Doch zurzeit kam ein Angriff Selbstmord gleich. Und etwas Schlimmeres gab es nicht. Ein Engel, der freiwillig den Tod suchte, war unwiederbringlich verloren. Seine Alte Seele... verschwand. Einfach unvorstellbar, sowohl für Engel, als auch für Dämonen.
Beide waren gleichermaßen an die Ewige Schlacht gebunden, und es war ihre Pflicht, nein, ihre Natur, ihre Daseinsberechtigung, diese auch ewig zu bestreiten. Schließlich waren Engel und Dämonen keine Menschen, die durchaus einen Spielraum für Fehlbarkeit und Schwäche in dieser Hinsicht hatten. Menschen hatten keinen so klaren Blick auf ihre Bestimmung, verzweifelten daran manchmal. Gaben sie sich auf, warf es sie in ihrer Entwicklung, auf ihrem Richtigen Weg zurück, doch sie bekamen eine weitere Chance. Veidja erinnerte sich an Geschichten, in denen Dämonen aus Neugierde und Sadismus Menschen in die Selbsttötung trieben. Nur um zu sehen, was mit ihren Seelen passierte und welche Wirkung es auf die Menschen in ihrer Umgebung hatte. Widerlich.
Dieser Gedanke brachte Veidja zurück zu ihrer derzeitigen Situation. Einem solchen widerlichen Dämonen saß sie gerade gegenüber, als sei das nicht völlig widernatürlich. Und sie musste damit rechnen, dass er sie dem Schlimmsten aussetzte, was ihm zur Verfügung stand. Doch wenn er versuchte, sie mit Höflichkeit zu täuschen, um vielleicht harmloser zu erscheinen, sie unvorsichtig zu machen, es würde ihm nicht gelingen. Sie wusste, was er war. Und nur, weil er sie nicht direkt folterte, würde sie ihm kein weiches Gemüt unterstellen. Sie war ein Schlachtenengel, eine Kriegerin, keine gütige Erhebende, die in allem das Gute sehen wollte.
Also gut. Abwarten. Vielleicht ergab sich noch eine Gelegenheit zur Flucht. Oder der Höllenfürst sagte endlich, was er eigentlich von ihr wollte. Dieser Anstarrwettbewerb lief für ihren Geschmack zu lange. Sie brauchte etwas zu tun, sonst gingen ihre Gedanken zu sehr auf Wanderschaft.
Und möglicherweise konnte er sie so auch beeinflussen. Der direkte Kontakt mit Höllenfürsten war im Regelfall den Erzengeln überlassen, da sie immun gegen deren Einwirken waren.
Diese Smaragdaugen... Sie musste an das Grün der Gärten am Weißen Berg denken. An das klare Grün der sorgsam gehegten Sträucher, das satte Grün der Wiesen an den Hängen, das tiefe Grün der Gartenmäntel der Archivarinnen und Archivare. An das grünliche Schillern des Wassers der kleinen und großen Teiche, wenn das Licht richtig stand.
Da! Sie tat es schon wieder. Veidja, Konzentration! Dies war nun wirklich nicht der richtige Moment, in Träumereien zu verfallen. Als der Blickkontakt brach, wurde ihr kurz schwindelig, doch sie erholte sich schnell.
Eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes fing ihre Aufmerksamkeit. Auf dem Tisch waren zwei silberne Kelche erschienen.
„Mana.“ Der Höllenfürst bedeutete ihr, sich einen Kelch auszusuchen. „Vielleicht nicht in der Form, die du gewohnt bist, aber du brauchst die Energie.“
Er sagte es so beiläufig, als wäre er nur der hilfsbereite Gastgeber eines erschöpften Gastes und nicht dessen fleischgewordener Albtraum. Ernsthaft? Er gab ihr Mana? War es vergiftet? Sie versuchte, den Geruch einzufangen, doch mehr als eine leichte säuerlich-süße Note konnte sie nicht erahnen. Nun, sie konnte es wagen. Entweder sie gewann dadurch, indem sie sich besser regenerieren konnte. Oder aber sie nahm freiwillig das ihr zugedachte Gift, das sie höchstwahrscheinlich nicht töten würde. Dann wäre der Spaß doch viel zu schnell vorbei, oder? Und sie ersparte sich dadurch, das Zeug gewaltsam eingeflößt zu bekommen. Und nicht zu vergessen: Nahm sie einen Kelch, hatte sie eine potenzielle Waffe. Nun ja, zumindest mehr als Luft.
Wahllos griff sie nach einem der Kelche.
~~~
Was war das denn gewesen? Vor N'Arahns innerem Auge blitzten noch immer Eindrücke auf. Bilder von geschliffenem Bernstein, der mühevoll in filigrane Formen, einem tanzenden Paar nachgeahmt, gebracht worden war. Von Kelchen voller schwerfällig fließender bernsteinfarbener Flüssigkeit. Der Geschmack von süß-bitterem Honig auf seiner Zunge. Das Glitzern von Licht auf dem bernsteinfarbenem Fell eines geschmeidigen Raubtiers.
Der Blick des Engels hatte ihn gefangen. Wie konnte das passieren? Sie war kein Erzengel, ihre Kräfte müssten allein schon durch die Festung blockiert sein. Es war... beunruhigend.
Er wischte seine Bedenken weg. Wahrscheinlicher war ein Zufall, vielleicht eine Art Rückkopplung. Es war auch möglich, dass seine Neugierde, seine eigene Grübelei, seine Gedanken in seltsame Bahnen geführt hatte. Und schließlich hatte der Engel den Blickkontakt gebrochen. Wenn Veidja der Auslöser gewesen wäre, hätte sie wohl seine Versunkenheit für einen Angriff genutzt.
Er beobachtete sie dabei, wie sie den Inhalt des Kelches in einem Zug hinunterstürzte, während er selbst in aller Ruhe nach dem zweiten Kelch griff und einen kleinen Schluck trank. Nach kurzem Überlegen hatte es kein Zögern für sie gegeben. Sie stellte sich einfach dem, was kam; das konnte er anerkennen.
Als sie angewidert das Gesicht verzog, unterdrückte er sein Grinsen nicht.
„Schmeckt wie Blut.“
„Ja. So mögen wir es.“ Er zwinkerte ihr zu, als sie tatsächlich genervt die Augen verdrehte.
„Mehr?“ Sie schüttelte nur den Kopf und drehte den Kelch in ihren Händen.
Er senkte den Blick auf sein Getränk, betrachtete versonnen die roten Schlieren, die das Mana beim Schwenken am Kelchrand hinterließ. Hätte er es nicht ohnehin schon erwartet, hätte ihn das Knirschen des Metalls gewarnt. Der Engel hatte den Kelch in seiner Hand flachgedrückt und sich aus dem Stuhl über die Tischkante geschnellt, die improvisierte Waffe am vorgestreckten Arm auf die Augen des Höllenfürsten gerichtet. N'Arahn umschloss in einer blitzschnellen Bewegung mit seiner rechten Hand ihr Handgelenk, hielt das scharfkantige Metall nur wenige Zentimeter vor seinem Auge an. Langsam drückte er immer fester zu, bis der Engel mit einem schmerzerfüllten Aufstöhnen die Hand öffnete und den zerdrückten Kelch fallen ließ.
„Das lasse ich mal gelten. Recht vorhersehbar, aber ich gebe zu, dass deine Möglichkeiten hier auch sehr begrenzt sind.“ Während er sprach, schob er sie mit einem Ruck von sich weg, stieß sie wieder auf ihren Stuhl. Noch ein Schluck Mana. Sie hatte ja Recht, ihres schmeckte nach Blut. Er mochte den Geschmack von Wein auch lieber, aber er hatte sich den Effekt einfach nicht entgehen lassen wollen.
Veidja funkelte ihn über den Tisch an, ihr musste klar sein, dass er mit ihr gespielt hatte. Aber es wäre kaum verzeihlich gewesen, hätte sie den Versuch nicht gewagt. Und sie war trotz ihrer Verletzungen erstaunlich schnell gewesen. War das schon die Wirkung des Manas? Eher nicht.
Lange verloren geglaubte Gefühle durchströmten N'Arahn mit neuer Intensität. Der Wille, etwas zu erforschen, zu lernen. Anerkennung für ein Gegenüber. Reine Freude.
„Du bist wild, Engel. Bewahre dir das, du wirst es brauchen.“ Er hob ihr grüßend seinen Kelch entgegen. „Und es wäre Verschwendung, wenn du nur mit solch begrenzten Mitteln kämpfen könntest. Es steckt so viel mehr in dir.“ N'Arahn beugte sich etwas zu ihr hin, sog ihren Duft ein. Nur Anspannung und Wut stiegen ihm in die Nase.
„Da du jetzt mir gehörst,...“ Hier machte er eine kurze Pause, um ihre Reaktion zu beobachten. Doch sie hatte sich erstaunlich gut unter Kontrolle, ließ sich nicht anmerken, ob sie die Formulierung reizte. „...werde ich dich benutzen, wie es mir gefällt. Ab morgen stehst du in der Arena. Meine Diener haben hiermit einen neuen Lehrer.“ Er legte den Kopf nachdenklich zur Seite. „Oder eine Aufwertung ihrer sonstigen Mahlzeiten.“
Das war ein sinnvoller Plan. Ein Engel zum Training seiner Horden. Das würde Ihm sicher auch gefallen.
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