„Nicht zappeln." Mit der Faust schlug N'Arahn ihr mehrfach hart auf die Oberschenkel, bis Veidja nicht mehr wusste, ob ihre Beine taub waren, oder so schmerzten, dass sie nicht mehr in der Lage war, es zu fühlen.
Langsam überkam sie Verzweiflung. Sie hatte eindeutig unterschätzt, wie gut der Höllenfürst in der Lage war, auch ohne Rüstung einzustecken. Er schien nicht einmal zu merken, dass ein stetiger Strom seines Blutes den Sand in Matsch verwandelte. Geschweige denn, dass ihn der Kratzer an seinem Hals störte. Auch in dieser Hinsicht hatte sie sich verschätzt. Sie war davon ausgegangen, dass der Höllenfürst so überheblich war, dass er ihren Angriff noch einmal abwarten würde.
Eine tödliche Fehleinschätzung, wäre dies ein normaler Kampf. Trotz all der Schmerzen und der Demütigung, so leicht besiegt zu werden, war sie sich relativ sicher, die Arena zu überleben. Immerhin hatte der Höllenfürst vorhin noch davon gesprochen, dass sie eine Weile zur Belustigung bleiben sollte.
Aber welche Belustigung sollte das sein, zumindest jetzt noch? Wenn sie nicht weiter kämpfte, würde er sie vielleicht doch direkt töten, einfach aus Langeweile. Und sie wollte kämpfen, oh ja. Sie war wütend, Zorn tobte durch ihre Adern.
N'Arahn saß auf ihr, beobachtete, wie ihr vor Schmerzen Tränen in die Augen stiegen, als er ihren gebrochenen Arm schüttelte.
„Ich glaube, mein neues Spielzeug ist schon kaputt", brüllte er lachend in die Ränge. Ein Sturm von Gekicher und Gejohle antwortete ihm, unerträglich laut nach der tiefen Stille.
„Na, mal sehen, vielleicht kann es noch quieken." Der Höllenfürst griff nach dem Pflock in ihrer Schulter, zog ihn etwas heraus und begann ihn in der Wunde zu drehen. Veidja wollte nicht schreien, um keinen Preis. Doch ihr Mund öffnete sich wie von selbst, das Brennen und Wühlen in ihrer Schulter überflutete ihre Sinne.
Nicht schreien, nicht schreien! Unendlich langsam drehte sie den Kopf. Wenn man nicht schreien will, muss man auf etwas beißen, dachte sie benebelt. Noch ein Stück. Ihr Kopf ruckte vor, was weitere Wellen von Übelkeit erregendem Schmerz durch ihre Schulter goss. Dann versenkte sie ihre Zähne im Handgelenk des Dämons. Für einen Moment schmeckte sie Blut. Rauchig, warm, irgendwie würzig. Beunruhigend gut.
Plötzlich explodierte etwas an ihrem Kopf. Weiße Funken sprenkelten Dunkelheit. Der Geschmack war weg. Sie hörte nur noch Rauschen, fühlte sich hochgehoben. Wieder Schmerz, aus verschiedenen Quellen, doch viel zu weit weg, als dass es sie kümmern würde.
Ihr Körper ist fern, nur eine Erinnerung.
Eine Stimme dringt durch den schwarzgrauen Nebel. Veidja ahnt, dass sie wichtig ist, versucht sich zu konzentrieren: „Für heute hast du es überstanden, Kriegerin." Dann nur noch Rauschen und die vielen Schattierungen des Schmerzes: Rot, violett, weiß.
Als sie wieder erwachte, wünschte sie sich, es wäre nicht so. Das langsame Auftauchen aus der Bewusstlosigkeit ließ ihr viel Zeit, der Zerschlagenheit ihres Körpers nachzuspüren. Stück für Stück meldete sich jede Verletzung. Ihre Muskeln schrien, ihre Haut brannte. Heiß pulsierend klopfte ihr Herzschlag in ihrer Schulter, ihrer linken Hand und ihrem rechten Unterarm. Sie atmete flach, da jeder Atemzug schmerzhaft gegen ihre gebrochenen Rippen drückte.
Hätte er es nicht einfach zu Ende bringen können? Dem tauben Gefühl an ihrer rechten Schläfe nach zu urteilen, musste der Höllenfürst ihr fast den Schädel eingeschlagen haben. Veidja wollte den Schaden besser einschätzen können. Sie öffnete langsam die Augen und musste gegen Verkrustungen anblinzeln. Ohne nachzudenken nahm sie ihre rechte Hand hoch, um sich die Augen frei zu wischen.
„Mutter!", entfuhr es ihr. Unwillkürlich standen ihr Tränen in den Augen. Richtig, der Dämon hatte ihr den Arm gebrochen, was sich gerade deutlich bemerkbar machte. Sie ließ ihren Arm liegen, doch das unangenehme Pochen beschleunigte ihren Atem, was eine Kettenreaktion schneidender Schmerzen in ihrem ganzen Körper auslöste. „Gütige Mutter." Veidja wünschte sich, sie könnte anständig fluchen, um für diese Situation die richtigen Worte zu haben.
Der nächste Versuch, die Augen zu öffnen, gelang ihr. So waren ihre Tränen zumindest zu etwas nutze. Ah, wenn sie sich nicht allzu sehr täuschte, war sie wieder in dem Zimmer, in dem sie geschlafen hatte. Das Licht war gedämpft, wofür sie im Moment dankbar war. Doch sie erkannte ein paar Unregelmäßigkeiten in den Wänden wieder, die sie bei ihrer gründlichen Untersuchung entdeckt hatte. Immerhin. Zudem war sie augenscheinlich alleine in dem Raum. Irgendwer hatte sie einfach auf dem Bett abgelegt.
Vorsichtig schaute sie an sich herunter; sie trug noch das durch den Kampf verdreckte und an einigen Stellen durchlöcherte Kleid. Das ehemalige Weiß des Stoffes war kaum noch zu erkennen, große Flächen waren hell- bis dunkelrot gefärbt. Blut natürlich, wahrscheinlich mehr von dem Dämonen als von ihr.
Wie es jetzt wohl weitergehen sollte? Sie musste dringend eine Möglichkeit finden, ihre Wunden zu versorgen und wieder zu Kräften zu kommen. Das könnte eine ganze Weile dauern, bei meinem Zustand. Ihre Verletzungen von der Schlacht waren noch nicht vollständig verheilt gewesen, jetzt diese neuen dazu... Sie würde mehr als ein wenig Ruhe benötigen. Auch musste ihr Arm gerichtet werden. Den Schmerzen nach zu urteilen, hatten sich die Knochenstücke etwas verschoben und drückten von innen gegen Muskeln und Haut. Veidja hob den Kopf ein wenig, um ihren Arm begutachten zu können, wobei sie den ziehenden Schmerz in ihrer Schulter zu ignorieren versuchte. Ja, da war eine Ausbuchtung, die dort nicht hingehörte. Zumindest war sie nicht groß, so dass sie davon ausgehen konnte, dass ihr Arm mit ein wenig Pflege wieder vollständig und wie gewohnt funktionsfähig sein würde.
Fast hätte der Engel gelacht. Pflege? Wovon träumte sie hier mit offenen Augen? Sie konnte froh sein, wenn man sie nicht in ihrem Zustand wieder in die Arena schleifte, nur weil sie aufgewacht war.
Was kann ich tun? Veidja stellte fest, dass sie nicht wusste, wie sie ihre Situation verbessern sollte. Zum ersten Mal konnte sie nicht einmal mehr richtig kämpfen. Sie war dem Lauf der Dinge ausgeliefert, zu schwach und zu zerschlagen, um sich zu wehren, falls man sie holen kam. Sie konnte kaum atmen, jeder Ton, jede Bewegung schmerzte. Alles, was ihr blieb, war zu warten. Und zu ruhen, solange man sie ließ. Zumindest schien sie kein Blut mehr zu verlieren, so dass sie nicht im Schlaf sterben würde. Das wäre mal ein würdeloser Abgang für einen Schlachtengel.
Also versuchte sie sich in sich zu versenken, innere Stille zu finden. Ein Gebet würde helfen! Dass sie darauf nicht vorher gekommen war, sagte ihr einiges über ihren Zustand. Veidja zwang ihren Atem in einen zwar schmerzhaften, aber tiefen und gleichmäßigen Rhythmus. Sie schickte ihren Geist aus, wie sie es sonst auch zum Gebet tat, und öffnete ihre Seele für die Berührung der gütigen Mutter. Doch statt Ihrem wärmenden Licht, das für den Engel immer selbstverständlich gewesen war, fand sie nur Dunkelheit und Leere. Etwas... blockierte sie? Und dieser Geschmack, der sich in ihrem Mund sammelte... Ihr war, als würde die Schwärze in sie fließen, je mehr sie sie zu durchdringen suchte. Hatte da etwas nach ihr getastet? Plötzliche Panik ließ ihr Herz springen und sie riss die Augen auf, löste sich ruckartig aus dieser fast greifbaren Finsternis, die sich ihrer Seele bemächtigen wollte.
Sie hatte den Rhythmus verloren und damit ihre Hoffnung. Sie war wirklich allein, nicht einmal die gütige Mutter selbst konnte sie hier erreichen. Ein Schrei, voller Verzweiflung und Trauer, sammelte sich in Veidjas Kehle. Sie schluckte ihn hinunter, mit dem letzten Geschmack der Dunkelheit, der noch auf ihrer Zunge gelegen hatte. Disziplin, Schlachtenengel! Natürlich war es ein herber Rückschlag, aber sie würde nicht aufgeben. Zudem hatte in einem Winkel ihrer Seele schon seit dem ersten Mal, als sie den Höllenfürsten gesehen hatte, die Gewissheit gelauert, dass keine Hilfe kommen würde.
Konzentriere dich, verfalle nicht in Verzweiflung. Du bist in der Festung eines Höllenfürsten, da steht die Hoffnungslosigkeit immer an deiner Seite. Aber du musst dich zusammenreißen, willst du eine Chance haben. Dann kannst du es schaffen!, sprach Veidja sich Mut zu.
Also, wo stehe ich? Ich bin allein unter Dämonen, Hilfe ist nicht zu erwarten. Dabei bin ich es nicht gewohnt, alleine zu kämpfen, und eine große Strategin bin ich ebenfalls nicht. Dazu kommt, dass ich weder Waffen noch Schutz habe. Derzeit kann ich meine Arme und Beine nicht benutzen und ich habe nichts, um meine Lage zu verbessern. Ich stehe bei jedem Schritt außerhalb dieses Zimmers unter Beobachtung mehrerer Diener des Höllenfürsten. So weit, so schlecht. Andererseits scheint der Höllenfürst irgendein Vergnügen daraus zu ziehen, mich nicht direkt zu töten. Wobei das wahrscheinlich besser wäre, als das, was er noch mit mir vor hat. Egal, was noch? Ah, ja. Er hat sogar davon gesprochen, dass „begrenzte Mittel" eine Verschwendung meiner Kräfte wären. Will er mir später Waffen zur Verfügung stellen?
Nur eine winzige Hoffnung, aber vielleicht hatte er ja nicht gelogen, sondern war einfach verrückt.
Und wie sollte ich diese Waffen nutzen, wenn ich keine Gelegenheit bekomme, zu heilen? Aber das ist Spekulation. Weiter. Ich bin zwar eingesperrt, aber nicht in Eisen geschlagen. Nun, das ist zur Zeit auch unnötig, zugegeben. Trotzdem ein Pluspunkt. Und wenn ich ein wenig Ruhe bekomme, kann ich mich so weit erholen, dass ich wieder handlungsfähig bin. Als Erstes muss ich mich um meinen Arm kümmern, damit er nicht falsch zusammen wächst. Nun, das ist doch so etwas wie ein Plan. Schlafen, um Kräfte zu sammeln. Arm richten. Sehen, was passiert. Ich kann schließlich nicht in die Zukunft blicken.
Veidja seufzte. Das war der magerste und jämmerlichste Plan, von dem sie je gehört hatte. Noch nie hatte sie die Archivare oder Erhebenden um ihre Fähigkeiten beneidet. Doch jetzt wäre etwas Voraussicht oder Segen sehr nützlich. Wenn sie das alles hier überlebte und zum Weißen Berg zurückkehrte, würde sie die anderen Kasten und deren Gaben mit mehr Respekt betrachten.
Immerhin, ihr Plan war so simpel, dass sie direkt mit seiner Umsetzung beginnen konnte. Veidja suchte sich die Position, die am wenigsten weh tat und versuchte zu schlafen.
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