N'Arahn blickte mit leerem Blick in den Saal und spürte seine Unruhe wachsen. Der Kampf mit dem Schlachtenengel war kurz aber erfreulich gewesen. Ihre Zähigkeit hatte ihn etwas überrascht, sowie ihre Bereitschaft, wenig ehrenvoll zu kämpfen. Doch das war nur Würze in diesem neuen Vergnügen. Sein Engel war also nicht dumm.
N'Arahn erwischte sich dabei, wie er über die Stelle strich, an der Veidja ihm den Knochen in die Seite gerammt hatte. Die Wunde war tief gewesen und hatte stark geblutet. Doch da eine schnelle Versorgung gewährleistet war, würde dieses Mal keine Narbe bleiben.
Anders stand es wohl für den Engel. Als sie ihn biss, war seine Beherrschung von einem Augenblick zum anderen verschwunden. Der erste Schlag gegen ihren Kopf war ein sinnvoller Reflex, denn sie hatte sofort seine Hand losgelassen. Die Faustschläge danach hatte sie wahrscheinlich nicht mehr bewusst mitbekommen, denn sie hatte in keiner Weise reagiert. Nur die aufkeimende Befürchtung, sie doch schon verfrüht zu töten, hatte ihm geholfen, von ihr abzulassen.
Sie war nun schon eine Weile in ihrer Kammer um sich zu erholen. Ein ungewohntes Gefühl nagte an dem Höllenfürsten. Er wollte wissen, wie es Veidja ging; er war neugierig. Fast so etwas wie besorgt? Sie hatte ganz und gar nicht gut ausgesehen, als Darr sie aus der Arena getragen hatte.
Vorsichtig streckte er seine Sinne in Richtung ihrer Kammer aus. Nicht zum ersten Mal seit dem Kampf; immer wieder prüfte er, ob sich ihr Zustand verändert hatte. Es wäre ja wirklich eine Verschwendung, wenn sie jetzt noch ihren Verletzungen erliegen sollte. Aber nein, er konnte ihr Leuchten wahrnehmen, sie war noch am Leben. Schwach, sicherlich, doch unverkennbar mit brennendem Willen. Sie war aufgewacht.
Ein Ziehen, das sich seit dem Kampf hartnäckig in N'Arahns Bauch gehalten hatte, löste sich auf. Seine Haut prickelte und er sackte etwas in seinem Stuhl zusammen. Stirnrunzelnd ließ der Höllenfürst seinen Blick durch den Saal schweifen. Wenn das nicht völlig unpassend gewesen wäre, hätte er gesagt, dass es Erleichterung war, die ihn gerade durchströmte.
Nun, er musste unbedingt etwas tun, denn die Unruhe war ihm geblieben. Und es zog ihn eindeutig zu dem Engel. Was sprach auch dagegen, sein Werk mal aus nächster Nähe zu betrachten? Schließlich musste er einschätzen, wie bald sein neues Spielzeug wieder einsatzfähig war. Und gegebenenfalls etwas nachhelfen. Das ergab Sinn.
Als er sich erhob um den Saal zu verlassen, wollte Darr ihm folgen. N'Arahn hielt ihn mit einer Geste zurück. „Dieses Mal nicht. Bleib hier. Und schicke Cek aus, damit er die Säuberung der Arena beaufsichtigt."
Ohne sich zu versichern, dass seinen Anweisungen Folge geleistet wurde, schritt er durch den Saal, vorbei an massiven Tischen und Bänken. Die hohe Decke wölbte sich dunkel über ihm. Die Schatten in den Ecken trotzten den vielen Lichtquellen, schienen durch Überschneidungen der Lichtkreise der Fackeln, Laternen und Lavabögen zum Teil noch tiefer. Da N'Arahn barfuß unterwegs war, bewegte er sich nahezu lautlos. Das Getrappel und die Geräusche seiner Diener waren zwar ebenfalls sehr leise, doch zerrten selbst diese gedämpften Laute gerade an seinen Nerven.
Mit einem Energiestoß öffnete er die Doppeltür aus Eisenholz und gab seiner Rastlosigkeit nach, indem er sein Tempo erhöhte. Die Festung war weitläufig und wie ein Labyrinth angelegt. Doch wenn N'Arahn es eilig hatte, richtete der Stein sich nach ihm; hier unten war er der Herr über alles, ob lebendig oder tot.
Es dauerte nicht lange, da stand der Höllenfürst vor der Tür zu Veidjas Kammer. Kurz zögerte er. Dann, heftiger als es nötig gewesen wäre, öffnete er die Tür und trat in den kleinen Raum. Er wusste, dass der Engel wach war, doch was er sah, hätte er nicht erwartet. Veidja hatte sich in eine halb aufgerichtete Position gebracht und ihre durchlöcherte linke Hand um ihren rechten Unterarm gelegt. In diesem Moment zog sie den gebrochenen Knochen mit einem harten Keuchen gerade. Schweiß stand ihr am ganzen Körper, die Wunden an Hand und Schulter waren wieder aufgebrochen, N'Arahn konnte das frische Blut riechen. Sein Aroma vermischte sich mit dem Geruch, der dem Engel zu eigen war, und einem Hauch von Angst zu einem fast benebelndem Duft. Gierig zog der Dämon die Luft ein und verkrampfte unwillkürlich seine Hände zu Fäusten.
Ein Schritt auf das Bett und den Engel zu. Veidja blickte mit einem ebenso angestrengten wie misstrauischen Gesichtsausdruck zu ihm hoch.
„Wenn du so auf Schmerzen stehst, werde ich das in Zukunft berücksichtigen." N'Arahn grinste den Engel böse an. Innerlich musste er Veidja jedoch schon wieder Respekt zollen. Sie befand sich in einer ausweglosen Situation, doch sie traf eindeutig Vorbereitungen, wieder kampffähig zu werden. Zähes Ding.
Der Höllenfürst ließ sich neben dem Engel auf der Bettkante nieder. „Lass mich mal sehen." Er griff nach ihrem Arm und verständlicherweise versuchte sie, ihn ihm zu entziehen. Doch sie war derzeit weder schnell noch stark genug ihn auch nur geringfügig aufzuhalten.
N'Arahn besah sich den Arm. Er war kein Heiler, natürlich nicht, aber er hatte genügend Kampfverletzungen gesehen, um einschätzen zu können, wie sich diese hier entwickeln würde. Es sah gut aus.
„Der Bruch war glatt und du hast den Arm den Umständen entsprechend hervorragend gerichtet." Er löste seinen sanften Griff und legte ihren Arm vorsichtig wieder auf dem Bett ab. „Es wäre gut, ihn zu schienen. Und deine Wunden müssen gesäubert werden; es ist bestimmt Sand hineingekommen."
Er betrachtete sie, ihr zerfetztes Kleid, das blaue Auge, das er ihr durch den Fauststoß verpasst hatte, die Blutkrusten und Blutergüsse, soweit sie nicht verdeckt wurden.
Die Anspannung, die N'Arahn die ganze Zeit begleitet hatte, löste sich auf. Sein Engel hatte einen überaus starken Lebenswillen, das war ihm im Grunde schon klar gewesen. Doch sie jetzt direkt neben sich zu spüren, diesen Blick aushalten zu müssen, ihren Hass und Widerwillen so unmittelbar zu erfahren, das war etwas anderes. Es machte für den Höllenfürst greifbar, dass er sie so schnell nicht wieder verlieren würde. Und das beruhigte ihn auf eine seltsame Art und Weise; seine Gedanken konnten sich wieder seinen Plänen zuwenden.
„Du bist in keinem guten Zustand und dafür habe ich keine Zeit. Auch dir wird es sicherlich entgegen kommen, wenn ich deine Heilung ein wenig beschleunige. In den Roten Tiefen gibt es keinen Platz für Kranke und Gebrechliche."
Veidjas Gesichtsausdruck verriet außer einem gründlichen Misstrauen wenig. Sie hatte wohl berechtigter Weise nicht damit gerechnet, überhaupt so lange zu überleben. Der Höllenfürst machte eine Geste, die Verlegenheit ausdrücken sollte.
„Zugegeben, du hast hier schon eine Sonderstellung."
Es war erst so kurze Zeit her, da hatte er sie noch in die Bewusstlosigkeit geprügelt. Nun sprach er davon, sie bei der Genesung zu unterstützen. Wenn das nicht ihr Misstrauen verdient hatte, dann wusste er es auch nicht. Doch waren Engel nicht dazu verpflichtet, ja gemacht, das Beste zu hoffen? Immer nur das Gute zu sehen? Aber vielleicht galt das ja auch nicht für Schlachtenengel. Und schon gar nicht gegenüber ihren Feinden.
„Ich werde dir Mana geben, nur so viel, dass dein Arm zusammenwächst. Dann kannst du dich selbst um deine Wunden kümmern. Und dich waschen." Er schnüffelte in ihre Richtung. „Du verpestest meine Luft." N'Arahn hatte ein wenig gehofft, sie provozieren zu können, doch der Engel schwieg beharrlich. In ihren Augen lagen Messer; das war das einzige, was sie an Regung zeigte.
Gut, dann nicht. N'Arahn griff in die Schatten und entzog ihnen Mana. Er füllte es in seine gewölbte Hand; nicht viel, doch es würde fürs erste reichen. Die Flüssigkeit hatte die Farbe von Brombeeren, fast schwarz. Er hatte das Mana konzentriert, so dass seine Konsistenz eher an Öl erinnerte. Auf diese Weise floss es nicht so schnell von seiner Hand.
Er würde den Engel dazu bringen, ihm aus der Hand zu trinken. Nur eine weitere kleine Demütigung, nur ein wenig subtiler Hinweis darauf, dass sie von ihm abhängig war. Sie würde sowieso nichts anderes von ihm erwarten, warum sich den Spaß also nicht erlauben. Ob er höflich und zuvorkommend sein wollte, oder grausam und brutal, das entschied er ganz nach Situation und Laune. Hier gab es nur die Regeln, die er selbst aufstellte, und je undurchschaubarer sie für den Engel waren, desto besser für ihn.
N'Arahn hielt ihr seine Hand hin.
„Trink."
Sie zögerte. Ob sie überlegte, ihn wieder zu beißen? Das Risiko ging er gerne ein. Es hielt ihn wachsam und regte seine Sinne an. Jede Berührung wurde intensiver. Seine Haare, die seine Schultern streiften, das Leder, das an seinen Beinen rieb, ihr Atem an seiner Haut, ganz zart.
Geduld war nicht gerade eine von N'Arahns Stärken. Gerade wollte er Veidja zwingen, das Mana zu sich zu nehmen, als sie den Kopf etwas vorstreckte und ihre Lippen den Rand seiner Hand berührten. Augenblicklich zog eine Feuerspur den Arm des Höllenfürsten entlang, kroch über seine Schulter und rieselte vom Nacken aus über seinen Rücken. Mit angestrengter Selbstbeherrschung verhinderte N'Arahn, dass seine Hand zitterte. War die Erwartung ihrer Berührung gehaltvolle Ungewissheit gewesen, bot das Gefühl des Mundes des Engels an seiner Haut unverhoffte Ekstase.
Veidja sog vorsichtig das Mana aus der Wölbung, so sacht, dass ihre Zähne ihm nicht nahe kamen. Diese Sanftheit erschütterte den Dämon bis ins Mark. Sicherlich war ihre Zurückhaltung aus Angst geboren? Dass er sie wieder schlug, wenn sie ihn verletzte, auch ohne Absicht? Oder war es einfach eine Seite an diesem Engel, die er nicht kannte; die sie bisher gut vor ihm verborgen hatte? War es gar Taktik, ein Versuch ihn zu umgarnen?
Doch sie hatte die Augen geschlossen, beobachtete seine Reaktion nicht, schien nur konzentriert. N'Arahn schauderte. Warum reagierte er so heftig? Er wagte kaum, sich zu bewegen, um bloß nichts zu verändern. Fühlte sich regelrecht machtlos, obwohl es doch die Kriegerin sein sollte, die sich seinen Launen und Spielen unterwarf.
Viel zu schnell war das Mana leer und N'Arahn fühlte sich versucht, es nachentstehen zu lassen. Nein, gut, dass die Situation vorbei war. Was hier passierte, war auf eine für den Höllenfürsten nicht ganz fassbare Weise falsch. Er musste es für sich klären, bevor er eine sich anbahnende Gefahr unterschätzte.
N'Arahn wischte die Reste des Manas am Laken ab. Die Augen des Engels erschienen ihm viel wacher als noch vor wenigen Momenten. Er erhob sich vom Bett und schaute auf Veidja hinunter.
„In wenigen Augenblicken holen meine Diener dich für ein Bad ab. Du weißt, was du zu tun hast. Wenn deine Wunden gesäubert sind, gebe ich dir mehr Mana, um sie zu verschließen. Ich will, dass du schnell wieder einsatzbereit bist." Er wandte sich zum Gehen. „Deine Leistung von heute ist sicherlich zu überbieten."
~~~~~~
Mühsam unterdrückter Hass tobte in Veidja. Der Dämon verstand es meisterlich, in jeder Schwäche noch das Messer herumzudrehen. Und sie hatte keine Wahl, als die jeweilige Schmach über sich ergehen zu lassen. Ob es das Trinken des Manas aus seiner Hand war, das Entkleiden vor einer ganzen Eskorte Dämonen oder das Eingesperrtsein in einem winzigen Raum, dessen Atmosphäre sie erdrückte.
Ganz zu schweigen davon, dass ihr noch immer alles weh tat und sie immer wieder darauf gestoßen wurde, wie abhängig sie von einem Höllenfürsten war. Dem Inbegriff von Bosheit, Grausamkeit und Zerstörungswut. Dem Feind. In Großbuchstaben.
Sollte sie ihm wirklich dankbar sein, weil er ihr Mana gab, damit sie sich notdürftig zusammenflicken konnte? Zu ihrer eigenen Bestürzung war sie es gewesen, für einen kurzen Augenblick. Die Erleichterung, als neue Energie durch sie hindurchfloss, die schlimmsten Schmerzen stillte und ein angenehmes Prickeln hinterließ, das von Heilung kündete. Seine Haut hatte nach Rauch und Metall geschmeckt...
N'Arahn ließ sie nicht aus den Augen, während sie steif auf dem Eisenholzstuhl saß und Mana aus einem neuen Kelch trank. Es war seltsam, so ruhig und schweigend zusammen an einem Tisch zu sitzen. Vor Kurzem hatte er sie noch bluten lassen. Hatte sie in den Sand gedrückt und dafür gesorgt, dass sie beinahe ihr Leben verlor.
Immerhin, dieses Mal zwang er sie nicht, mit ihm zu reden. Veidja war unsicher, was sich der Höllenfürst von ihr versprach. Doch sollte es wirklich nur Kampf sein, den konnte er bekommen. Sie würde durchhalten. Und irgendwann, wenn es nach ihr ging eher früher als später, würde er bereuen, sie gefangen zu haben.
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