Die Routine übernahm schneller, als Veidja es für möglich gehalten hatte. Der Ablauf blieb meist gleich und forderte sie bis zur Erschöpfung. Sie hatte keine Möglichkeit, zu messen, wie viel Zeit jeweils verging, sie schätzte allerdings, dass jeder Ablauf ungefähr einem Zyklus entsprach. Ohne den Verlauf der Sonne sehen zu können, blieb das jedoch natürlich Spekulation.
Auf Kampf in der Arena folgte eine kurze Ruhepause, nach der sie zum Bad geschleppt wurde. Wenn sie wieder einigermaßen präsentabel war, verbrachte sie Zeit mit dem Höllenfürsten, der darauf bestand, jede Managabe mit ihr gemeinsam einzunehmen. Erst danach war ihr richtige Ruhe vergönnt. Für eine Weile, in der sie sich gerade so erholen konnte, bis der nächste Arenagang anstand. Anfangs hatte sie noch versucht, die Kämpfe zu zählen. Doch schnell kam eine Zeit, in der sie nicht mehr sicher war, ob sie wirklich kämpfte, oder davon träumte, wie sie wieder und wieder in den Sand der Arena blutete.
Nur eines blieb, um zu messen, wie lange sie bei den Dämonen war: Nach und nach wurden die Runden schlimmer. Mehr niedere Dämonen gleichzeitig, oder Hauptmänner, die ebenfalls auf sie losgelassen wurden. Besonders grausam war Darr, der sie aus tiefster Seele zu hassen schien. Nachdem er sie in einer Runde beinahe ausgeweidet hätte, bekam sie ihre Rüstung wieder. Wohl um länger durchzuhalten. N'Arahn selbst ließ sich nie so gehen, doch er verhöhnte sie gerne und stachelte sein Gefolge an.
Sie wusste, die Kämpfe waren der Grund, dass sie überhaupt noch lebte. Und sie war froh, dass das, was den Höllenfürsten faszinierte, etwas war, das ihr lag, in dem sie gut war. Dabei war Veidja sich durchaus bewusst, dass es alles, was sie gelernt hatte, pervertierte, wenn sie zum Vergnügen eines Dämonen kämpfte. Allerdings lag darin auch ein Ausweg: Sich im ernsthaften Kampf töten zu lassen. Wobei N'Arahn sich und seine Kreaturen dafür anscheinend zu gut unter Kontrolle hatte. Der Engel befand sich in einem Zwiespalt. Sie wollte nicht wirklich sterben. Aber so zu leben? In Gefangenschaft, als Belustigung ihrer ärgsten Feinde?
Rational betrachtet konnte es so nicht weitergehen. Irgendwann würde etwas schief gehen und einer der Dämonen verstümmelte sie so, dass sie nicht mehr zum Kämpfen taugte. Oder der Höllenfürst verlor einfach das Interesse an ihr. Dann hatte sie mit Sicherheit keine Möglichkeit mehr, zu fliehen oder den Dämonen gar zu überwältigen. Sie wollte nicht weggeschlossen in irgendeiner Kammer dahinsiechen. Sie würde nicht sterben, sondern erstarren, wenn sie keine Energie mehr bekam und ihren Lebenswillen verlor. Und auf Dauer wahrscheinlich dem Wahnsinn verfallen, falls man sie weiterhin versorgte.
Veidja hatte nicht vor, es dazu kommen zu lassen. Sie war besiegt und zerschlagen, aber nicht gebrochen. N'Arahn würde sie nicht brechen, kein Dämon konnte das. Dieser Gedanke hielt sie aufrecht. Er hielt sie wütend, und das brauchte sie, um am Leben bleiben zu wollen.
Und trotzdem schlichen sich Zweifel ein. Was konnte sie tun? Sie wurde langsam immer schwächer. Die steigende Angst begann sie zu lähmen. Ohne Kontakt zu ihren Gefährten, zu dem ewigen Strom unerschütterlicher Zuneigung vom Weißen Berg, ohne Licht in ihrem Leben, ohne echte Entspannung; das alles forderte einen zu hohen Tribut.
Mutter, hilf mir!
***
„...ein außergewöhnliches Spektakel, gefolgt von einem Gelage. Für einen geringen Aufpreis wird es gestattet, ebenfalls einen Kämpfer für die Arena zu stellen." N'Arahn schwieg kurz. „Das reicht. Sende zuerst Boten an einige hochrangige Ränkeschmiede. Ein ordentlicher Kampf wird eine nette Abwechslung von all dem Theoretisieren und Philosophieren für sie sein. Der nächste Schwung Einladungen geht an Verführer und Kriegstreiber gleichermaßen."
Mit einem Wink entließ er Gorf, um seine Befehle auszuführen.
„Ah, eins noch." Sein Hauptmann drehte sich herum wie an Fäden gezogen. „Lass Tazeel zuletzt eine Nachricht zukommen." Mehr zu sich selbst und für den Hauptmann wohl kaum hörbar fügte der Höllenfürst hinzu: „Er soll ruhig noch ein wenig warten."
Gedankenversunken wandte er sich wieder seiner Planung zu. Die Zeit war günstig, um die anderen Höllenfürsten mit einem solchen Ereignis zu locken. Er würde hohe Preise fordern, außergewöhnliche Gefallen verlangen können. Einerseits war bereits an den Hof durchgesickert, dass in seiner Festung etwas Ungewöhnliches vorging. Andererseits hatte er noch niemanden zu seinem Engel vordringen lassen, so dass die Neugierde der anderen Höllenfürsten besonders groß sein musste.
Insbesondere die Kriegstreiber würden eine solche Zerstreuung kaum ablehnen können. Die Zeit der Schließung war lange genug her, dass die Kampfeslust wieder stark war. Andererseits war die nächste Schließung noch so weit hin, dass zwangsläufig Langeweile um sich greifen würde.
Der große Riss in den Öden, der Weltenbruch, brachte N'Arahn genau die Pause zwischen den Schlachten, die er sonst immer verflucht hatte. Dieses Mal genoss er die Möglichkeiten, die sie ihm verschaffte.
Zu den Vorführungen würde sein Engel mit Waffen ausgerüstet werden; das erforderte vorherige Übung. Allzu viel Zeit blieb nicht mehr dafür, aber seine Kreaturen hatten inzwischen verstanden, dass sie besser schnell lernten. Wer von ihnen in die Arena geschickt wurde, war danach entweder siegreich und wurde belohnt, oder er war tot.
Dann war da noch das Gelage im Anschluss. Auch wenn die Kämpfe die Hauptattraktion sein sollten, würde doch...
Ein mentaler Alarmruf und eilige Schritte vor seinem Saal?
Cek rannte selten, doch dieses Mal durchquerte N'Arahns Hauptmann den Saal im Laufschritt, um sich vor seinem Höllenfürsten über den Boden schlitternd auf die Knie zu werfen.
Auch wenn er augenblicklich aufgewühlt war, N'Arahn sah seinen Hauptmann nur an, ließ ihn warten. Irgendetwas Wichtiges, und wohl nichts Erfreuliches, musste passiert sein. Doch das hier war seine Festung, sein Reich. Er würde sich nicht aufscheuchen lassen, als sei er ein verschreckter Mensch.
„Nun?" Er gestattete Cek zu reden.
„Herr, der Engel ist geflohen."
Was? Das war unmöglich. Das durfte nicht sein! Es konnte nicht sein.
„Ich habe sofort mehrere Horden nach ihr ausgeschickt, als die Toten entdeckt wurden, Herr." Das Röcheln und Knirschen von Ceks Stimme zerrte an N'Arahns Nerven. Oder war es die Botschaft, die er brachte? Sein Engel...
Wie hatte das passieren können? Er hatte gesehen, wie ihr Leuchten schwächer geworden war. Wie der Kampf sie auslaugte, so dass sie aus der Arena getragen werden musste. Sie hätte nicht in der Lage sein sollen, es mit ihren Wachen aufzunehmen.
„Benachrichtige Darr; ihr führt jeweils eine Horde direkt an. Weit kann sie nicht sein." N'Arahn lehnte sich äußerlich ruhig zurück und weitete seine Präsenz aus, um herauszufinden, wo Veidja sein könnte.
Seine Wahrnehmung änderte sich, jede Energie in seiner Festung war ein dunklerer Schatten. Daraus müsste das Licht seines Engels doch hervorstechen...
Ah, eins noch. „Um deine Bestrafung kümmere ich mich danach." Beiläufig hinterließ er diese Ankündigung in Ceks Gedanken. Das demütige „Natürlich, Herr." nahm er kaum noch wahr.
***
Veidja rannte. Sie konnte nicht sagen, wie lange schon; die Gänge sahen sich zum Verwechseln ähnlich.
Es war einem Wunder gleichgekommen, dass sie ihre Wachen hatte überwältigen können. Vielleicht waren sie an ihren erschöpften Gehorsam schon zu gewohnt gewesen, als dass sie einen Angriff erwartet hätten. Der Grund war egal, sie hatte sie töten können, hatte ihre Chance gesehen und ergriffen.
Auch jetzt noch war sie erleichtert, dass dieses Mal kein Hauptmann zu ihrer Begleitung ausgewählt worden war. In ihrem Zustand hätte sie solch eine Kreatur nicht mehr besiegen können.
Noch immer rannte sie, ihr Herz trommelte einen passenden Rhythmus zu dem Geräusch ihrer nackten Füße auf dem Steinboden.
Trotz aller Eile lauschte sie immer wieder nach ihren Häschern, die sie jeden Moment erwartete. An jeder Biegung versuchte sie den Weg zu finden, der sie vielleicht an die Oberfläche bringen konnte. „Nach oben" war zwar kein guter Plan und alles andere als eine exakte Wegbeschreibung, doch mit etwas Besserem konnte sie zurzeit nicht aufwarten. Es würde nicht mehr lange dauern, dann wäre es eh für alles zu spät.
In der Ferne (Wie misst man Entfernungen in den Gängen einer verschlungenen Festung?) hörte sie das flüsterleise, doch anschwellende Getrappel und Geklapper von Klauenfüßen. Nur ein normaler Aufmarsch der Legionen oder hatte man ihre Flucht entdeckt?
Gleichgültig, sie musste weiter.
Doch so langsam machte sich Verzweiflung in dem Engel breit. Die Gänge schienen sich nicht zu verändern sondern, falls das überhaupt möglich war, noch mehr zu gleichen. Sie hätte auch im Kreis laufen können ohne es zu merken. Markierungen konnte sie keine hinterlassen, um sich Klarheit zu verschaffen, ohne sich zu verraten. Abgesehen davon wusste sie auch keine Möglichkeit, diesen schwarzen Fels nachhaltig aber schnell zu bearbeiten. Dann einfach weiter, Hauptsache voran.
Von ihren Kräften war sie in der Festung des Höllenfürsten zwar abgeschnitten, doch sie spürte eine leichte Veränderung in den Energien um sie herum. Vor Frustration schnaubte sie. Wenn sie es nicht völlig falsch deutete, hatte der Höllenfürst soeben von ihrer Flucht erfahren.
Zusätzlich ließen sie ihre letzten Kraftreserven langsam im Stich. Die Schwäche begann von ihren Händen und Füßen ausgehend langsam tiefer in ihren Körper zu kriechen. Sie trieb sich trotzdem weiter an, aufgeben kam nicht in Frage. Noch eine Biegung, noch eine.
Die Geräusche der Dämonen kamen nicht mehr näher, sie entfernten sich, wurden leiser. Hoffnung brannte als kleine Flamme in den Gedanken der Kriegerin.
Noch eine Biegung, noch ein Gang, noch eine Biegung. Die Flamme erlosch urplötzlich, als Veidja ohne Vorwarnung in einer Sackgasse stand, der schwarze Fels nur eine Armlänge von ihr entfernt.
Bevor sie sich auch nur umdrehen konnte, bekam sie einen Stoß in den Rücken und knallte gegen den Stein. Der Geruch von Metall und Rauch umfing sie. Der Höllenfürst hatte sie gefunden.
„Vorbei, vorbei." Sein bedauernder Tonfall klang wie reiner Hohn in Veidjas Ohren. Der Dämon presste sie mit seinem Körper an die Wand, der schwarze Stein rieb rau über ihre Wange. Sein Atem ging gleichmäßig, jedoch beschleunigt. Der dünne Stoff ihres Kleides ließ seine Wärme direkt zu ihr durch, ließ sie jede Bewegung spüren. Ihr eigener Atem flatterte, weniger von der Anstrengung, mehr vor Aufregung und Wut. Wut, schon wieder gefangen worden zu sein.
„Du hast es wirklich geglaubt, nicht wahr? Dass du fliehen könntest. Dass es einen Ausweg für dich gibt." Sein Mund war ganz nah an ihrem Ohr. Doch fast noch deutlicher fühlte sie das Vibrieren seiner Stimme durch seinen Brustkorb an ihrem Rücken. Der Dämon flüsterte nun nur noch: „Aber du gehörst mir. Mit Haut..." Er strich ihren eingeklemmten Arm entlang, was ihre Haut zum Kribbeln brachte. „.. und Haar." Er zog die Luft durch ihre Haare ein, schnaubte belustigt, als ihn wohl eine Strähne kitzelte. „Wie die Menschen so schön sagen."
Er schwieg einen Moment. „Meine Festung ist ein Labyrinth. Du kannst keinen Weg hinaus finden, den ich dir nicht zeige. Ich habe hier jede Macht, die ich haben will. Du bist nur ein kleines Irrlicht in meiner Dunkelheit." Wieder eine Pause, und noch immer hielt er sie mit seinem Körper gefangen. „Aber bitte, tu mir den Gefallen, versuche es weiter. Flieh, damit ich dich jagen kann." Als er weitersprach, konnte Veidja geradezu das Grinsen hören, das er dabei aufgesetzt hatte. „Denn vielleicht, süßer Engel, lüge ich ja nur. Vielleicht warst du kurz davor, mir zu entkommen. Vielleicht will ich nur deine Hoffnungen begraben. Schließlich bin ich ein Dämon und das ist meine Natur." Da konnte sie ihm nur zustimmen. Sie glaubte ihm kein Wort, wollte nicht, dass es wahr war. Die Konsequenzen wären schrecklich. Es durfte nicht sein.
Er mochte sie zwar für den Moment wieder in seiner Gewalt haben, doch er würde sie nicht brechen. Sie würde ihn nicht in ihren Kopf lassen. Wollte ihn nicht in ihren Gedanken, wollte ihn nicht so nah bei sich.
Wollte auch dieses Kribbeln in ihrem Nacken nicht, wo sein Atem sie streifte. Wollte nicht, dass die Wärme, die er abstrahlte, sie umfing. Ihr durch Haut und Muskeln drang und den eisigen Griff um ihr Herz antaute. Sie weich werden ließ, wie Wachs in warmen Händen.
Keine Flucht mehr, sich ergeben. Es erschien ihr plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Es war nur eine winzige Veränderung. Und doch hielt er sie nicht mehr fest; er hielt sie, war plötzlich ihre Stütze, nicht mehr ihr Käfig. Veidja war völlig erschöpft. Körperlich, geistig, es machte keinen Unterschied. So müde. Sie hatte zu lange gewartet.
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