Die Anspannung im Körper des Engels ließ von einem auf den anderen Moment nach. Überrascht verringerte N'Arahn den Druck seines Körpers gegen den ihren, nur um sofort nach ihren Armen zu greifen, damit sie nicht mit dem Gesicht an der Wand entlang schrammend zu Boden sank. Ein Trick? Misstrauisch zog er sie etwas vom schwarzen Stein weg und legte einen Arm eng um sie, klemmte ihre Arme fest. Veidjas Füße schleiften leicht über den Boden und ihr Kopf pendelte zur Seite, als sei sie ohnmächtig geworden. Doch sie war noch wach, er konnte es spüren. Aber etwas war... anders.
Der Höllenfürst empfand zum ersten Mal so etwas wie Unsicherheit. Kein angenehmes Gefühl. So ratlos sollten ihn seine Diener auf keinen Fall sehen. Er schickte einen kurzen Impuls zu Darr und Cek: Die Jagd war beendet, sie sollten sich wieder zurückziehen. Und sich von ihm fernhalten, er würde eine Weile beschäftigt sein. Gehorsam und eine winzige Spur Neid waren die Antwort.
Und nun? Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Engel. Er war jedoch noch nicht völlig überzeugt, dass sie nicht versuchte ihn zu täuschen. Was irgendwie ironisch wäre, ein Engel der einen Dämonen betrog. Er hätte es normalerweise amüsant gefunden. Doch inzwischen machte er sich Sorgen. Moment mal. Um einen Engel?
Veidja tat einen schweren, tiefen Atemzug und sank endgültig in N'Arahns Umklammerung. Keine Anspannung mehr in ihrem Körper, selbst ihr übriggebliebenes Leuchten schien noch gedämpfter. Vorsichtig ließ sich der Höllenfürst auf ein Knie nieder und legte sie halb auf dem Stein ab, lehnte sie mit dem Rücken an sein aufgestelltes Bein. Wachsam beobachtete er sie, die halb geschlossenen Augen, die geöffnet an ihren Seiten liegenden Hände.
„Ich weiß, du genießt deinen Aufenthalt hier nicht so wie ich", sprach er sie leise an. Er konnte die Sorge, die er widersinnigerweise empfand, nicht ganz aus seiner Stimme verbannen. „Verrate mir trotzdem: Was ist mit dir?" Er legte seine Hand sanft unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an, bis er ihr in die Augen sehen konnte. Ihr Blick war trübe, der leuchtende Bernstein stumpfem Ocker gewichen. Mit dem Daumen strich er über ihre Wange. „Verflucht! Was ist mit dir?"
Sie war am Verlöschen; sein Engel starb. Nicht sofort, aber das hier war keine normale Schwäche. Nun verstand er, warum ihre Flucht überhaupt so lange hatte dauern können. Sie hatte ihr Licht nicht versteckt, es war einfach kaum noch vorhanden. Ein eisiger Schmerz breitete sich in seiner Brust aus. Wie Wut, aber lähmender. War das Angst? Verzweiflung?
Mit einem unwilligen Knurren schob er seine Arme unter ihrem Rücken und ihren Knien hindurch und erhob sich mit ihr. Kaum eine Regung von seinem Engel. Doch immerhin, sie sah ihn an, mit müdem Blick. Immer wieder fielen ihre Augen zu. Mit Veidja in den Armen eilte N'Arahn die Gänge seiner Festung entlang, eine Welle aus Dunkelheit vor sich her schiebend, die allen seinen Kreaturen bedeutete, ihm aus dem Weg zu bleiben. Sie verhieß schreckliche Strafen, sollte ihnen das nicht gelingen.
Ihre Kammer. Er stieß mit einem Fußtritt, aus Ungeduld durch einen Energieimpuls verstärkt, die Tür auf und ließ die Lichter aufflackern. Heller als nötig, doch er hatte das Bedürfnis, einen Gegenpunkt zu Veidjas schwächer werdenden Licht zu setzen. N'Arahn wusste, dass er Energie verschwendete. Energie, die ihm von Ihm zugeteilt worden war um Engel zu bekämpfen, nicht sie zu retten oder es ihnen angenehmer, auch nur erträglich, zu machen. Doch er konnte nicht anders.
Als die Tür sich hinter ihm schloss, brüllte er seine Hilflosigkeit, seine Wut hinaus, bis die in die Wände eingelassenen Lavarinnsale flackerten. Das war alles falsch. Der Höllenfürst warf den Engel unsanft auf das Bett. Er blickte auf sie hinab, wie sie geschwächt dort lag. Nicht durch ihn und seine Taten, wie er wohl annehmen musste.
Heiße Wut pulste durch seine Adern. Wenn sie so schwach war, dann sollte er sie einfach verrotten lassen. Sie brachte ihm und seinen Horden keinen Vorteil, wenn sie nicht kämpfen konnte. Und sie hatte gewagt ihn herauszufordern, zu versuchen zu fliehen. Es wäre nur richtig, sie dafür zu bestrafen. Und diese Strafe bedeutete Schlimmeres als ihren Tod. Er könnte endlich wieder sein gewohntes Leben leben. Engel töten und sie nicht durchfüttern. Es wäre...
„Tu es." Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern. „Folge deiner Natur."
Noch nie hatte er sich so im Widerstreit mit sich selbst befunden. Er wollte sie töten, zerfetzen, bis dieser freche Engel nichts mehr war als eine blutige Erinnerung. Sich ganz dem Rausch der Gewalt hingeben. Und er wollte sie mit seinem Körper bedecken, ihr geben, was sie brauchte, sie notfalls mit seinem Körper nähren.
Der innere Zwist setze ihn buchstäblich in Brand. Kleine Flammen schlugen aus seiner Haut, seine Haare flogen in einem nicht existenten Wind, gingen ebenfalls in Flammen auf. Wieder brüllte er und entfaltete unwillkürlich seine gewaltigen schwarzen Schwingen. Schattenhaft füllten sie mit seinem Aufbäumen den Raum. N'Arahn breitete die Arme aus und ließ eine Wand aus dunklem Feuer durch die Kammer rollen, zog die Hitze dabei fast vollständig in sich hinein. Ließ sich ausbrennen, reinigen.
***
Veidja keuchte auf. Der Höllenfürst hatte seine wahre, seine Kriegsgestalt bisher nie gezeigt. Er war schrecklich schön, wie er brannte. Sie konnte nicht sagen, wo seine Haut aufhörte und das Feuer anfing. Seine Schwingen waren stoffliche Schatten, die sie wie Seide berührten. Die schwarzen Flammen, die sich ausbreiteten, waren heiß, so heiß. Ihre Haut fing augenblicklich an zu glühen, das Atmen fiel ihr schwer. Ihre Ohren schmerzten von seinem Brüllen. Das war nun also ihr Tod? Zwar nicht im Kampf, wie es recht gewesen wäre, doch dieser hier hatte seine eigene Schönheit.
Sie wusste nicht, warum, doch sie suchte nach dem Gesicht des Höllenfürsten. Und er blickte sie an. Seine Smaragdaugen bildeten einen starken Kontrast zum Rot und Schwarz des Geschehens, bohrten sich durch das Lodern zu ihr hindurch.
Und mit einem Mal fielen die Flammen in sich zusammen, zog sich die Hitze zurück. Fast bedächtig legte der Dämon seine Schwingen auf seinem Rücken zusammen, bevor sie ganz verschwanden. Er ließ die Arme sinken und auch die letzten Feuerzungen an seinem Körper verloschen.
„Nein." Er beugte sich zu ihr hinunter. Sie konnte keine Verbrennungen an ihm sehen, während ihre Haut sich noch immer über die Hitzewelle beschwerte. Er schwitzte auch nicht, selbst sein Atem ging gleichmäßig. Nur der Geruch nach Feuer und Metall war intensiver als sonst. Und dazu... Wacholder. Seltsam, was man wahrnimmt, wenn man dem Tod so nahe steht.
„Du hast die Wahl. Entweder du kämpfst in deinem Zustand. Das macht zwar weniger Spaß, aber meine Diener sind auch dankbar für die kleinen Freuden. Oder du sagst mir, was du hast. Damit erhöhst du deine Chancen, deiner Natur entsprechen zu können. Nur ein toter Dämon ist ein guter Dämon, oder nicht?" Er zeigte ein Grinsen, das keines war, nur eine Maske aus Beherrschtheit. Was darunter noch brodelte konnte Veidja nun erahnen. „Aber gehen lasse ich dich nicht."
Es klang nicht wie eine Drohung. Es war eine Feststellung, eine Überzeugung. Er würde sie nicht töten, ihr diesen Ausweg nicht bieten. Ihre Alte Seele würde nicht zurückkehren, um eine weitere Bestimmung anzunehmen. Veidjas Augen brannten, doch sie wollte nicht, dass er ihre Verzweiflung zu deutlich sah. Sie unterdrückte den Schluchzer in ihrer Kehle. Warum konnte er, dessen einzige Antriebe Wut und das Zufügen von Schmerzen sein sollten, sich so beherrschen?
Sie blinzelte, nahm sich zusammen, so weit ihr das noch möglich war. Momentan war nur wichtig, dass er eine unumstößliche Wahrheit ausgesprochen hatte. Kein Spiel, keine Täuschung. Sie konnte es in seinen Augen lesen, als habe er es in einen Kristall gebannt. Dieser Weg zur Flucht war ihr verschlossen.
Es gefiel ihr kein bisschen, aber er hatte Recht. Sie konnte langsam dahinsiechen und sich in ihrem desolaten Zustand von den Höllenkreaturen noch übler zurichten lassen. Das würde ihnen kaum schwerfallen, denn bald würde sie ganz erstarren. Sie konnte es spüren, es ging nun immer schneller.
Oder sie kooperierte, mit der Hoffnung, dass sie doch irgendwann fliehen konnte, den Höllenfürsten überwältigen, gar töten. Das war zwar sehr unwahrscheinlich, aber dann blieb ihr zumindest eine geringe Chance.
Und außerdem... Sie war es einfach leid. Veidja fühlte sich krank und müde, wie sie sich noch nie gefühlt hatte. Der Höllenfürst irrte sich, sie würde keinerlei „Spaß" für seine Kreaturen mehr liefern. Sie konnte nicht mehr kämpfen. Und da das alles war, was sie kannte, was sie wollte, war sie im Moment eigentlich schon tot.
Der Höllenfürst schaute sie noch immer mit diesem durchdringenden Blick an. Sie konnte ihn nicht deuten. Verstand den Dämon nicht. Einerseits war er genau so, wie sie es von einem Höllenfürsten erwartete. Andererseits, hatte er sie vorhin wirklich getragen? Hatte er aufrichtig besorgt geklungen? Das konnte nicht sein, sie musste es ihrem Delirium zuschreiben. Und doch war sie hier. Er hatte sie nicht getötet oder einfach weggeworfen. Wohl nur um ihr Leiden zu verlängern, aber er hätte es sich auch leichter machen können.
Veidja fühlte ihre Gedanken zuerst zu Knoten, dann zu Strudeln werden. Sie brauchte es wirklich unbedingt. Ohne es zu merken, hatte sie die Augen geschlossen, vielleicht war sie sogar bewusstlos geworden?
Ein Gedanke beherrschte sie jetzt. Der Höllenfürst hatte ihr angeboten, ihr zu geben, was sie brauchte. Sie wollte nichts von ihm nehmen, aber es gab keine bessere Wahl. Vielleicht half er ihr wirklich. Zu welchem Preis würde sie nur erfahren, wenn sie sich endlich überwand.
Veidja öffnete die Augen, sah jedoch nur dunkle Schlieren. „Dämon?" Ihre Stimme kratzte sie im Hals. Und sie war so schwach, das klang nicht mehr nach ihr. Noch einmal, diesmal etwas lauter: „Dämon, bist du noch da?"
Stille. Unruhe überkam den Engel. Veidja war sich nicht sicher, wie lange sie wach und klar genug bleiben konnte, um mit ihm zu verhandeln, so weit sie dazu überhaupt in der Lage war. Aber da es sein musste... Wo war er? Sie tastete mit der Hand über das Bett, als könnte sie ihn auf diese Weise finden. Wäre er ihr so nah, sollte sie das eigentlich in Furcht versetzen, doch momentan war ihr Kerkermeister ihre einzige Hoffnung.
Da. Ein Geräusch. Dann seine tiefe, raue Stimme: „Die angemessene Ansprache wäre 'Mein Fürst'. Doch ich fürchte, dass ich mein Versprechen brechen würde, wenn ich dir die entsprechende Antwort auf diese Beleidigung gebe." Seine Worte klangen nach einem scherzhaften Tadel, doch sein Tonfall war Eis. Veidja war sich plötzlich nicht mehr sicher, dass sie den Preis würde zahlen können, den er mit Sicherheit forderte.
„Nun?" Veidja hätte nicht gedacht, dass ein einziges Wort so viel Kälte, Wut und Verachtung auf einmal in sich tragen konnte. Obwohl sie lag, wurde ihr schon wieder schwindelig. Ihre Hände krallten sich in den Stoff. Warum sind die Laken nicht verbrannt? Die Hitzewelle hatte ihre Haut fast zum Kochen gebracht, aber der Stoff war noch immer glatt und zart. Wie unberührt.
Veidja wusste, dass ihre Gedanken in eine irrelevante Richtung gingen. Irgendetwas war wichtig, sie musste es sagen. Nur was? Sie war so müde. Und es war dunkel und warm. Konnte sie nicht einfach schlafen? Sich zu erinnern, an dieses Wichtige zu denken, strengte sie an, tat regelrecht weh. Sie starrte mit offenen Augen ins schwarz-schlierige Nichts, in ihrem Kopf herrschte fast die gleiche Dunkelheit wie außerhalb. Vielleicht wäre es ihr mit etwas Licht leichter gefallen, sich zu erinnern.
Licht...
Eine schwere Hand auf ihrer Schulter, ein unfreundliches Rütteln, ein brennender Schmerz in ihrer Wange nach einem leichten Schlag, zogen sie in die unbequeme Realität zurück.
„Reiß dich zusammen, Engel. Spuck aus, was du sagen willst." Diese kalte Stimme war ein Anker. Ja, sie musste etwas sagen.
„Hilfe", bekam sie heraus. „Schnell."
Wieder schwieg er, doch seine Stimme war ganz nah gewesen. Sie war sich ihrer Sinne nicht mehr sicher, vermutete, dass er inzwischen neben ihr auf dem Bett saß; der Stoff hatte sich bewegt.
„Ein Engel der freiwillig einen Pakt mit einem Höllenfürsten eingeht. Undenkbar." Sie konnte die Schadenfreude hören, die der Dämon empfand. Die Konsequenzen waren ihr inzwischen gleichgültig. Veidja bestand nur noch aus Verlangen und Dringlichkeit. Er sollte einfach zustimmen.
„Was also soll ich für dich tun?"
„Sonne." Sie hatte sich wieder erinnert. Die Dunkelheit war dabei gewesen, sie zu verschlingen. Was sie brauchte war Licht, richtiges Sonnenlicht.
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