„Sonne." N'Arahn wiederholte das Wort tonlos. Das war alles? Das ganze Geheimnis? Der Engel ging ein, weil er die Sonne brauchte. Wie eine bedauernswerte Blume.
Ihm war nach Lachen zumute, aber es war einfach zu lächerlich. Engel waren schon früher gefangen worden, einige befanden sich noch immer in den Höhlen der Roten Tiefen. Als Anschauungsobjekte, denn sie waren noch am Leben, jedoch nicht mehr als Hüllen. Niemand hatte sich bisher die Mühe gemacht, herauszufinden warum sie irgendwann nicht mehr kämpften, sich nicht mehr bewegten.
Sonnenlicht. Er würde eine Weile brauchen, um zu ermessen, welche Vorteile ihm dieses Geheimnis einbringen konnte.
Er schaute auf Veidja herunter, die suchend die Augen aufgerissen hatte, jedoch anscheinend blind war. Ihr leerer Blick, die schwachen Bewegungen, es versetzte ihm einen Stich. Er war so wütend, noch immer. Ihre Hilflosigkeit stachelte seinen Hass an.
Vorhin war er schwach gewesen, das würde ihm nicht mehr passieren. Er würde den Engel in den Abgrund treiben. Würde Veidja dazu bringen, sich selbst zu stürzen. Das war besser, als sie nur kämpfen zu lassen. Bluten zu lassen. Wo wir gerade bei Blut sind... Jetzt gleich konnte er damit anfangen.
„In Ordnung. Ich bringe dich ins Sonnenlicht, dafür stehst du in meiner Schuld."
Es hatte Zeit, sich etwas auszudenken. Sie war sowieso in seiner Gewalt und er konnte diese Schuld für etwas Besonderes nutzen. Dem Engel würde die Ungewissheit dafür umso mehr zusetzen.
„Nach altem Brauch musst du den Pakt mit deinem Blut besiegeln. Deinem freiwillig gegebenen Blut."
Ah, zu Abscheu war sie noch fähig. Der grässliche, hässliche Dämon verlangt dein Blut, du armer, unschuldiger Engel. Er verzog nun auch das Gesicht. Welch ein Klischee. Er hatte nicht gedacht, dass es einmal zu so etwas kommen würde. Aber er war eben nun mal ein Höllenfürst und sie ein Engel. Er hatte sie behalten um seinen Vorteil daraus zu ziehen, und das würde er auch tun.
Als sie zögerte, legte er ihr ungehalten ihre eigene Hand an den Mund. „Du hast scharfe Zähne. Wenn du meine Hilfe willst, dann tu auch etwas dafür. Ich verschwende nicht länger meine Zeit mit dir, Schwächling." Er legte seinen ganzen Hass in seine Stimme. „Und so etwas will eine Kriegerin sein."
N'Arahn wandte sich ab und stand vom Bett auf. Er konnte nicht mehr tatenlos bleiben, musste sich bewegen. Er wollte sie auch nicht mehr ansehen. Wenn sie ihn weiter reizte, würde er sie vielleicht doch noch töten und dazu sollte es nicht kommen. Aber alles an ihr rieb ihn gerade auf, zerrte an seinen Nerven als würde jemand Eisnadeln in sein Gehirn stechen.
Mit einem Ruck blieb er stehen, sein ganzer Körper versteifte sich. Der Geruch nach frischem Engelsblut füllte seine Gedanken. Er hatte diesen speziellen Geruch, nicht einfach Engelsblut, sondern ihr Blut, jetzt schon oft in der Nase gehabt. In der Arena, nach den Kämpfen, wenn sie schweigend miteinander speisten, auch eben bei der Jagd. Es war immer berauschend, brachte sein eigenes Blut zum Singen.
Doch dieses Mal war der Duft unwiderstehlich. Er hatte vergessen, wie gut für einen Pakt freiwillig gegebenes Blut roch. Genuss verheißend, Lust, unglaubliche Erfüllung.
Mit einem Satz war er über ihr, riss die ihm angebotene Hand an sich. Der Engel gab einen erstickten Laut von sich und versuchte, N'Arahn die Hand wieder zu entziehen. Doch er hielt sie fest, bog ihre Finger nach hinten, um die frischen blutigen Punktierungen an ihrer Handaußenseite betrachten zu können. Dann, unendlich langsam, leckte er über ihre Handfläche. Spürte jeder Rille nach, versenkte sich in den Rausch, der sich in ihm ausbreitete. Die Hand des Engels zitterte in seinem Griff. Er wusste, Veidja würde seine Empfindungen teilen. Das Prickeln am ganzen Körper. Das Aufwallen von Begierde. Die reine Lust an der eigenen Existenz.
Das war es, warum Menschen danach süchtig werden konnten. Der Pakt mit einem Höllenfürsten war immer erschreckend. Doch ebenso überwältigend und auf eine Art intensiv, die sich mit nichts vergleichen ließ, was er sonst kannte.
N'Arahn entwich ein leises Stöhnen, als er einen letzten Blutstropfen fand. Blut, das nicht nach Blut schmeckte, sondern nach Möglichkeiten, nach reiner Verheißung. Noch einmal ließ er seine Zungenspitze über diesen Fleck kreisen. Ein Schaudern zog sich über seine Haut und setzte sich auf dem Körper des Engels fort. Er konnte es spüren, wo sie sich berührten und tief in seiner Seele, denn noch waren sie durch die Schließung des Paktes verbunden.
Doch mehr durfte er nicht nehmen, sonst wäre die Abmachung nichtig. Es gab nicht viele unumstößliche Regeln, aber das war eine davon. Sie würde nur dann Schuld auf sich laden, wenn er sich auf das freiwillig Gegebene beschränkte.
Zufrieden stieß er die Luft aus, die er zuletzt unwillkürlich angehalten hatte, und ließ ihre Hand zurück auf das Bett fallen. Ihn erfüllte tiefe Befriedigung, eine Leichtigkeit, die noch eine Weile anhalten würde. Veidja dagegen würde jetzt das ganze Gewicht der Schuld zu spüren bekommen, die sie auf sich geladen hatte. Es würde für sie um einiges schlimmer sein, als für einen Menschen.
Hm, er würde sich wohl mit der Erfüllung seiner Seite des Paktes beeilen müssen. Wer wusste schon, wie lange sie sonst noch durchhielt.
Die eiserne Klammer aus Wut und Hass, die sich vorhin um sein Herz gelegt hatte, erschien ihm wieder gelockert. Fast fröhlich hob er den still weinenden Engel vom Bett um sie wie vereinbart ins Sonnenlicht zu bringen.
***
N'Arahn trug sie, das konnte sie spüren. Und sie schmeckte noch immer seinen bitteren Triumph. Ihr Blut, freiwillig an einen Höllenfürsten gegeben. Zu ihrer Schwäche und Blindheit hatte sich ein eisiges Band um ihre Seele gelegt. Die Schande des Paktes, so verzehrend wie eine schwere Krankheit. Und doch, es wurde ihr schnell gleichgültig.
Immer wieder versank sie in Bewusstlosigkeit, Dunkelheit fraß die Ränder ihres Bewusstseins. Nicht mehr lange, und sie würde völlig schwinden.
Woher kamen die Geräusche? Ein gleichmäßiges Tapp-tapp, wie Pfoten auf Stein. Wo war sie? Ihre Gedanken fanden keinen Fokus mehr. Sie hatte keinen Willen, Schlafe ich?, kein Zeitgefühl, Träume ich?, kaum noch Verbindung zum Außen.
Loslassen.
Irgendetwas ruckte an ihrem Körper, es drang kaum zu ihr durch. Sie sah nicht, sie hörte nicht mehr. Die Dunkelheit umfing sie wie ein weiches, schweres Kissen, in das sie endlos einsank.
Plötzlich, scharf, fast schmerzhaft, eine Empfindung. Ein klarer Gedanke, nur einer. Ich will leben! Ein Atemzug, tief, als sei sie am Ertrinken gewesen.
Zurück, sie war zurück. Mit einem Mal, überwältigend, lebten alle Sinneseindrücke wieder auf. Ihr Überlebenswille übernahm, ließ sie atmen und das Gesicht zur Sonne drehen, sich ihr entgegen strecken.
Noch war sie fast blind, doch sie spürte das Licht, das lebenspendend in ihre offenen Augen floss, sah Grün an den Rändern ihrer Wahrnehmung.
Sie wurde sanft und sicher gehalten, anscheinend jemand aus der Kriegerkaste, der Mühelosigkeit nach zu urteilen. Sie fühlte sich zerschlagen wie nach einer beinahe verlorenen Schlacht. Dazu der leichte Geruch von Metall und Rauch, alles fügte sich.
Sie war sicher. Sie würde leben.
Jetzt musste sie schlafen.
Veidja ließ sich zurücksinken, nahm dankbar den Halt an, den man ihr bot. Dann ließ sie los, überließ sich dem sanften Schwarz des Schlafes.
***
Der starke Ast des Baumes hielt das Gewicht des Höllenfürsten und seines Engels mühelos.
N'Arahn hatte sich kurz Gedanken darüber gemacht, doch notfalls hätte er Veidja auch zum Licht geflogen.
So sehr ihn sein Sieg über den Engel gefreut hatte, er konnte auf dem Weg zum Garten dabei zusehen, wie ihr Licht gänzlich wich. Er hatte die schnellste Strecke genommen und doch war es beinahe zu spät gewesen.
Er hatte seinem Garten, seinem einzigen Luxus an Schönheit und Verschwendung, keine Beachtung geschenkt, war regelrecht zum Baum in der Mitte gerannt. Mit einem Satz, unterstützt von einem Flügelschlag, hatte er die Hälfte der Höhe senkrecht überwunden. Bis zur Krone war er geklettert, etwas unbeholfen, da er den Engel tragen musste, der inzwischen kaum mehr als ein lebloser Sack Fleisch war.
Nur ganz hier oben gestattete er dem Sonnenlicht diesen einen Flecken seiner Festung hin und wieder zu beleuchten. Nur hier war der Baum grün, war sein kleines Zwinkern gen Weißem Berg.
Er hatte nicht geahnt, dass das Sonnenlicht einmal so wichtig werden könnte.
Kaum hatte er die Baumkrone erreicht und sich mit dem Rücken gegen den dicksten Ast gedrückt, hatte er Veidja in seinen Armen in das Licht gehalten.
Die Wirkung war unglaublich. Die graue Haut des Engels bekam mit einem Mal wieder Farbe. Die Kriegerin bäumte sich in seinem Griff auf und hob den Kopf, eine Regung zu der er sie nicht mehr für fähig gehalten hatte.
Der Engel tat ein paar tiefe Atemzüge. Dann sank Veidja in seine Arme zurück, legte ihre Wange an seine Brust und... schlief ein.
N'Arahn konnte sich nicht bewegen. Sein Verstand weigerte sich für einen Moment zu arbeiten. Jeglicher Hass, alle Wut, die Freude über seinen Sieg über einen Feind waren wie ausgewaschen. Er fühlte nur diese Frau in seinen Armen, die sich an ihn schmiegte, in vollem Vertrauen. Kein Schutzschild, weder mental noch physisch. Er konnte ihre Wärme spüren, ihre ruhigen Atemzüge, konnte zusehen, wie der Schlaf sie tiefer zog, sie sich völlig der Entspannung hingab.
Und er tat... nichts. Hielt sie einfach weiter, trank aus diesem Vertrauen wie ein Verdurstender. Nur dass er nicht gewusst hatte, dass er durstig war.
In seiner Seele brach etwas auf, das er noch nicht benennen konnte.
Das es nicht geben durfte. Das ihm als Dämon verwehrt sein musste.
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