Veidja glitt durch die Kämpfe wie in einem Traum. Es war ein guter Traum, fast eine Erinnerung. Die Geräusche und Gerüche versetzten sie zur Ewigen Schlacht. Sie war ausgeruht und stark, hatte Rüstung und Bewaffnung. Die grotesken Kreaturen, die in den Kampf geschickt wurden, fielen unter ihrem Schwert und tränkten ihre Kleidung in leuchtendes Rot.
Es war gut. Es war richtig.
Veidja erlaubte sich Freude. Erlaubte sich zu vergessen, dass sie nicht annähernd so frei war, wie sie sich gerade fühlte. Dass sie nicht für den Weißen Berg kämpfte, sondern für einen Höllenfürsten, der aus dem Spektakel seinen Nutzen zog.
Für den Moment war es ihr gleichgültig. Zwischen den Runden trank sie das bereitgestellte Mana und wechselte ihre Ausrüstung, insofern es nötig war, während Musikanten die Arenagäste unterhielten. Sie dachte nicht nach, nahm es als Teil des Krieges, der ihrem Dasein seine Berechtigung gab.
Es war gleichgültig, ob sie Kriecher tötete oder Hauptmänner verstümmelte. Hauptsache, sie konnte kämpfen. Es war gleichgültig, dass sie von einem Bolzen durchbohrt wurde. Es war gleichgültig, dass ihr Bein unter einem schweren Tritt fast brach. Es war gleichgültig, dass eine Kralle ihr die Seite aufriss und ihr Blut in ihre Stiefel lief. Sie gab alles zurück und noch mehr.
Dann war es vorbei.
Sie kniete über ihrem letzten Gegner im Sand. Ihr Schwert steckte noch in seiner Kehle, als sie N'Arahns Stimme durch die Arena schallen hörte. Die Worte verstand sie nicht, ihr Kopf war von beständigem Dröhnen erfüllt.
Veidja stützte sich auf ihr Schwert, das durch ihr Gewicht mit einer seltsamen Mischung aus Knacken und Quietschen gänzlich den Hals des toten Dämons durchstieß, und richtete sich auf.
Das Fallgitter zu der Kammer, die ihr zwischen den Kämpfen zur Verfügung gestanden hatte, hatte sich geöffnet. Sie war entlassen. Dem Geräuschpegel, der von den Rängen zu ihr hinunter schallte nach zu urteilen, galt dies auch für die Gäste des Höllenfürsten.
Plötzlich fühlte Veidja sich müde und leer. Mit einer nachlässigen Bewegung zog sie ihren Helm vom Kopf und schüttelte ihre verklebten Haare aus. Dann klemmte sie sich den Helm unter den Arm und zog ihr Schwert mit einem Ruck aus der Leiche. Den Schild ließ sie im Sand liegen, wohin sie ihn geschleudert hatte, nachdem die Axt ihres letzten Gegners ihn zerbrach.
Mit schweren Schritten ging sie zum Durchlass. Jede Energie, jedes Hochgefühl, das sie während der Kämpfe verspürte, hatte sie verlassen. Sie wollte schlafen, Ruhe, vielleicht sich waschen.
Mit leichter Unruhe wurde ihr klar, dass sie sich nach der inzwischen vertraut gewordenen Routine sehnte. Sie war schon viel zu lange hier...
Doch heute würde nicht einmal diese Routine möglich sein. Der Herr der Festung hatte sie als Erbauung für seine Gäste vorgesehen. Auch auf den Feierlichkeiten nach den Kämpfen. Es war widerlich, doch sie hatte keine Wahl. N'Arahn hatte ihr deutlich gemacht, dass er sie notfalls gefesselt oder als willenlose Marionette vorführen würde. Sie hatte sich noch nicht entschieden, wie weit sie es kommen lassen würde, doch dass sie zu den Feierlichkeiten auftauchen würde, stand wohl außer Frage.
Der letzte Kampf hatte sie ziemlich mitgenommen. Aus mehreren Wunden sickerte ihr Blut in Kleidung und Polsterung der Rüstung. Sie würde nochmals eine größere Portion Mana benötigen, um die Wunden zu schließen und aufrecht in den Festsaal gehen zu können. Immerhin hatte sie inzwischen reichlich Übung darin, sich selbst zu versorgen und Verletzungen schneller zu heilen. Da ihr die Kräfte der Erhebenden nicht zur Verfügung standen, musste sie aus sich und dem Mana alles herausholen, was sie konnte. Die Sonne hatte wirklich geholfen. Musste geholfen haben, auch wenn sie sich nicht erinnerte, was genau passiert war. Veidja schüttelte den Gedanken ab. Keine Zeit für Sehnsucht und Träumerei.
Ein kurzer Gang, eine kleine Kammer. Hier ließ der Schlachtenengel seine Rüstung und das Schwert liegen. Mit Bedauern, doch alles andere war sinnlos. Als sie das letzte Mal versucht hatte, diese Dinge zu behalten, hatte N'Arahn oder sein Arenameister ihr zuerst weitere Gegner geschickt, die sie ermüden sollten. Dann ließ man sie fast bis zur Besinnungslosigkeit bluten, um ihr problemlos alles abzunehmen. Es war frustrierend und demütigend gewesen. Selbst die zusätzlichen toten Dämonen hatten keinen Sieg bedeutet.
Kaum war sie einige Schritte von ihrer Ausrüstung weggetreten, öffnete sich der Durchgang in die eigentliche Kammer. Hier fand Veidja wie erwartet ein dampfendes Bad, frische Kleidung und einen Becher mit Mana. Sie trank davon ohne zu Zögern. Schon beim ersten Schluck bemerkte sie die herausragende Qualität der flüssigen Energie. N'Arahn schien wirklich Wert darauf zu legen, dass sie sich schnell erholte.
Während sie die dreckigen und zerfetzten Kleidungsstücke ablegte, fiel ihr Blick auf ein Tuch auf dem Tisch, das einen kleineren Gegenstand abdeckte. Neugierig hob sie das Tuch an und starrte fassungslos auf den Apfel, der darunter zum Vorschein kam.
Er war makellos. Seine grüne Farbe hätte schier gestrahlt, wenn das allgegenwärtige rötliche Licht sie nicht etwas abgefälscht hätte. Trotzdem war der Apfel wunderschön. Und eine Unmöglichkeit.
Dämonen können keine Nahrung erschaffen. Hat er ihn aus der Welt der Menschen?
Weiterhin ungläubig nahm der Engel den Apfel in die Hand, strich über seine glatte Haut, sog den unverkennbar säuerlich-süßen Geruch ein, der ihr sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Seit ihrer Gefangenschaft hatte sie nichts mehr gegessen, nur Mana in flüssiger Form zu sich genommen. Das hier war ein Geschenk, eine Belohnung. Vielleicht auch eine Bestechung, doch es war ihr egal. Sie versenkte ihre Zähne in das Fruchtfleisch, ließ sich den austretenden Saft genussvoll in den Mund laufen. Jeder Bissen war eine kleine Explosion.
Der Höllenfürst steckte voller Überraschungen. Und diese hier war ausnahmsweise eine gute.
Während sie den Apfel bis auf den letzten Rest verschlang, erinnerte sie sich an die letzten überraschenden Momente zurück. Nach ewig gleichen und doch immer gefährlicher werdenden Kämpfen in der Arena hatte man ihr erst die Rüstung wiedergegeben. Dann, einige Zeit später, war N'Arahn plötzlich mit einem länglichen Bündel, der Form nach einem in Tuch eingeschlagenem Schwert, in der Arena aufgetaucht. Da Misstrauen ihr ständiger Begleiter war, war sie wachsam geblieben. Wer konnte schon sagen, was er vorhatte?
Der Höllenfürst hatte das Bündel in den Sand zu ihren Füßen geworfen und geknurrt: „Zeig, was du kannst."
Sie hatte sich nicht bewegt. „Und was ist mit meinem Schild?"
„Nicht so ungeduldig, kleiner Engel. Eins nach dem anderen."
Veidja ging in die Hocke, ohne den Höllenfürsten aus den Augen zu lassen, und griff durch eine Falte im Tuch nach dem Schwert. Vertraut schmiegte sich der Griff in ihre Hand. Er hatte ihr nicht irgendein Schwert gegeben, sondern ihr eigenes. Anscheinend hatten seine Diener ihm das ganze „Paket" aus der Schlacht mitgebracht. Prüfend drehte sie es hin und her. Es sah so weit in Ordnung aus, war sogar gesäubert worden.
Es war der falsche Zeitpunkt, um nostalgisch zu werden, doch Veidja empfand es als eine Art kleine Heimkehr. Mit ihrem Schwert in der Hand war sie wieder näher daran, sich wie ein vollwertiger Schlachtenengel zu fühlen.
Noch immer stand N'Arahn nur ein paar Schritte von ihr entfernt, abwartend, beobachtend. Während sie nun Rüstung und Waffe zur Verfügung hatte, hatte er auf beides verzichtet, trug weiterhin nur diesen ledernen Kriegsrock, der wenig Schutz bot. Und doch war er, mit jedem Recht, wie Veidja wohl wusste, völlig gelassen.
Das alles war so sinnlos. Sie konnte nicht aufgeben zu kämpfen. Aber sie konnte auch nicht gewinnen. Sie konnte vielleicht seine Legionen nach und nach dezimieren, insofern er sie weiterhin in die Arena schickte und daran nicht irgendwann die Lust verlor. Doch ihn selbst... Sie hatte es jetzt schon so oft versucht. Sich bietende Gelegenheiten genutzt, schmutzige Tricks angewandt, alles getan, was ihr eingefallen war. Und sie war kreativer geworden, als sie sich bisher hatte vorstellen können. Und ja, sie hatte ihn verletzt, auch schwer. Doch am Ende eines jeden Kampfes kniete sie besiegt im Sand, oder er bannte sie mühelos mit seinen Schatten.
Dennoch... Wenn sie ihr Schwert schon wiederhatte, wollte sie es auch benutzen.
Veidja bezog eine Angriffsposition, beugte leicht die Knie, während sie den linken Fuß nach vorne schob, und legte ihr Schwert schwebend auf ihrer rechten Schulter ab. Ihr Schild fehlte ihr als Gegengewicht und für die gewohnten Bewegungsabläufe, doch das stellte kein echtes Problem dar. Vorsichtig bewegte sie sich in Schlagreichweite, versuchte dabei, an die Seite des Dämons zu kommen, während N'Arahn sich noch immer nicht rührte. Er schien es gerne spannender zu machen, indem er ihr vorteilhafte Positionen überließ. Sobald sie aus seinem Sichtfeld getreten war, schlug Veidja zu. Sie hatte auf seinen Hals gezielt, doch N'Arahn duckte sich unter ihrem Schlag durch, drehte sich zu ihr und beobachtete sie nur wieder. Sie setzte nach, griff immer wieder und mit schnell aufeinander folgenden Schlägen an. Der Höllenfürst bewegte sich trotz seiner Größe behände, und schien zu spüren was sie vorhatte, so dass er ihr immer wieder auswich.
Es war wie ein seltsamer Tanz, bei dem er nur auf die Bewegungen des Engels reagierte und sie wiederholt ins Leere laufen ließ. Es hatte seine eigene Anmut, doch ein echter Kampf war es nicht.
Bei ihrem nächsten Angriff sprang Veidja absichtlich an N'Arahn vorbei, rollte sich im Sand ab und griff dabei eine Handvoll der rieselnden Körner, die sie sofort nach ihrem Gegner schleuderte, als sie wieder auf den Beinen war. Auch wenn es nur für einen Wimpernschlag war, lenkte es ihn doch ab und der nächste Schlag traf. Ihr Schwert zog eine Spur über N'Arahns Oberarm, doch zu ihrer Enttäuschung war es kaum mehr als ein Kratzer. Nicht scharf. Vielleicht war es eine Art Kompliment, dass sie die Klinge nicht nachgeschärft hatten, doch es ärgerte sie einfach nur.
Immerhin wurde N'Arahn nun aktiver. Ihre nächsten Angriffe blockte er ab, indem er nahe an sie herankam und ihren Arm wegschlug, oder einfach die Klinge, wenn er es für sicher genug hielt. Nach und nach wurde ihr Arm taub, doch solange sie ihr Schwert noch festhalten konnte, würde sie nicht aufgeben.
Nachdem sie ihn noch einmal erwischt hatte, indem sie mitten in einer Angriffsserie die Hand wechselte, begann er sie zu entwaffnen. Immer und immer wieder entwendete er ihr die Klinge. Mit reiner Brutalität, indem er ihr das Schwert an der Parierstange aus den Fingern riss. Mit Druck auf Knotenpunkte, wenn er seinen Ellenbogen in ihren in einem Hebelgriff überstreckten Arm rammte. Unter Ausnutzung ihres Schwungs, wenn er einen Schlag knapp unterhalb ihrer Handgelenke abblockte, um ihr das Schwert dann einfach aus den betäubten Fingern zu nehmen.
Obwohl sie dem Höllenfürsten mehrere kleine Wunden zufügte, schien er fast unbeteiligt. Nur sein Blick, fokussiert, wach, stechend grün, zeigte ihr, dass er sich vollständig auf ihren Kampf konzentrierte.
Und dann, von einem Moment auf den anderen, beendete N'Arahn den Übungskampf. Er schritt in Veidjas Schlag hinein, blockierte ihren Unterarm mit seinem, so dass sie den Schlag nicht zu Ende führen konnte. Zu einem neuen Angriff kam sie nicht mehr, denn seine rechte Hand schloss sich um ihren Hals, seine linke um ihren Oberarm, während er ihr mit einem fegenden Tritt die Beine wegzog. Es gab einen dumpfen Laut, als Veidja rücklings im Sand landete. Der Höllenfürst hatte sich über ihr aufgerichtet und seinen Fuß auf ihre Schwerthand gestellt.
„Es reicht für heute."
Ohne ein weiteres Wort hatte er ihr Schwert genommen und war gegangen. Sie war zu verblüfft und zu erschöpft gewesen, um noch irgendetwas zu versuchen. Ihr erster Kampf mit Waffe gegen den Höllenfürsten, und ihr eigenes Blut war nicht geflossen. Gleich mehrere Überraschungen an einem Tag.
Veidja schüttelte die Erinnerung ab und ließ sich ins warme Wasser gleiten. Der kontinuierliche Strom an Mana, den sie heute zur Verfügung gehabt hatte, verhinderte bleibende Schäden. Trotzdem würde sie noch einige Zeit mit den Zeugnissen dieses „Festes", das N'Arahn für die anderen Höllenfürsten veranstaltete, leben müssen. Aber zumindest den Schmutz und das Blut konnte sie abwaschen, sich einige Momente der warmen Umarmung des Wassers hingeben.
Innere Ruhe blieb ihr dieses Mal jedoch verwehrt. Die Angst, die sie begleitete, seit sie von dem geplanten Spektakel erfahren hatte, kehrte zurück. Denn bisher hatte sie mit den Kämpfen den leichten Teil hinter sich gebracht. Sie konnte nicht einschätzen, was sie bei dem folgenden Gelage erwarten würde.
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