N'Arahn legte für einen Moment seine Hand flach auf die Metalltür und sammelte sich. Seinen Engel selbst für das Gelage abzuholen, war vorrangig ein Vorwand gewesen. Natürlich würde es sich gut machen, wenn er sie an seiner Seite zu den anderen Höllenfürsten führte. Sie würden ein interessantes Bild abgeben.
Wichtiger war jedoch, dass er für ein paar kostbare Momente von diesem selbstgefälligen Pack weg kam. Er hatte sich die letzten langen Umläufe zu gut zurückgezogen und verdrängt, wie anstrengend, nein, gefährlich diese Treffen waren.
Die Kriegstreiber, zu deren Kaste er selbst gehörte, waren schlimm genug. Ständig brodelte ihre Wut; jetzt besonders, denn die letzte Schlacht war für sie schon viel zu lange her. Insbesondere für die Höllenfürsten, die bei der letzten Schließung nicht hatten mitkämpfen dürfen. Wie er selbst, doch er hatte, nun, Ablenkung gehabt. Die Kämpfe in der Arena, bei denen sie nur zusehen konnten, wie ihre Diener verloren, hatten sie zusätzlich angestachelt. Natürlich hatten sie sich im Griff, doch N'Arahn konnte regelrecht in der Luft schmecken, wie sich ihre Kampfeslust zu etwas Öligem, Erstickendem verdichtete.
Nicht ganz unschuldig daran waren die Vertreter der anderen Kasten, die Verführer und Ränkeschmiede. Sie ließen keine Gelegenheit aus, Schwachstellen auszuloten und psychologische Kriegsführung zu betreiben. Selbst wenn man versuchte sie zu ignorieren, konnte ihr beständiges Umgarnen und Sticheln aufreiben.
Noch waren alle mit den Erinnerungen an den kämpfenden Schlachtenengel beschäftigt, doch N'Arahn hatte schon einen ersten Eindruck davon bekommen, wie sich das Fest entwickeln konnte. Er hasste es bereits jetzt, dass er die anderen Höllenfürsten, ihre Streitereien und Begehrlichkeiten, wieder über das nötigste Maß hinaus in sein Leben gelassen hatte. Was auch immer er sich davon versprochen hatte, er wusste es gerade nicht mehr. Nun, jetzt musst du da durch. Zeit, deinen Engel in die wahre Hölle zu führen. Kurz hob ein winziges Grinsen seine Mundwinkel, doch so recht wollte der Gedanke ihn nicht amüsieren.
Noch einmal atmete er tief durch, dann öffnete er die Metalltür, hinter der sich Veidjas Arenakammer befand.
Wenn er durch die Gedanken an die Höllenfürsten nicht so abgelenkt gewesen wäre, wäre er vielleicht eher auf den Anblick vorbereitet gewesen, der ihn erwartete.
N'Arahn stand einige Momente im Türrahmen, ohne sich zu rühren. Sah Veidja nur an, sog alles auf, was er erfassen konnte.
Sein Engel stand mit dem Rücken zu ihm in einem warmen Luftstrom, um sich nach dem Baden Haut und Haare zu trocknen. Die weiten weißen Hosen drückten sich immer wieder um ihre Beine, gaben sie im nächsten Augenblick aber wieder frei, umspielten sie im Rhythmus des Luftzugs. Ihre weißblonden Strähnen flatterten leicht, legten sich sanft auf ihre Schultern und Arme, um dann wieder wie Federn hoch gewirbelt zu werden. Narben, die sich hell auf ihrem Rücken abzeichneten, und bunt schillernde Flecken, Überreste der kürzlichen Kämpfe, bewegten sich mit ihrem Muskelspiel, während sie sich einen langen Streifen weißen Stoffs um die Brust band.
Ein völlig alltäglicher Vorgang. Kein Hauch von Verführung. Trotzdem, vielleicht auch nur deswegen, war der Dämon wie gebannt.
Veidja legt ihre Wange an seine Brust, ihr regelmäßiger und tiefer werdender Atem streicht durch sein kurzes Fell. Er hält sie fest, hält dieses geborgte Vertrauen fest. Kann kaum atmen, will diesen zerbrechlichen Moment nicht zerstören.
Ein Knurren löste sich unwillkürlich in N'Arahns Kehle. Ein Laut zwischen Schmerz, Verlust und wütender Verzweiflung.
Veidja, die sich eine ebenfalls weiße, langärmelige Tunika übergezogen hatte, drehte sich halb zu ihm um, während sie ein passendes Band um ihre Taille schnürte.
"Wenn dir die Kleidung nicht gefällt, musst du das deinen missgestalteten Kreaturen sagen. Ich hatte keine Auswahl."
Ihr kühler Tonfall ernüchterte den Höllenfürsten. Er wandte sich ab, schaute in absichtlicher Missachtung ihrer Gefährlichkeit in den Gang. War dankbar, dass er einen kurzen Moment hatte, sich zu sammeln. Schon wieder...
Was war das nur mit diesem Engel, das ihn so verwirrte? In der Arena konnte er sie als Gegner sehen. Als jemanden, den man studierte, um ihn zu durchschauen und leichter besiegen zu können. Der Geruch ihres Blutes, der ihn am Anfang so berauscht hatte, lenkte ihn nicht mehr ab, solange er sich mit dem staubigen Geschmack des Sandes und dem herben Aroma von Leder und Metall mischte.
Doch außerhalb der Arena... Es waren die Kleinigkeiten, die ihn am meisten aus dem Tritt brachten. Ein Blick, der forschend war, statt abschätzend. Oder so etwas wie eben. Jeder höhere Dämon hätte versucht, die Situation zu nutzen, seine Stärke, sein Aussehen oder was auch sonst er oder sie für ihre beste Waffe hielt zu präsentieren. Aber Veidja versteckte sich weder, noch versuchte sie ihn zu reizen. Ein alltäglicher Moment blieb wohltuend banal, ohne dass es eine Botschaft gab, einen Hintergedanken, eine Falle. Und dieses Gefühl war neu, irritierte ihn, da er nicht wusste, ob er ihm trauen konnte.
Vertrauen. Ein Wort, das in den Roten Tiefen eine leere, tote Hülle mit aufgemaltem Grinsen war.
Veidja trat neben ihn, ohne ihn anzusehen. Er musterte sie kurz von der Seite; das Mana schien seinen Dienst getan zu haben. Ihre Energie flackerte nicht über das normale Maß hinaus und sie hielt sich gerade.
N'Arahn gestattete sich nicht, Erleichterung zu empfinden, denn es lag noch Schwieriges vor ihnen. Mit einem Gedanken verschloss er die Tür hinter sich und bahnte ihnen zügig, aber ohne Eile einen direkten Weg zu seiner Halle. Veidja hielt Schritt, versuchte überraschenderweise nicht einmal, das Vorankommen zu verzögern oder sich auf andere Art zu sträuben.
Als sie nur noch eine Handbreit Stein von der Feier trennte, hielt N'Arahn an.
„Nimm meinen Arm."
Sein Schlachtenengel schaute aus diesen bernsteinfarbenen Augen mit wölfischem Blick zu ihm auf. Sie hätte auch die Arme verschränken und einen Schritt zurück machen können, so deutlich war ihr Nein.
Der Höllenfürst schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Ich hatte dich gewarnt. Dann brach er brutal mit einem Befehl durch ihre mentale Abwehr, band ihren Willen und zwang sie, sich bei ihm unterzuhaken. Er hatte keine Zeit zu diskutieren und dieses Mal würde sie gehorchen, ob sie wollte oder nicht.
Er spürte ihre Wut gegen seine Schatten branden, doch sie konnte nichts tun. Das Hochgefühl, das er haben sollte, wenn er einen Engel auf diese Art unterwarf, blieb aus. Es war reine Notwendigkeit. Vielleicht sollte ihn das beunruhigen, aber für den Moment gab es Wichtigeres, um das er sich kümmern musste.
Die Wand vor ihnen öffnete sich und sie betraten gemeinsam die Halle, in der die Feierlichkeiten schon vorangeschritten waren. Darr und Gorf flankierten ihren Eintritt und begleiteten sie bis zu dem wuchtigen Eisenholzstuhl, den N'Arahn auch während des Festes beziehen würde.
Der Höllenfürst blickte durch den Raum und war zufrieden. Auf die eingeladenen Dämonen verfehlte der Auftritt nicht seine Wirkung. Alle schenkten ihnen zumindest einen flüchtigen Blick, unterbrachen für einen Augenblick ihre Gespräche oder sonstigen Aktivitäten. Er zeigte ihnen ein grimmiges Lächeln und schritt mit Veidja an seiner Seite durch das Treiben.
Sein Engel weckte Neid und Begehrlichkeiten und N'Arahn war froh, dass er sie so eng bei sich hatte. Dass er sie durch seinen geistigen Griff auch gegen die anderen Höllenfürsten abschirmen konnte. Unwillkürlich verstärkte er den Druck auf sie etwas, denn ein Fehler zu diesem Zeitpunkt könnte ihn (uns beide) viel kosten. Ich gebe dich nicht her.
Doch seine Energie fand keinen Widerstand. Veidja sträubte sich kaum noch, schien sich eher näher an ihn heran zu schieben. Ein warmes Prickeln breitete sich von N'Arahns Nacken aus, rieselte seinen Rücken entlang und ließ ihn sich noch ein Stück aufrichten.
N'Arahn.
Hatte sie seinen Namen gesagt? Er traute sich nicht, sie direkt anzusehen. Irgendetwas hatte sich geändert, aber er konnte es nicht recht fassen. Vorsichtig verringerte er die Schatten, die den Engel banden, hielt aber den Schutz aufrecht. Sie ging weiter an seiner Seite, ließ sich von ihm führen, auch ohne Zwang. Dabei strahlte sie pure Ignoranz aus, die N'Arahn bewundern musste.
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