Wieder im Lager warf er das Schwert auf den Haufen mit all den anderen und ging zu seiner Baracke. Nicht mehr viele der Betten hier waren belegt. Die meisten Bögen wurden zu Beginn des Krieges nach Andras beordert und von denen, die geblieben waren, war mittlerweile gut die Hälfte tot. Die übrigen wenig mehr als müde, fahle Schatten.
Während er durch den leeren Raum ging, wurde der Soldat wieder von dem Schatten überrascht. “Was soll die Scheiße?” Keine Reaktion. “Komm raus!” Nichts. Das war das zweite Mal. Bildete er sich das alles nur ein? Unmöglich. “Caolán?” Auch hier keine Antwort. Den Dolch in seiner Hand schlich er von Bett zu Bett. Beim letzten fand er ihn endlich. Seinen Schatten. Dort kauerte die androgyne Figur eines Elfen.
“Was haben wir denn da?” Damit hatte er nicht gerechnet. Wie war einer von denen hier reingekommen? “Was machst du so weit außerhalb der Wälder?” Er wusste, was die Pflicht von ihm verlangte. Es war der Wille des Kaisers. Doch der Thron war weit im Norden.
Der Elf drehte sich zu ihm um, unternahm aber keinen Versuch, ihn anzuspringen und ihm das Fleisch von den Knochen zu schneiden. Die zerzausten, metallenen Strähnen hingen denen ins Gesicht und mit dem unbedeckten Auge starrte dey den Soldaten an. Nicht mit Furcht, Wut oder gar Neugier, sondern nur eiskaltem Trotz.
“Du willst also nicht reden…” Er packte den Elf am Arm und zog dey daran hoch. Der Elf wand sich mit einem tiefen Knurren aus seinem Griff und sackte wieder in sich zusammen. Deren Blick weiterhin starr auf deren Gegenüber gerichtet. Deren rechtes Knie und linke Unterschenkel waren in Bandagen gewickelt.
Wieder zog der Soldat den Eindringling hoch, aber diesmal stieß er dey auf das Bett. “Das arme Elfchen kann also nicht mehr stehen. Wie bei den Höllen hast du es hierher geschafft?” Er drückte dem Elf die Klinge an den Hals. “Und langsam solltest du anfangen zu reden, sonst fällt mir kein Grund mehr ein, dich noch weiter am Leben zu lassen.”
Wieder ein tiefes Knurren. Der trotzige Ausdruck in deren Augen noch immer unverändert.
“Müssen weg…” Es war nicht viel. Ein Wunder, dass dey überhaupt diese zwei Worte in Kádin kannte. Dennoch, der Soldat wollte Antworten.
“Was macht euch Elfen solche Angst, dass ihr zu Tausenden in den Tod rennt? Langsam müsst ihr doch endlich verstanden haben, dass ihr hier nicht weiter kommt.” Er machte sich wenig Hoffnung, dass er tatsächlich eine hilfreiche Antwort bekam, doch die Frage brannte in ihm. Was war schlimmer als dort draußen im Schlamm den letzten Atemzug zu tun?
“Wisst nicht, was kommt”, zischte der Elf.
“Egal, was es ist, wir werden stehen wie die Mauern von Merun!”
Er wollte eine weitere Frage stellen. Irgendeine Information aus dem Elfen bekommen. Irgendetwas, das von Nutzen war, doch Naomh Seaghdh hatte andere Pläne.
“Elfen!” - “Sie sind durchgebrochen!” - “Zu den Waffen! Sie sind hier!” Eine wilde Kakophonie unterschiedlicher Rufe, alle mit der gleichen Aussage.
Der Schütze fluchte. Ein weiterer beschissener Tag.
“Zuhören! Sind keine Elfen!” Sein Gast wurde energischer.
“Was dann? Was bei allen Heiligen ist es?” Der Soldat verlor langsam die Geduld. Jetzt war nicht die Zeit.
“Lauft!” - “Das sind keine Elfen!” - “Weg hier!”
Der Soldat zuckte zusammen, als die Tür hinter ihm krachend in die Wand einschlug. Er fuhr herum und erstarrte. Das war wirklich kein Elf. Es hatte die spitzen Ohren, die Klauen, das Metall im Körper, das im schummrigen Licht funkelte. Aber das war kein Elf.
Der Unterkiefer war entlang einer geraden Linie gespalten und eine offensichtlich ehemals klaffende Wunde im Bauch war grotesk mit einem schillernden Panzer verwachsen. Er hatte den Dolch geworfen, bevor er sich weiter darüber wundern konnte, welche Abscheulichkeit vor ihm stand. Die Klinge bohrte sich in ihre Schulter, doch sie zeigte keine Reaktion. Sie begann zu rennen.
Der Soldat riss seine Armbrust an sich, legte einen Bolzen an und zielte. Der erste Bolzen fand sein Ziel in der Brust. Es hielt den Albtraum nicht auf. Der zuckte nicht einmal. Schritt um Schritt rannte er weiter. Helles Blut tropfte auf den Boden. Der zweite Bolzen traf den Panzer und sprang einfach ab. So viele Elfen hatte er schon in seiner Zeit in Cruidín getötet. So viele Seelen ins Jenseits geschickt. Am Anfang war es schwer gewesen, den Abzug zu betätigen. Auf eine gewisse Distanz war es leichter. Wenn man das Gesicht nicht sah. Mit den Monaten wurde es dann egal, wenn er das Gesicht sah. Der Kaiser befahl. Er gehorchte. Bolzen anlegen. Zielen. Abdrücken. Der Bolzen bohrt sich durch Kleidung, Haut und Fleisch. Wenn der Schuss saß, fiel das Ziel. Stolperte zumindest. Schrie in Schmerzen. So war er es gewohnt, nach all der Zeit. So sollte es sein. Jetzt, da sich sein Ziel von dem Schuss so unbeeindruckt zeigte, stieg Panik in ihm hoch.
Er zog einen neuen Bolzen aus seiner Tasche. Das Biest war schon so verdammt nah. Er betete. Zu keiner bestimmten Heiligen. Er wollte den Bolzen anlegen. Er glitt ihm aus den Fingern. Fiel zu Boden.
Ein ungelenker Satz und seine Welt war totes Fleisch, Verwesung, Klauen, Blut und Zähne. Ehe er verstand, was geschah, riss ihn die Kreatur zu Boden. Mit aller Kraft und allem Willen hielt er sich die hochgewachsene Gestalt vom Leib. Kiefer schnappten. Nägel hieben. Geifer tropfte. Aus seinem Augenwinkel sah er kurz, wie sich der Elf auf dem Bett regte, aber er hatte keine Zeit, sich jetzt darum zu kümmern. Er trat der Bestie in den Bauch, gegen den Oberschenkel – er war verzweifelt – zwischen die Beine. Es zeigte auf nichts eine Reaktion. Immer wieder schnappten die drei Kiefer nach ihm und Speichel sprühte ihm ins Gesicht.
Sein Blick wanderte panisch hin und her, aber nichts war in seiner Reichweite. Doch! Das Messer. Es war noch immer in der Schulter der Bestie. Er passte einen günstigen Zeitpunkt zwischen den Schlägen und Bissen ab und riss es heraus. Helles Blut tränkte seine Kleidung.
Fast hätte er sich über diesen winzigen Sieg gefreut, doch einen Lidschlag später schlug sein Handrücken hart gegen den Boden. Er verlor das Messer. Ein Ruck fuhr durch die Bestie und sie ließ von ihm ab. Schlug nach etwas zu seiner Linken.
Was in…?
Der Soldat hörte den Elfen aufschreien und dann zu Boden stürzen. Eine Gelegenheit… Er fand das Messer und stieß es der Kreatur bis zum Griff in den Hals. Das tote Fleisch bot kaum Widerstand und kaltes Blut rann über seine Finger. Mit einem Ruck riss der die Klinge nach oben. Die leblosen Augen waren wieder auf ihn gerichtet. Hinter diesem trüben Blick war nichts. Er stach erneut zu. Gerade nach oben. Durch Rachen und Kiefer. Kalt rann es seinen Arm herunter, als die Klinge durch die geöffnete Kehle fuhr. Unter seiner Gewalt gab der Knochen nach.
Das Ungetüm brach über ihm zusammen. Sein Herz raste. Und bei dem Geruch von Blut und süßer Verwesung hätte er sich fast übergeben.
Mühsam richtete er sich auf, nahm sich seine Armbrust und trat vorsichtig an den Elfen heran. Dieser rührte sich nicht. Dann hat dey es jetzt überstanden.
Nachdem er sich mit dem Ärmel das Gesicht abgewischt und einen neuen Bolzen in die Armbrust gespannt hatte, ging er zum Eingang, von wo sein Angreifer gekommen war. Ein kurzer Blick nach draußen verriet ihm, was ihn die Schreie schon hatte vermuten lassen: Es war nicht mehr viele übrig von Stützpunkt Cruidín. Überall kämpften Soldaten verzweifelt gegen diese Viecher oder wurden einfach überrannt. Zu Boden gerissen, mit Zähnen oder Klauen in ihrem Fleisch. Hilflos tote Beute. Panisch aufgeschrecktes Vieh. Leben in blutigen Fetzen. Leben versickert in der Erde. Leben in Schlamm begraben.
Die Armbrust glitt ihm aus der Hand. Seine Knie drohten unter ihm nachzugeben. Es kostete ihn seine gesamte Kraft, nicht hier zusammenzubrechen. All die Frauen und Männer, mit denen er die letzten Monate hier Seite an Seite gekämpft hatte, gegessen, geschlafen, sich über Nichtigkeiten unterhalten, sie starben hier, einer nach dem anderen.
Da war sie wieder. Panik. Er musste weg. Einfach weg. Einfach weg. Einfach weg. Den Hauptkorridor entlang? Nein. Sie würden ihn sehen. Er würde… Nein. Die Straße nach links? Nein. Da war eines der Biester damit beschäftigt, in einer Leiche zu wühlen. Róise… Sie bewegte sich noch. Scheiße! Heilige! Götter!
Er kämpfte gegen den Würgereiz. Stolperte rückwärts, weg von der Tür. Ging nach hinten zu einem Fenster. Dahinter befand sich direkt die Barrikade. Zwei Mannshöhen bis dorthin. Wenn er irgendwo eine Schwachstelle finden könnte, irgendwo, wo bereits ausgebessert wurde… Sie mussten ständig ausgebessert werden. Vielleicht fand er lebend einen Weg aus dieser Hölle.
Scheiße… So lange er nahe genug an der Hauswand blieb, würde ihn hoffentlich keines dieser Viecher bemerken. Er duckte sich in den Schatten. Hier schien die Barrikade noch fast vollständig aus den ersten Pfählen zu bestehen. Keinerlei Ausbesserungsarbeiten. Scheiße. Verdammte Scheiße! Im Frühjahr hatten sie hinter der Messe einiges ausgebessert. Die alten Pfähle waren im milden Winter durchgefault.
In einem entfernten Winkel des Stützpunktes wurden noch verzweifelt Befehle geschrien, bevor die Rufe abrupt endeten. Áed kannte die Stimme. Ronan. Er war ihm einmal während eines Späheinsatzes unterstellt gewesen. Er war ein vernünftiger Mann. Recht ruhig. Jetzt eine Leiche von vielen.
Áed rannte. In blinder Hoffnung. Ein Gebet an Naomh Cairistiòna, dass sie ihn noch nicht holen solle, und unzählige Flüche in seinen Gedanken.
Er fand die Stelle, die er gesucht hatte. Die Reparaturen waren miserabel, doch es gestaltete sich dennoch komplizierter, als erwartet, die Bretter zu lösen. Er riss, er trat, er fluchte und hatte schließlich ein Loch in der Wand, das groß genug war, um hindurch zu kriechen. Er hasste sich dafür, dass er floh, während seine Kameraden starben. Doch er wollte hier nicht sterben. Er würde hier nicht sterben.
Draußen angekommen, begann er zu rennen. Er war sich nicht sicher, ob die Richtung stimmte. War sich nicht sicher, wie weit er kommen würde. Wollte nur weg. Andras? Wenn er Glück hatte, würde er dort ankommen. Vielleicht konnte er jemanden warnen. Wenn nicht? Auch das war nicht wichtig. Nur weg von hier.

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