„Eins, zwei, drei!“
Die Fürstin dreht den Kopf gerade noch rechtzeitig, um zwei der Ritter, welche versuchen die Elfenkreatur auf ein Pferd zu heben, auf den Boden purzeln zu sehen. Sie haben wohl sein Gewicht überschätzt, ihn mit zu viel Schwung hochgehoben und daraufhin das Gleichgewicht verloren.
Die ganze Szene wirkt unnatürlich und komisch, so als wäre sie einem der Theaterstücke der wandernden Schauspielergruppen entnommen worden.
Beim zweiten Anlauf gelingt es dann doch und sein dürrer Körper baumelt schließlich über dem Rücken des Tieres.
Neben den beiden Geschworenen, sieht die hagere Silhouette des Vampirs aus wie der Tod selbst.
Unwillkürlich muss sich Rhiscea fragen, wie geschwächt der Vampir wohl wirklich war. In den letzten paar Wochen hatte es bis auf das junge Mädchen in ihrem Bezirk keinen Vampirangriff gegeben, nur viele Sichtungen. Und selbst das junge Fräulein hatte nicht viel Blut verloren.
Andererseits war eines der Merkmale von Vampirismus ihre hagere Gestalt und das Monster konnte sich auch genauso gut von der Unterschicht der Sozialleiter ernähren. Da gab es schließlich weder Zeugen noch Vermisste.
Ein Schauer läuft ihr über den Rücken, als sie an die dunklen und engen Gassen der Nordstadt denkt und die Kreaturen, welche diesen Teil der Stadt ihr Zuhause nennen. Auch wenn sie schon viele Elfenbastarde und Mischwesen aufgespürt hatte, so waren es immer nur die, welche es wagten, sich aus dem sogenannten Host heraus ins Innere der Stadt zu begeben. Sie wagte gar nicht daran zu denken, was sich in den Ritzen und Kanälen dieser Unterwelt tummelte.
Nur einmal musste sie in den Host.
Kurz nach dem Tod ihres Vorgängers verbreitete sich unter der Mittelschicht Angst und Schrecken, als ein menschenfressendes Mischwesen nachts aus der Unterwelt der Stadt auftauchte und in der Oberwelt mordete. Der grünhäutige Zentaur versteckte sich tagsüber im Nordteil der Stadt und als sie den Host zum erste Mal betrat, um ihn ausfindig zu machen, verspürte sie eine Welle von Unbehagen wie noch niemals zuvor.
Jede Faser ihres Körpers erinnerte sich noch an den stechenden Geruch und die dicke Luft, die sich wie ein Mantel aus Schlamm über alles legte. Dunkle Gestalten tauchten aus den Schatten der viel zu eng gebauten Häuser auf und verschwanden wieder darin. Anfangs waren sie vorsichtig, haben die Fürstin und ihr Gefolge mit Respekt aus der Ferne beobachtet, aber je tiefer sie in das Armenviertel der Stadt eingedrungen sind, desto deutlicher ist ihre Präsenz geworden. Es sind Mörder, Dirnen und Elfen, die dort leben. Die unterste Unterschicht dieser Gesellschaft. Die meisten sind hineingeboren, einige wenige haben einen grausamen sozialen Abstieg erlitten und einigen weiteren liegt die Unzivilisiertheit wohl einfach in der Natur.
Bis heute wundert sie sich, wieso sie überhaupt noch in die Stadt gelassen werden. Elfen sind einfach nur wilde Tiere, die gelernt haben, den Menschen zu imitieren, um an Essen zu kommen. Sie sind unterwürfig, brav und tun alles, was man ihnen sagt. Aber sobald sich die erste Gelegenheit auftut, werfen sie alle Scham, alle Prinzipien und alle Ethik über Bord und verwandeln sich wieder zurück in die Monster, die sie immer gewesen sind. Blutrüstig, lüstern, egoistisch.
Der Zentaur war ihre allererste Mission. Und sie hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Sowohl die Jagd an ihr als auch sie an den Menschen der Stadt. Dem Elfenbastard ohne Zögern den Kopf abzuschlagen, auf eine Lanze aufzuspießen und für einige Tage vor dem Eingangstor ihres Anwesens stehen zu lassen war genug, um das Vertrauen des Volkes zu gewinnen.
„Wir brechen auf!“, befiehlt sie, als auch die letzten Ritter sich in die Sattel geschwungen haben. Mit einer fließenden Bewegung befördert sie sich selbst auf einen dunkelbraunen Hengst und nimmt die Zügel des Pferdes in die Hand, auf dessen Rücken der bewusstlose Vampir liegt. Dann reiten sie los.
Schon aus der Ferne erkennt sie das alte Holz und den vermoderten Stein, wie er über die Dächer der anderen Häuser ragt.
Das alte Anwesen ist von einer aus großen Felsbrocken zusammengesetzten Mauer umgeben und erinnert dadurch an eine massive, uneinnehmbare Burg. Eine, die schwer zu erobern aber auch mindestens genauso schwer wieder zu verlassen ist.
Kurz wirft sie einen Blick auf den schlaff über dem Pferd neben ihr baumelnden Körper, als der Hybrid leise aufstöhnt. Er scheint zumindest halb bei Bewusstsein zu sein, auch wenn sie nicht mit Sicherheit sagen kann, ob und wie viel er vom Geschehen in seiner unmittelbaren Umgebung mitbekommt.
Er wirkt wie jemand im Fiebertraum und unwillkürlich muss sie sich fragen, wie viel von ihrem Blut er tatsächlich getrunken hat.
Ihr ist bewusst, welche Auswirkungen der Konsum von verfluchtem Blut auf vampirische Kreaturen hat, aber wirklich miterlebt hat sie es bis heute noch nie.
Sie war immer der Meinung, dass kein vampirsches Wesen an ihrem Blut interessiert sein könnte. Schließlich gab der Kjot ni´t, der Fleisches-Fluch, dem Blut eine verdorbene Bitterkeit, welche Vampiren zuwider war. Um ein so starkes Aroma ignorieren zu können, müsste der Vampir am Verhungern gewesen sein.
Seufzend steigt sie vom Pferd. Egal was es gewesen ist, das den Hybriden dazu gebracht hat, sich durch ihr Blut vergiften zu lassen, sie ist dankbar dafür. Wäre er etwas weniger gierig gewesen, dann würde sie jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben sein.
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