Mit einem Ruck befördern die beiden Ritter den Elfen in die Zelle hinein und auf den kalten, steinernen Fußboden.
Er muss bereits ein wenig zu Bewusstsein gekommen sein, denn er versucht seinen Sturz abzufangen, ist jedoch zu schwach. Seine Arme geben unter ihm nach und er prallt mit Rücken und Kopf an die hintere Wand der Zelle.
Ein kraftlos leises Wimmern hallt durch den mit Schieferstein ausgekleideten Gang.
Sie verschließt die Zelle wieder und lässt den Schlüssel zurück in ihr Gewand verschwinden. Mit knappen Worten bedankt sie sich bei der Garde und entlässt die beiden Männer.
Danach wendet sie sich wieder dem Elfen zu. Er liegt unbewegt mit dem Rücken an der Wand in der Zelle, die Augen geschlossen und schwer atmend. Etwas schwarzes Blut und Galle laufen ihm aus dem Mundwinkel.
Bevor die Ritter den Vampir ins Verließ geschleppt haben, waren sie noch gütig genug, um den Strick an den Händen des Untieres gegen robusteres Eisen auszutauschen und auch seine Beine in Ketten zu legen.
Die Fürstin will in dieser Hinsicht keine Chancen eingehen. Schließlich konnte sie ihn im Kampf nur durch Glück und seine eigene Dummheit besiegen.
Ein leises Stöhnen entfährt dem Gefangenen und er krümmt sich zusammen. Die Effekte des vergifteten Blutes scheinen noch anzudauern.
Sie geht in die Hocke, um den Vampir genauer zu betrachten.
Das Wesen liegt zusammengekrümmt auf der Seite, die dünnen, langen Arme um den Unterkörper geschlungen. Sein Gesicht ist zu einer Grimasse aus Schmerz verzerrt und die spitzen Eckzähne entblößt. Hinter Gittern sieht ed plötzlich nicht ansatzweise so gefährlich aus, wie noch vor einigen Stunden.
Ihr Blick fällt auf seine Flügel. Sie sind groß und von einem ähnlichen bläulich schimmernden schwarz wie seine langen Haare. Aber die Farbe ist nicht, was ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es ist der Übergang zwischen Flügel und Rücken. Eigentlich hatte sie erwartet, dass das Schwarz fließend in das grünblau seiner Haut übergehen würde, aber das tut es nicht. Stattdessen gibt es eine strikte Grenze, die nur von ein paar breiten und wahrscheinlich sehr alten Narben durchzogen ist. Fast so, als hätte man die Flügel abgeschnitten und mit riesiger Nadel und Faden wieder angenäht.
Während sie das Wesen betrachtet, fällt ihr plötzlich noch etwas auf.
Seine Flügel sind frei.
Sie hat seine Beine und Arme in Ketten legen lassen, aber die Flügel hat sie vollkommen vergessen. Sollte sie auch die fesseln? Wie viel konnte er schon mit ihnen anrichten? Wegfliegen, war die offensichtliche Antwort. Aber im Kampf hat er sie ja kaum verwendet. Würde sich das ändern, wenn er weder Arme noch Beine frei bewegen konnte?
Ab jetzt darf nichts dem Zufall überlassen werden, beschließt sie. Es ist ungünstig, dass sie die Wachen bereits weggeschickt hat, aber es würde auch so gehen müssen.
Nur einige Schritte weiter, am Ende des Ganges befindet sich eine eiserne Tür. Früher einmal, zur Zeit ihres Vorgängers, wurde der Raum als Folterkammer genutzt. Doch seit Rhiscea das Anwesen übernommen hat, funktionierte es größtenteils nur noch als inoffizielles Sommer-Arbeitszimmer, vor allem weil es unterirdisch liegt und dadurch kühl bleibt. Von Herbst bis Frühling ist es allerdings nicht mehr als eine Abstellkammer. Dort muss irgendwo ein robuster Strick zu finden sein.
Sie verschwindet im Zimmer. Ein Blick durch die offene Tür hindurch lässt jeden Beobachter den ursprünglichen Verwendungszweck des Zimmers sofort erkennen. Eiserne Zangen, Messer und nicht identifizierbare Gerätschaften hängen an den Wänden, in der Ecke steht eine breite eiserne Kiste in Form einer menschlichen Silhouette und aus der anderen Seite ragt eine Streckbank ins Bild hinein.
Einige Momente später ist die Fürstin zurück, in der Hand hält sie einen dicken Strick, bei dem sie sich sicher ist, dass ihn nicht einmal ein Pferd durchreißen könnte.
Mit einem schnellen Handgriff öffnet sie die Zelle, tritt hinein und schließt sie wieder hinter sich. Der Elf liegt immer noch bewegungslos am Boden.
Sie geht vor dem Wesen auf die Knie. Es liegt mit dem Rücken zur Wand und so trennt sie sein Körper von seinen Flügeln. Sie wird sich über ihn beugen müssen, um an sie zu kommen.
Mit einer Hand greift sie sein Handgelenk, um seine Arme aus dem Weg zu bringen. Bei der Berührung zuckt der Elf zusammen, seine Augen öffnen sich schlagartig und er lässt ein Knurren hören. Die Fürstin greift augenblicklich nach der Waffe in ihrem Schuh, doch sie braucht sie nicht zu ziehen. Das Halbwesen starrt sie nur aus müden, halb geschlossenen Augen an, bewegt sich aber nicht weiter.
Erst als sie seine gefesselten Arme zur Seite legt, bemerkt sie, dass sie nach dem verletzten Handgelenk gegriffen hat. Sie blickt dem Wesen erneut ins Gesicht, doch seine Augen sind bereits wieder geschlossen und es scheint zurück ins Koma gefallen zu sein.
Kurz überlegt sie, wie genau sie seine Flügel zusammenbinden will. Bei Armen und Beinen ist es einfach genug aber mit geflügelten Wesen hat sie es bis jetzt kaum zu tun gehabt.
Sie beschließt, dass es reichen muss, den Strick einige Male herumzuwickeln und fest zu ziehen.
Immer noch in kniender Position rutsche sie etwas näher an ihn heran und beugt sich anschließend über ihn. Den Strick in der Rechten haltend, greift sie mit der linken Hand unter seinen Flügeln durch nach dem Seil. Dabei streift sie das schwarze Membran der Tragflächen.
Durch das jahrelange Tragen von Handschuhen ist ihre Haut sehr empfindlich geblieben. Empfindlich genug, um durch den dünnen Stoff der Handschuhe, spüren zu können, wie weich und samtig sich die Flügel anfühlen.
Für einen kurzen Moment hält sie inne und lässt die Flugmembran über ihre Handfläche gleiten.
Es ist so verletzlich. Jeder noch so kleine Kieselstein könnte es aufreißen, wenn man ihn darüber schrammen ließe. Jetzt versteht sie auch, wieso der Elf im Kampf so bedacht darauf war, seine Flügel zu schützen. Eine einzelne Kugel aus Siths Pistole hätte ein Faustgroßes Loch hineinreißen können.
Ihre Gedanken werden abrupt unterbrochen, als sie etwas am Arm packt.
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