Ruby macht den Mund auf, um etwas zu sagen, verharrt aber in der Bewegung und schließt ihn wieder.
“Ah, ich sehe, das mit dem Reden wird noch etwas dauern. Ist wahrscheinlich auch besser so. Du solltest dich schonen”, beantwortet die Fürstin ihre eigene Frage.
Doch Ruby scheint nicht aufzugeben. Sie hebt ihre Hände auf Brusthöhe und beginnt wild zu gestikulieren.
Die Fürstin kann sie für einige Momente nur verständnislos anstarren. Nach einigen Sekunden begreift sie schließlich, dass Ruby mit ihr über Zeichensprache kommunizieren will.
Das hatten sie schon einmal gemacht, genauer gesagt das erste halbe Jahr, nachdem Rhiscea das Amt des Fürstentums übernommen hatte.
Ruby und ihre Schwester Saphira waren schon zu Zeiten von Rhisceas Vorgänger aus dem Osten hierher geflohen. Damals änderten sie ihre asiatischen Namen zu etwas, das sich mehr mit der neuen Sprache vereinbaren ließ.
Ruby hatte ihr einmal erzählt, dass sie ein neues Leben beginnen wollen und dazu gehören auch neue Namen. Allerdings vermutet Rhea, dass der Grund für die Namensänderung wahrscheinlich eher in der verkorksten westlichen Aussprache liegt.
Die beiden Schwestern sind wegen ihres Talents im Kampf zum inneren Kreis des damaligen Fürsten eingeladen worden. Saphira starb einige Jahre darauf bei demselben Zwischenfall, der auch das Leben des Fürsten nahm.
Ruby traf der Verlust hart und sie hörte auf zu sprechen. Als Rhiscea das Amt übernahm, ist ihr geraten worden, die trauernde Geschworene aus ihrem Dienst zu entlassen, doch sie tat es nicht. Und anstatt zu versuchen, Ruby wieder zum Reden zu bringen, bot sie ihr eine Alternative.
Die begrenzte Zeichensprache, welche sie kurzerhand zusammengelotet hatte, wirkte Wunder. Aber das ist mittlerweile fast fünf Jahre her.
„Warte Ruby, ich kommt nicht mit. Ich bin vollkommen aus der Übung“, stammelt Rhea überfordert. Ruby hält Inne, nickt dann verständnisvoll und führt die komplizierte Folge von Handzeichen erneut vor.
„OK, das ist gut, dass sie hier war. Was hat sie gesagt?“, antwortet die Fürstin, als sie glaubt zu verstehen, was ihre Geschworene ihr mitzuteilen versucht.
Ruby fuchtelt daraufhin erneut mit den Händen. Diesmal ist die Botschaft etwas länger.
„Ok, keine Organe verletzt, das klingt gut. Die vier Wochen Bettruhe hat er sich verdient.“
Zumindest wird Malo wieder in Ordnung kommen.
“Und du?”, fordert sie Ruby erneut zum Reden auf.
Nach kurzem Zögern antwortet sie.
„Du sollst nicht reden, weil deine Stimmbänder verletzt sind? Dieser Bastard…“ Allein für Ruby und Malo sollte er hingerichtet werden.
Ruby fängt wieder zu gestikulieren an.
„Darum geht es nicht, auch wenn du in zwei Wochen, oder sogar zwei Stunden wieder sprechen könntest… Hier geht es ums Prinzip! Es hat dir nichts gebrochen, oder?“
Diesmal schüttelt sie nur den Kopf.
Die Fürstin seufzt, sie ist erleichtert und wütend. Erleichtert, weil Malo und Rubys Wunden verheilen werden und wütend wegen der Opfer, die sie der Elfenbastard gekostet hat. Noch bevor sie diesen Gedanken weiterführen kann, wird sie von Malo unterbrochen, der die beiden schon seit einer Weile verwirrt anstarrt:
“Ich schwöre beim Angesicht des Uriels, ich verstehe euch Frauen jeden Tag weniger.”
Sie gibt den mit rotem Wachs versiegelten Brief dem Boten.
“An die Oberin Ilza Nypan. Sie sollte sich zurzeit in ihrem Winterwohnsitz in der Stadt der Könige befinden. Wenn du sie dort nicht finden kannst, dann gib ihn an ihre Diener weiter, sie werden ihn zustellen, sobald sie dort ankommt.”
“Natürlich, Milady”, der braunhaarige, junge Mann verstaut den Brief in seiner Manteltasche, dreht sich auf dem Absatz um und verschwindet durch die Tür.
Sie hat gestern noch bis tief in die Nacht an dem Schreiben gearbeitet. Die Oberin musste schnellstmöglich von der Situation benachrichtigt werden. Schließlich war das hier kein routiniertes Vorgehen.
Die Fürstin ist bereits dadurch ein Risiko eingegangen, dass sie den Elfen nicht noch im Wald hingerichtet hat. Der Befehl lautet eigentlich, alle Gefahren in und außerhalb der Stadt sofort zu eliminieren.
Sie ist sich allerdings sicher, dass die Oberin bei ihr ein Auge zudrücken würde, vor allem wenn sie seine Hinrichtung selbst miterleben darf.
Die jahrelange und ermüdende Jagd nach dem Hybriden verdient ein spektakuläres Ende, das man der Oberhexe nicht vorenthalten darf.
“Haben sie Ihrer gesamten Dienerschaft gekündigt, oder hat sie der Hybrid gefressen?”, unterbricht eine vertraute Stimme ihre Gedanken. Als sie von ihrem Schreibtisch aufsieht, verzeiht sich ihre Mine.
Im Türrahmen steht ein schlanker, edel gekleideter Mann. Er ist etwa Mitte fünfzig und sowohl seine schwarzen Haare als auch sein übergepflegter Schnurrbart sind bereits mit dunkelgrauen Strähnen durchzogen. Auf seinen Lippen liegt ein honigsüßes, falsches Lächeln und der Blick in seinen Augen ähnelt dem einer Schlange, bevor sie zubeißt.
“Ich halte nicht viel von Höfen, die vor Angestellten summen wie ein Wespennest. Eine Handvoll Personal empfinde ich als vollkommen ausreichend.”, erwidert sie die Provokation.
“Nun, ich hätte gedacht, dass sich zumindest jemand um den Empfang von Gästen kümmern würde. Stattdessen stand ich so lange klopfend vor ihrem Anwesen, bis ich mich selbst hineinließ.”
“Wir empfangen selten Gäste”, gibt sie knapp zurück, doch der Graf scheint die Konversation noch nicht beenden zu wollen.
“Hatte sich in der Vergangenheit nicht so ein blonder, junger Bursche um solche Aufgaben gekümmert? Wie war sein Name doch gleich?”
“Viktor, sein Name ist Viktor. Ich habe ihn für unbestimmte Zeit von seinen Aufgaben im Haus entbunden.”
“Oh, hat der junge Mann etwas angestellt? Er schien mir nie ein Schalk zu sein, aber bei der heutigen Jugend kann man sich da ja nie ganz sicher sein”, der Mann begleitet seine scherzhafte Bemerkung mit einem tiefen, kehligen Lachen.
Ein harmloser Witz, könnte man denken, wäre Rhiscea nicht nur knapp 8 Jahre älter als Viktor.
“Sein Bruder ist gestern verstorben. Ich habe es als angemessen empfunden, ihm ein wenig Ruhe zu gönnen”, erwidert sie kalt.
Das scheint den Grafen ein wenig aus der Bahn zu bringen, denn sein bissiges Lächeln verschwindet und er stammelt kurz etwas Unverständliches. Schließlich kann er sich aber doch wieder fassen.
“Mein herzliches Beileid”, antwortet er schließlich, “War es der Hybrid?”
“Ja. Weswegen sind sie hier, Van Döring?”, fragt die Fürstin ungeduldig.
Das Lächeln des Grafen kommt wieder zurück.
“Ich wollte ihnen natürlich zur gelungenen Jagd gratulieren!”
Comments (0)
See all