“Danke, aber dafür hätten Sie nicht persönlich kommen müssen. Es wäre vollkommen ausreichend gewesen, einen ihrer Diener vorbeizuschicken.”, entgegnet die Fürstin dem Grafen.
“Aber nicht doch, bei einer solchen Leistung wäre es unangemessen, die Gratulation nicht persönlich zu geben.”
Eine Weile lang herrscht Stille. Die Fürstin hatte ihren Blick schon vor einer Weile von ihm abgewendet und widmete sich nun den Papieren auf ihrem Schreibtisch.
Als die Stille unangenehm wird und der Graf langsam beginnt nervös von einem Bein aufs andere zu treten, bricht die Fürstin schließlich das Schweigen:
“Weswegen sind Sie wirklich hier, Graf Van Döring?”
“Um Ihnen zu gratulieren, wie schon...”
“Und?”, unterbricht ihn die Fürstin. Sie sieht auf und fixiert ihn mit einem eisigen Blick.
Der Graf räuspert sich und gibt schließlich zu:
“Ich hätte erwartet den Kopf des Elfen bereits gestern Abend auf einem Stock aufgespießt zu sehen.”
Darum geht es also.
“Wo ist er?”, stellt er seine Frage.
Die Fürstin beschließt ihn noch ein wenig länger zappeln zu lassen. Nur selten schafft sie es, den Grafen derart aus der Reserve zu locken.
“Der Kopf oder der Elf?”, provoziert sie ihn.
“Beides wäre interessant zu wissen”, antwortet er mit einem leicht gereizten Unterton.
“Der Kopf sitzt noch auf seinen Schultern. Was den Elfen angeht…”, sie wählt ihre nächsten Worte sehr bewusst, “Er wurde in Gewahrsam genommen.”
“Er ist noch am Leben?!”, fragt der Graph schockiert.
Die Fürstin schweigt einen Moment lang und fragt dann drohend:
“Haben Sie ein Problem damit, wie ich meine Arbeit verrichte, Van Döring?”
Der Graf richtet sich auf. Er hatte sich wirklich bemüht, freundlich zu bleiben. Doch sie schien immer auf Konflikt aus. Zu gern würde er manchmal der jungen Dame seine volle Meinung sagen. Allerdings weiß er auch, dass es unklug wäre, als Vertreter des Königs mit einer Repräsentantin der Oberin einen Streit zu beginnen. Er begnügt sich also nur mit einer warnenden Bemerkung.
“Das Volk erwartet, einen Schuldigen zu sehen. Ob nur seinen Kopf auf einer Lanze oder einen lebenden Vampir am Pranger ist ihnen egal, aber sie brauchen etwas, auf das sie ihre Aufmerksamkeit richten können. Sie könnten sonst anfangen, selbst mit dem Finger zu zeigen. Und das nicht unbedingt nur auf den Elfen.”
“Danke für das Überbringen der Nachricht, ich werde darüber nachdenken”, entlässt sie ihn und nimmt wieder die Feder in die Hand.
“Ich hoffe sehr, um Ihretwillen, dass das nicht allzu lange dauert.”, beendet der Graf das Gespräch und verschwindet mit wenigen Schritten aus der Tür hinaus.
Rhiscea atmet auf, als er das Zimmer verlässt. Sie konnte den Mann noch nie leiden. Er mochte ein guter Graf und Verwalter sein, aber menschlich geht ihr seine schleimende und herumschnüffelnde Art mächtig gegen den Strich.
Sie ist für den bewaffneten Schutz der Stadt verantwortlich, er für die Verwaltung und Steuern. Eine derartige Arbeitsteilung hat zur Folge, dass sie nur selten etwas miteinander zu tun haben müssen. Dennoch sieht sie Ihn für ihren Geschmack viel zu oft.
Gleichzeitig müssen sie aber zumindest oberflächlich miteinander auskommen. Das Reich basiert auf einer harmonischen und ausgeglichenen Regentschaft zwischen König und Oberin. Zwei Gewalten, die sich gegenseitig prüfen und kontrollieren, aber auch friedlich zusammenarbeiten müssen. Und es ist wichtig, dass sich diese Beziehung auch in den feinen Ästen des Systems, zwischen den Grafen und Fürsten der zwölf Städte widerspiegelt.
Selbst wenn sie mit dem dauerhaften herumschnüffeln Van Dörings nicht einverstanden ist, so kommt sie nicht umhin, ihm in einer Sache recht geben zu müssen.
Das Volk ist es gewohnt, nach jeder gebannten Gefahr einen weiteren Kopf vor dem Fürstensitz zu sehen.
Bis jetzt hatte sie nie länger als einige Stunden gebraucht, um dem Volk nach einer erfolgreichen Jagd einen “Schuldigen” zu liefern. Die Körper verbrannte sie immer am oder in der Nähe des Kampfortes und den Kopf pfählte sie, sobald sie wieder in der Stadt ankam. Doch jetzt war schon ein halber Tag vergangen und noch immer war keine Trophäe vor der Mauer des Anwesens zu sehen.
Sie fragt sich, wie lange die Menschen wohl aushalten würden, bevor ein wütender Mob vor ihrem Herrenhaus stehen würde. Einige Tage? Vielleicht eine Woche?
Konnte bis dahin der Bote mit weiteren Anweisungen von der Oberin da sein? Vielleicht könnte sie die Hinrichtung hinter sich bringen, noch bevor die Menschen ungeduldig wurden und ihnen dann seinen Kopf auf einem Stock präsentieren.
Das Geißeln des Vampirs würde sie am liebsten vollständig vermeiden.
Nicht aus einer sentimentalen Regung heraus. Ein kleiner Teil von ihr würde das Monster gerne dem wütenden Mob übergeben und dann die Vorführung genießen.
Viel mehr Sorgen bereitet ihr die Unberechenbarkeit des Vampirs.
Hier, eingesperrt im Kerker unter ihrem Anwesen, umgeben von Mauern, Wachen und eisernen Türen, ist er kaum eine Gefahr. Aber draußen auf dem Marktplatz, umgeben von wütenden und aggressiven Menschen, mit ein paar Ketten an einen dünnen Pfahl gefesselt, da kann ein kleiner Funken ganz schnell zu einem Inferno heranwachsen.
Aber wie sollte sie das den Menschen erklären? Wie konnte sie erklären, dass sie eine Kreatur am Leben gelassen hatte, sei es denn nur für einige Tage, die so gefährlich ist, dass sie nur unter einem Fürstentum im dunkelsten und am strengsten bewachten Kerker gehalten werden darf.
Und das nur aus Neugier über die Sonderbarkeit des Wesens und weil sie der Oberin nicht die Genugtuung einer öffentlichen Hinrichtung dieser gefährlichen Kreatur verwehren wollte.
Ein Blick aus dem Fenster verrät ihr, dass es beinahe Mittag ist.
Sie sollte vielleicht mal nach der gefährlichen Kreatur schauen.
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