Ihre Beine trugen sie, sie sorgte dafür, befahl ihnen, trieb sie vorwärts, doch ihre Gedanken waren schwer. Flossen zäh. Schwammen in trägen Kreisen. Blieben, wo sie waren.
Die Mittagssonne verbrannte das trockene Land und verbrannte ihr die Haut und verbrannte ihr den Geist. Iora wusste nicht mehr, wo sie war; folgte nur weiter der Schlucht zu ihrer Rechten. Stunden war sie nun schon durch die Hitze gewandert. Der Schweiß lief an ihr herab und brannte in den noch frischen Schnitten auf ihrem Rücken. Der Schmerz trieb sie weiter. Immer weiter.
Sie hatte Durst, brauchte Wasser, dringend. Sie war erschöpft, als sie losgegangen war, doch jetzt fühlte sie sich, als würde sie jeden Moment stürzen und liegen bleiben, wo sie war. Eine ausgebrannte Hülle, die niemand jemals finden würde.
Doch da zeichnete sich in der Ferne etwas gegen den flimmernden Horizont ab, das die Monotonie dieses Ödlandes aufbrach: Ein Esel mit einem Reiter. Oh Geister, endlich.
Er musste Wasser dabei haben. So weit draußen. Es war sicher ein ganzer Tag bis Ardport von hier. Mindestens noch einmal so weit bis zur nächsten Zwergenburg. Niemand kann so weit ohne Vorräte reisen. Er schien gerade zu rasten und da ihr wenig andere Möglichkeiten blieben, ging sie geradewegs auf ihn zu. Sie schämte sich, so vor ihn zu treten. Halb nackt und voll Blut und Schweiß. Aber was sollte sie tun? Hier zu sterben wäre schlimmer.
Als sie nahe genug war und er sie auch erkannte, hob er seine Hand zum Gruß. Dann schien er zu erkennen, in welchem Zustand sie sich befand, ließ er etwas fallen und begann zu ihr zu rennen. Bei ihr angekommen atmete der Zwerg schwer, sein Kopf hochrot.
“Kind…” - Er rang nach Luft - “…was ist mit dir passiert?”
Wasser war ihr einziger Gedanke. “Wasser” war alles, was sie sagte. Krächzte. Das Wort schnitt sich durch ihren Rachen. Sie sah ihn flehend an.
“Natürlich, natürlich. Sofort”, beeilte er sich. Er griff nach ihrem Arm und sie zuckte vor seiner Berührung zurück. “Ganz ruhig. Kindchen, du siehst aus, als würdest du gleich zusammenbrechen. Lass mich dir helfen.” Sie rührte sich nicht. Starrte ihn an. Er machte keine Anstalten, sie noch einmal anzufassen. “Na komm mit, ich hab Wasser in meinem Lager.” Er drehte sich von ihr weg in Richtung des Esels und des Schattens und des versprochenen Wassers. Sie wollte ihm folgen. Stolperte. Er drehte sich wieder zu ihr und sie sah in seinen Augen die Besorgnis. Als er ihr diesmal anbot, sie zu stützen, floh sie nicht vor ihm. Er legte ihren Arm über seine Schultern und wollte sie stützen, doch als er seinen Arm über den Rücken legen wollte, zog Iora scharf die Luft ein. Das Zeichen der Daeva brannte weiß-glühend vor ihrem inneren Auge und hätte er sie nicht schon gestützt, wäre sie zusammengebrochen.
“Nicht... den Rücken”, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Nach ein paar schweren Atemzügen fügte sie hinzu: “Ich schaffe es selbst.” Sie wartete, bis er sich wieder gelöst hatte. “Danke.”
Entsetzt entdeckte der Zwerg das Blut an seinem Arm. Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. “Bei Ninḫursaĝs Bart, was ist mit dir passiert?”
“Bitte, gebt mir nur ein bisschen Wasser und ich mache mich weiter auf meinen Weg.” Sie wollte weiter gehen. Sie wollte nicht mit ihm sprechen. Sie wollte fort.
Der Zwerg führte sie schweigend zu seinem Lager und schien wohl noch immer einschätzen zu wollen, womit er es hier zu tun hatte. Sollte er denken, was er wollte. Er hatte sie bisher nicht beleidigt oder versucht, sie abzustechen, das reichte ihr fürs Erste.
“Kindchen, setz dich. Trink. Ruh dich aus. Und erzähl mir dann aber bitte, was mit dir geschehen ist.” Das würde sie nicht, wenn sie es vermeiden konnte.
Der Zwerg hatte eine Plane zwischen zwei Stöcken aufgespannt, die ihnen jetzt Schatten bot, als er Iora ihren Becher immer wieder aus seinem Wasserschlauch füllte. Sie versuchte, den Abstand zu ihm zu wahren. Auch wenn er ihr bisher nur geholfen hatte, wusste sie nicht, was er noch vorhatte.
Dennoch nahm sie sich nun auch die Zeit, ihren Gastgeber genauer zu mustern. Er trug einfache, leichte Kleidung, dem Wetter im Titanengrab angemessen. Darunter zeichnete sich ein Bauch ab, davon zeugte, dass er ein gutes Mahl wohl nicht ablehnte. Seinen schwarzen Bart hatte er wohl vor einigen Tagen sauber geflochten, aber jetzt hingen einige Strähnen heraus. In seinem dunklen Gesicht zeigten sich Falten, besonders um seine Augen, doch sie wusste nicht, was das für einen Zwerg heißen mochte. Vielleicht war er sechzig, vielleicht aber auch schon zweihundert. Sein Kopf war kahl rasiert und an seinen Schläfen befanden sich Zeichen, die sie nicht kannte, doch sie ähnelten Runen, wie sie im ersten und zweiten Zeitalter in manchen Sprachen verwendet wurden. Ihre Neugierde gewann gegen ihre Vorsicht und es lenkte sie von dem dumpfen Pochen in ihrem Rücken ablenken, das mit jedem schweren Herzschlag Flammen über ihre Haut schickte.
“Herr Zwerg, die Runen an Euren Schläfen, was bedeuten sie?” Sie fügte schnell hinzu: “Wenn ich so frei fragen darf.” Es waren die ersten Worte, die sie gesprochen hatte, seit sie sich getroffen hatten. Der Zwerg schien sich daran nicht zu stören.
Er fuhr mit sein Finger über eine davon. “Das sind Eneer und Hinee. Feuer und Wasser. Der Geist und das Leben.” Er lachte leise. “Das ist es, was dir gerade am meisten auf dem Herzen liegt? Sag, Kindchen, wie heißt du? Und” – sein Gesichtsausdruck wurde ernster – “wie kommt es, dass du mit solchen Schnitten so weit abseits von allem herumirrst?”
Er lehnte sich zurück und besah sich ihren Rücken. Innerlich zuckte Iora zusammen. Er wirkte freundlich, aber was, wenn er das Zeichen erkannte? Wusste, was sie war. Scham überkam sie. Sie wollte fliehen. Sie war schon zu lange hier.
“Ich– Mein Name ist Iora. Und wie ist Eurer?”, brachte sie leise hervor.
Er stand auf und ging zu seinem Esel, um in einer Tasche zu wühlen.
“Iora? Ein alter Name. Und ein stolzer Name. Ich kannte mal jemanden, der so hieß.”
Nachdem er offensichtlich gefunden hatte, wonach er gesucht hatte, kam er mit einer kleineren Tasche wieder zu ihr. “Mein Name ist Thorgest. Kein besonderer Name, aber er erfüllt seinen Zweck.” Er lachte wieder leise.
Er setzte sich wieder neben sie und bat sie: “Dreh deinen Rücken bitte zu mir. Die Schnitte sind nicht tief, sie müssen nicht genäht werden, aber sie sollten gereinigt und verbunden werden. Darf ich?”
Sie nickte und wandte sich von ihm ab. Sie musste es wissen. All ihren Mut zusammengenommen fragte sie: “Die Schnitte– Wie schlimm ist es?”
“Nicht sonderlich. Sie hätten sich vermutlich entzündet, wenn du niemanden gefunden hättest, der sich darum kümmert, aber so besteht keine Gefahr”, antwortete der Zwerg, während er aus einem Fläschchen etwas auf ein Tuch tropfte. Er erkannte die Rune auf ihrem Rücken nicht.
Er setzte das Tuch an einem Schnitt an ihrer Schulter an und tupfte die Wunde ab.
Geister.
Es brannte. Es brannte auf ihrem Rücken und in ihrem Geist. Wieder sah sie das Symbol deutlich vor sich, während die Ränder ihres Sichtfeldes sich weiß färbten.
“Stillhalten. Bitte. Es brennt die Verunreinigung aus der Wunde.” Sein Ton war scharf, doch wurde weicher, als er erklärte: “Es wird schnell wieder nachlassen, aber da musst du jetzt leider durch.”
Sie nickte. “Bitte seid einfach vorsichtig.” Das Zeichen der Daeva verblasste langsam, bis es unter seinen Berührungen nur noch leicht pulsierte.
Er hatte Tuch und Flasche beiseite gelegt und betrachtete nun die Schnitte genauer. Iora spürte es. “Der Schnitt geht sogar sauber durch das Metall an deiner Schulter. Ich verspreche, das ist das letzte Mal, dass ich frage, aber wie ist das passiert?”
Könnte er endlich aufhören zu fragen? Das war ihre Sache und allein ihre. Es ging ihn nichts an. Er mochte ihr vielleicht das Leben gerettet haben, doch sie schuldete ihm nichts.
“Und dann werdet Ihr das letzte Mal keine Antwort erhalten. Das geht nur mich etwas an.” Mit dieser Klinge aus Stahl und Eis wollte sie das Thema ein für allemal beenden. Er nickte stumm.
Als nächstes bat er sie, die Arme zu heben und begann, ihren Oberkörper in Leinenverband einzuwickeln. Zwei Rollen benötigte er dafür. Sie bewegte sich vorsichtig und der Verband schien nicht zu scheuern. “Danke, Meister Zwerg.” Sie gab sich Mühe, wieder freundlich zu klingen. Seine Neugierde nervte, doch er kümmerte sich gut um sie und zumindest das konnte sie tun.
Er sah kurz davon auf, seine Utensilien wieder in seiner Tasche zu verstauen. “Bitte, du kennst meinen Namen. Hör mir auf mit dem Meister Zwerg. Wir sind doch Freunde hier.” Er schenkte ihr ein Lächeln und wandte sich dann wieder seiner Tasche zu.
“Danke, Thorgest.” – Sie zögerte – “Ich weiß, Ihr habt schon viel für mich getan, aber hättet ihr vielleicht Kleidung für mich? Ich kann so nicht weiterreisen.” Sie schämte sich unglaublich dafür, ihn darum zu bitten. Es war mehr, als sie von ihm verlangen konnte. Es war eine unüberlegte Frage.
“Götter! Natürlich. Warte kurz…”
Er begann in einer anderen Tasche zu wühlen. “Du hast Glück.” Er dreht sich kurz zu ihr um. “Recht viel größer als ich bist du ja nicht. Nur vielleicht etwas schmäler. Hier.” Er warf ihr eine weiße Hose zu. “Sie wird etwas weit an dir sein, aber das bekommen wir schon hin.”
Als nächstes flog noch ein blaues Hemd, ein rotes Stoffband, das wohl als Gürtel dienen würde, und schließlich kam er mit einem weißen Stoffknäuel zu ihr.
“Damit siehst du aus, als kämst du aus dem Norden. Hier, leg dir den noch um,” und entfaltete vor ihr den weißen Burnus. “Er wird dich vor der Sonne und Blicken schützen. Auch hier sind Elfen nicht mehr sonderlich gern gesehen.”
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“Wohin führt dich dein Weg jetzt weiter?”, wollte er wissen. Aus einer Tasche hatte er für sie beide jetzt noch Brot und Käse gefunden. Iora hatte zunächst abgelehnt, aber Thorgest hatte darauf bestanden. Die Kraft, ein zweites Mal abzulehnen, besaß sie nicht.
Sie lehnte sich zurück, stützte sich auf ihre Arme und schaute hinauf zum wolkenlosen Himmel. “Ich weiß es nicht. Fort. Nach Norden. Nach Westen. Hauptsache fort von hier.”
“Ich verstehe.” Er fuhr sich mit der Hand durch den Bart. “Ich werde, sobald es die Sonne zulässt, nach Myrar weiterziehen. Von hier vielleicht noch zwei oder drei Tag. Ich weiß nicht, ob dir das weiterhilft, aber es wäre ein Anfang.”
Ihre Augen weiteten sich. “Ihr wollt mich mitnehmen? Ihr habt bei weitem schon genug getan.” Zudem war sie sich noch immer nicht sicher, wie weit sie ihm trauen konnte, auch wenn er es ihr wirklich schwer machte, argwöhnisch zu bleiben.
“Sei nicht dumm. Hier draußen gibt es nichts.” Er sah besorgt zu ihr herüber. “Nimm die Hilfe an. Ab Myrar kannst du dann wieder deiner eigenen Wege gehen.”

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