Vorsichtig lugte ich um die Hausecke. In Ordnung, ich hatte sie abgehängt. Ich gönnte mir ein erleichtertes Schütteln. Was ein Glück war ich schneller und gewitzter als diese Ratten.
Sollten sie mich doch mal kriegen, könnte es schlecht für mich ausgehen. Einer, ja, kein Problem. Aber die traten immer gleich in Rudeln auf. Ich schnaufte.
Für jetzt hatte ich es erstmal wieder geschafft und konnte mich auf die Suche nach was zu Beißen machen. Eigentlich blieb ich der Stadt lieber fern, aber manchmal lockten dann doch die Stände und Läden mit ihrem reichhaltigem Angebot.
Es war kühler geworden. Ich mochte das, aber es hieß auch, dass es mehr von außerhalb in die Stadt zog. Mehr Konkurrenz.
Ach, was soll's, dann bleibt's auch spannend.
So, einmal lang ausstrecken und los geht's.
Ich verfiel in einen leichten Trab, als ich mich wieder zurück Richtung belebterem Viertel bewegte. Dort war die Gefahr entdeckt zu werden zwar höher, allerdings die potentielle Beute auch reicher. Immerhin war es schon fast dunkel und die Straßen hatten sich etwas geleert. Trotzdem musste ich auf Autos, Mopeds und Fahrräder achten, die ständig von irgendwoher angeschossen kamen.
Ab und zu drückte ich mich durch eine Zaunlücke, um eine Abkürzung durch einen Hof oder Garten zu nehmen. Die Hunde fanden das nicht witzig, aber auch für sie war ich zu schlau.
Arme Geschöpfe. Eingekesselt zwischen Betonfronten, häufig kaum ein Fleckchen Grün zum Schnüffeln oder Wälzen, ständig dem Dröhnen von Maschinen und Mengen an Leuten ausgesetzt.. Manche von ihnen konnten mich nur durch das Glas der Fenster und Türen beobachten und warnten ihre Besitzer vergeblich, dass ich gerade ihr Territorium betrat.
Wieder schnaufte ich, diesmal vor Mitleid.
Manchmal machte ich mir den Spaß und tänzelte ein wenig vor ihnen herum, damit sie wenigstens etwas Abwechslung in ihren denaturierten Leben hatten. Aber heute nicht. Ich hatte wirklich Hunger.
Bald hatte ich die Gassen hinter einer Ladenzeile erreicht. Jackpot!
Ich duckte mich hinter einem größeren Container, als jemand die Hintertür zu einem Restaurant öffnete. Das Klirren und Klappern der geschäftigen Menschen in der Küche war ebenso deutlich wie die kräftigen Gerüche: Brot, Käse, Saucen, Fleisch.
Mir lief das Wasser fast von der Zunge und mein Magen knurrte so laut, dass ich Sorge hatte, der Mann, der gerade Reste in eine Tonne leerte, könnte es hören.
Ich verharrte reglos. Notfalls konnte ich noch immer weglaufen, aber meist war es nicht nötig. Meist sahen die Leute nur, was sie sehen wollten, und waren viel zu beschäftigt mit sich selbst.
Der Mann schaute noch kurz zum Himmel hinauf, schlang die Arme um sich, als würde er frieren, und ging wieder hinein.
Perfekt, er hatte die Tonne offengelassen.
Vorsichtig schlich ich mich an, denn leider stand auch die Tür noch offen und es konnte jederzeit wieder jemand herauskommen.
Die Essensgerüche, ah, sie waren einfach zu verlockend.
Mit einem Satz sprang ich auf einen Karton und spähte von dort in die Tonne hinein. Was da alles weggeworfen wurde! Es war eine Schande.
Nun, gut für mich.
Ich machte mich lang und kratzte an dem Beutel, der zuoberst lag. Schon wieder Glück! Der Beutel öffnete sich und es kullerte ein halbes Brötchen heraus. Sofort schnappte ich es mir und ohne viel zu kauen, dafür hatte ich keine Zeit, schlang ich es herunter. Es folgten ein paar Käsenudeln, etwas Pizzakruste und, bäh, Salat. Nee, der dann lieber doch nicht. Oha, da war tatsächlich noch ein Stück Fleisch unter dem blöden Grünzeug.
Kaum biss ich darauf, musste ich fürchterlich niesen und husten. Pfeffersauce, wie gemein. Da war ich zu gierig gewesen.
Es schüttelte mich so, dass ich rückwärts vom Rand der Tonne kullerte, was einen Heidenlärm verursachte.
Mist! Das war's dann wohl mit dem Festmahl.
Ich flitzte schon los, bevor in der Tür jemand erschien, und das Brüllen, das der Mann ausstieß, sagte mir, dass es eine gute Entscheidung gewesen war.
Weit musste ich allerdings nicht rennen. Ratten und Hunde waren deutlich beharrlicher, als Menschen.
Leichtfüßig wich ich Autos und Fußgängern aus, bis ich im Park angelangt war. Hier verlangsamte ich meine Schritte wieder, schlenderte durch Gebüsch und an Parkbänken entlang. Ich mied die hellsten Stellen, doch der eine oder andere Snack ließ sich auch ganz gut an den abseitigeren Stellen finden.
Am Wasser eines kleinen Teichs wurde ich von einer verschlafenen Entenfamilie vertrieben, die mit ihrem Gequake beinahe die Schwäne geweckt hätten. Das waren Mistviecher vor denen ich mich in Acht nehmen musste.
Trotzdem war ich zufrieden. Ich hatte noch ein gekochtes Ei, nur wenig zermatscht, und ein Stück Brezel gefunden. Alles in allem eine erfolgreiche Jagd.
Im Gras säuberte ich beim Wälzen meine Schnauze, dann ließ ich der Nachbarschaft noch einen Gruß da.
Ich war zu Besuch gekommen und würde bald mal wieder vorbeischauen. Aber auf Dauer war mir das Stadtleben doch zu laut und stressig.
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