Ein markerschütterndes Krächzen schallte durch die leeren Straßen von Portland und Alex fuhr erschrocken herum. Egal, wie oft er dieses Gebrüll auch hörte, er gewöhnte sich einfach nicht daran und jedesmal jagte es ihm einen furchtbaren Schauer den Rücken herunter. Er blieb geduckt stehen und schaute sich um, doch alles blieb still. Inständig hoffte er, dass es nur ein einziger von diesen Missgeburten war und dass er noch weit genug weg war. Obwohl das Krächzen sich ziemlich nah angehört hatte. Er wartete noch einen Augenblick und lief dann weiter. Sein Ziel war eine Lagerhalle im Keller eines Hotels, in dem er und ein paar andere Leute vor einigen Tagen Vorräte gefunden hatten. Er kramte den Schlüssel für das Vorhängeschloss aus seinem Rucksack, als die Luke in Sichtweite war und öffnete das Gitter. Sie hatten es angebracht, damit diese Mistviecher nicht an die Lebensmittel kamen. Allerdings bezweifelte er, dass sie wirklich sowas wie Kidneybohnen aus der Dose essen würden. Dennoch schob er das Vorhängeschloss in seine Hosentasche, ebenso den Schlüssel, hob das Gitter an, hüpfte in die Luke und platzierte das Gitter vorsichtig über das Loch. Dann sprang er von der Kiste, die für den Ein- und Ausstieg dort platziert wurde und eilte durch die Regalreihen. Er hatte zwar Zeit, wollte aber nicht zu viel davon vertrödeln, wenn es nicht sein musste. Als er vor den Regalen stand, die noch Lebensmitteldosen beherbergten, zog er einen Zettel aus seinem Rucksack, schaltete die kleine Solarlampe am Quergurt an und las sich die Dinge darauf durch, die er besorgen sollte. Es war nicht viel, dennoch brauchte er eine gefühlte Ewigkeit die richtigen Dosen zu finden. Er packte die Lebensmittel in seinen Rucksack und grade, als er ihn sich über die Schulter warf, hörte er einen Schuss von draußen, der aber relativ leise war. Scheiße…, dachte er und spurtete zur Treppe, die in das Erdgeschoss führte. Als er in dem heruntergekommenen Raum ankam, schaltete er die Lampe aus und schlich an eines der verdreckten Fenster. Er erkannte nicht viel, doch wenn irgendjemand oder -etwas dort herumschlich, würde es reichen. Eine Weile wartete er und erneut ertönten Schüsse, diesmal dichter und kurz darauf waren Stimmen zu hören, die aufgeregt Befehle bellten. Alex nahm sein Scharfschützengewehr, suchte ein Fenster mit zerbrochener Scheibe und kniete sich an die Wand. Er hatte eigentlich absolut keine Lust länger hier zu bleiben, doch die Leute schienen in der Nähe zu sein und er hatte noch weniger Lust darauf, direkt in deren Hände zu laufen. Letzten Endes dauerte es nicht lang, bis einige Männer heran liefen, die Waffen im Anschlag hatten und sich ständig nach hinten umdrehten. Ein furchtbares Gebrüll ertönte aus der Richtung, aus der die Männer kamen und kurz darauf flog ein lebloser Körper auf die Straße und knallte gegen ein verrostetes Auto. Alex stand der Schweiß auf der Stirn, entsicherte sein Gewehr und suchte durch das Zielfernrohr die Gegend ab. Und dann sah er, was das Gebrüll verursacht hatte: Ein eher kleines Exemplar der „Keifer“, der vor einigen Jahren mal ein Mensch war. Jetzt glich es eher einer Figur aus einem grauenhaften Horrorfilm. Es sprintete auf allen Vieren den bewaffneten Männern hinterher, hatte Klauen so lang wie Alex' Unterarm und Muskeln, auf die Dwayne Johnson neidisch gewesen wäre. Die Haut war eine Mischung aus Leder und Schuppen – schwer zu definieren – und die Schopfhaare wucherten bis auf den Rücken. Wenn Alex es nicht besser wüsste, hätte er niemals geglaubt, dass das Vieh mal ein Mensch war. Doch darüber konnte er jetzt nicht nachdenken. Er hoffte, dass das ein Männchen war, die zwar unglaublich gute Ohren hatten, im Gegensatz zu den Weibchen aber verdammt schlecht riechen konnten. Solange Alex hinter der Wand blieb, würde der Keifer ihn nicht entdecken. Außer er würde schießen, aber momentan haderte er noch mit sich. Die Männer waren keine aus seiner Siedlung und er hatte auf schmerzliche Weise lernen müssen, dass man fremden Menschen heutzutage nicht helfen sollte. Dankbarkeit war inzwischen aus dem Wortschatz aller verschwunden und darum zögerte er so lang, bis der Jäger und seine Beute vorbei gerannt waren. Dennoch wartete er noch eine ganze Weile, atmete ein paar Mal tief durch, wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und sicherte sein Gewehr. Es wurde langsam Zeit, dass er zurück ging, bevor es dunkel werden würde. Ich hasse diese Dinger…, dachte er, als er die Treppe zum Keller herunter ging, durch die Luke kletterte und das Gitter mit dem Vorhängeschloss verriegelte.
„Alex, bist du unterwegs?“, meldete sich auf einmal jemand durch das Funkgerät, das er am Gürtel trug und er zuckte kurz zusammen.
„Ja, Vorräte holen.“, antwortete er und schaute sich um. Er war nicht scharf drauf, noch mehr von den Keifern über den Weg zu laufen. „Hatte 'ne Begegnung mit 'nem Keifer.“
„Geht's dir gut?“
„Ja, der lief am Hotel vorbei. Hatte schon andere Häppchen in Aussicht.“ Er zögerte einen Moment. „Ich bin in fünfzehn Minuten wieder da, wenn alles glatt läuft.“
„Ok, pass auf dich auf.“ Er steckte das Funkgerät zurück an seinen Gürtel, ohne darauf zu antworten und lief weiter die Straße entlang, blieb aber mittig. Diese Dinger hielten sich am liebsten in Gebäuden und engen Gassen auf und da er sein Gewehr bereits griffbereit hatte, war ihm offenes Gelände eh lieber. Zu seinem Glück kam ihm keiner der mutierten Menschen entgegen, als er bereits das Gebäude sah, in dem er und zwei dutzend andere Menschen wohnten. Dennoch wagte er nicht, sein Gewehr über die Schulter zu hängen. Eilig lief er durch die Gasse zwischen seinem Wohnkomplex und einem anderen Gebäude, kletterte auf einen Lkw und von dort aus auf das Dach eines Anbaus. Leichtfüßig sprang er durch das Fenster und eilte die Treppen hinauf. Erst in der vierten Etage sah er zwei Männer, die ihn schweigend begrüßten. Alex huschte an ihnen vorbei die nächsten Treppen hinauf, bis er in der elften Etage vor einer gepanzerten Tür stehen blieb. Er wollte grade an das Metall klopfen, als die Tür aufgemacht wurde.
„Du hast dir ganz schön Zeit gelassen.“, schnarrte ihn eine afroamerikanische Frau an.
„Das nächste Mal kannst du ja gehen.“, antwortete er trocken und schob sie an der Schulter zur Seite, damit er eintreten konnte. „Hat Grant dir nicht gesagt, dass ein Keifer in der Nähe war?“ Die Frau schaute ihn ernst an, als er sich zu ihr umdrehte.
„Doch, hat er. Aber sonst zögerst du auch nicht lang.“ Sie deutete auf sein Gewehr, das er um die Schulter trug.
„Der Keifer wollte sich grade paar Idioten von der Miliz schnappen und da misch ich mich ungern ein. Wenn ich den Keifer erledigt hätte, wären die Idioten auf mich aufmerksam geworden und wenn ich erst die ausgeschaltet hätte, hätte der Keifer mich entdeckt. Ich war weder scharf auf das eine, noch auf das andere.“ Die Frau seufzte.
„Also gut…“, gab sie dann nach und wedelte mit der Hand. „Hast du wenigstens alles bekommen?“ Schweigend öffnete er seinen Rucksack und drückte ihr die Lebensmittel in die Hand, die von ihr geprüft wurden.
„Lange wird der Vorrat nicht reichen. Du solltest langsam mit den anderen darüber reden, dass wir woan-“
„Alex, überlass das mir, ok?“, unterbrach sie ihn forsch. „Du stellst dir das so unglaublich leicht vor, aber das ist es nicht. Hier sind wir sicher und wir würden eine zu gute Zielscheibe abgeben, sowohl für die Mutierten als auch die Menschen, wenn wir auf offenem Gelände nach einer neuen Unterkunft suchen würden.“
„Ich stell mir das überhaupt nicht leicht vor…! Ich bin kein kleines Kind mehr, Leandra, und ich weiß nur zu gut, was da draußen vor sich geht! Aber wenn du sehen willst, wie wir alle hier verhungern, bitte! Ich tu mir das nicht an!“ Bebend vor Wut verließ er den Raum und eilte eine Treppe zu seinem Zimmer herunter. Er hasste es, dieses Gespräch immer wieder mit ihr führen zu müssen und es regte ihn noch mehr auf, dass sie nie auf ihn hörte. Grade sie müsste wissen, dass die Siedlung auf Dauer nicht hier bleiben konnte. Und wahrscheinlich auch an sonst keinem Ort in dieser gefährlich gewordenen Welt. Genervt ging er in die Räume, die er mit seiner Schwester bezogen hatte, packte mehr Munition in seinen Rucksack, ebenso etwas Essen, das er unter dem Bett gebunkert hatte und lud seine Beretta nach. Als er grade wieder auf den Hausflur gehen wollte, kam auf einmal seine Schwester um die Ecke geschossen.
„Scheiße Rachel, erschreck mich nicht so, wenn ich 'ne Waffe in der Hand hab…!“, schnarrte er sie an und steckte die Waffe zurück in das Holster. Sie entschuldigte sich lachend, doch dann wurde ihr Blick langsam ernster.
„Du willst noch mal los…?“, fragte sie dann und er zögerte einen Augenblick.
„Jah…“, machte er dann. „Ich will mich noch mal am Stadtrand umsehen.“
„Warte kurz, ich komm mit.“ Sie wollte grade ihre Waffe holen, als Alex sie am Arm packte und sie zurück zog.
„Du bleibst hier. Alleine bin ich schneller.“
„Soll das 'n Witz sein…? Ich kann locker mit dir mithalten und außerdem kannst du meine Hilfe sicher gebrauchen, wenn du allein nicht weiter kommst.“ Alex murrte und rieb sich die Stirn.
„Warum zur Hölle diskutieren wir jedesmal darüber…?“
„Weil du uneinsichtig bist. Du kannst ruhig zugeben, dass ich nützlich bin.“, konterte sie, doch er zog die Augenbrauen zusammen.
„Ich hab nie das Gegenteil behauptet. Ich will einfach nicht, dass dir da draußen was passiert. Hier drinnen bist du sicherer.“
„Mhm… Sagt der, der es hier drin so unsicher findet, dass er regelmäßig stundenlang nach draußen verschwindet, um 'ne neue Bleibe zu suchen? Du verstrickst dich in Widersprüche, Bruderherz.“ Sie knuffte ihm gegen die Brust, woraufhin er nur seufzte. „Ich komm mit, ob es dir passt oder nicht. Bevor SOWAS“ Sie bohrte ihm mit einem Finger an das linke Schlüsselbein. „passiert, ohne dass ich dabei bin.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie auf dem Absatz um und holte ihren Rucksack und ihre Waffen. Mit einem Kampfmesser und einer Schrotflinte kam sie kurze Zeit später wieder zu Alex, der auf der Treppe stand und wartete. Er wusste, dass sie ihm hinterher laufen würde, wenn er allein gegangen wäre und ihm war es lieber, wenn er ein Auge auf sie haben konnte, wenn sie draußen rum lief. „Warum willst du ausgerechnet heute noch mal los? Ist es nicht schon etwas zu spät?“, wollte sie dann wissen, als sie die Treppen runter gingen.
„Ja, eigentlich schon. Aber Leandra regt mich auf und ich brauch frische Luft.“ Rachel schaute ihn prüfend an.
„Du kommst zurzeit nicht wirklich mit ihr zurecht, oder?“, fragte sie und er schüttelte langsam den Kopf. „Ist es nur deswegen, weil sie nicht weg will?“
„Denk schon. Aber momentan scheint ihr alles nicht zu passen. Sie hat mich angepflaumt, weil ich länger weg war, als sie geplant hatte.“ Sie lachte spöttisch, sagte aber nichts dazu.
Als die beiden Geschwister draußen waren, gingen sie die Straße nach Norden entlang und hielten sich dann westlich, bis die Häuser niedriger wurden. Die Vegetation nahm zu und die Verwüstungen wurden weniger. Dennoch kamen sie nur langsam voran, denn das Gras war teilweise so hoch, dass Alex dort nicht durchgehen wollte. Also liefen sie außen herum, was wieder Zeit fraß. Wenn die Vegetation sie nicht am Weitergehen hinderte, übernahmen es diverse Schutthaufen oder gigantische Löcher in den Straßen, die vor Jahren vom Regen unterspült wurden und weg rutschten. Nach über einer Stunde erreichten sie die Gebäude am Stadtrand. Hier sah es noch schlimmer aus als in der Gegend, wo sie momentan wohnten. Obwohl die Häuser in der Regel nicht mehr als zwei Etagen hatten, waren alle Fenster eingeschlagen worden, Haustüren waren aufgebrochen und aus den Angeln gerissen, ganz zu schweigen von teilweise riesigen Löchern in den Fassaden.
„Was ist denn hier passiert…?“, fragte Rachel leise und schaute sich erschrocken um. Alex war einen solchen Anblick mittlerweile schon gewohnt und daher wunderte er sich nicht über den schlechten Zustand der Gebäude.
„So ist das halt, wenn keine Gesetze mehr gelten und der Zahn der Zeit an den Häusern nagt.“
„Hm…“, antwortete sie nur und schaute sich weiter um. Einige Meter gingen sie noch weiter, bis sie an einen Platz kamen. Drum herum standen einige Geschäfte, dessen Schaufenster noch in erschreckend gutem Zustand waren. Abgesehen davon, dass sie vor Dreck standen, aber immerhin waren sie heil.
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