„Habt ihr nicht gelernt euch zu bedanken, wenn man euch den Arsch rettet?“, fragte der Mann und lachte daraufhin kurz.
„Ich soll mich bei jemandem bedanken, der mir ein Schwert an die Kehle hält…?“
„Ein kleines Danke könnte entscheiden, ob du lebst oder stirbst.“
„Hättest du nicht schon längst zugestochen, wenn du uns töten wolltest…?“, konterte Alex.
„Pff…“, machte der Mann und grinste noch breiter. „Wo bliebe dann der Spaß? Wobei… es war schon unterhaltsam genug, wie du die anderen Keifer geplättet hast.“ Die drei Anwesenden schwiegen, bis der Fremde wieder das Wort ergriff. „Nein, ich lass euch noch paar Minuten länger leben. In der Zeit erzählt mal: Was zur Hölle habt ihr hier zu suchen…?“ Der Blick des Mannes wurde plötzlich noch unheimlicher, als dieser aufhörte zu grinsen. Alex hatte das Gefühl, als würden seine Augen nur darauf warten, bis das Blut aus seiner Halsschlagader spritzte.
„I-ich… ich hatte Hunger und… wir wollten nachsehen, ob sich hier was auftreiben lassen würde…“, meldete sich dann Rachel mit zitternder Stimme und der Mann schaute verdutzt zu ihr runter. Dann verengte er die Augen und hob den Kopf an, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
„Für diese dreiste Lüge sollte ich dir die Zunge raus reißen.“ Alex richtete bei dieser Drohung seine Beretta auf den Mann. „Oho, der Prinz versucht seine Prinzessin zu beschützen.“, spottete der blonde Mann und kratzte sich knapp über dem linken Ohr. „Was ist mit dir? Hast du 'ne glaubwürdigere Geschichte parat?“
„Es war so, wie sie sagte.“, antwortete Alex und die Wut verdrängte die Unbehaglichkeit, die dieser Typ in ihm auslöste.
„Ha… Ihr seid vielleicht 'n paar Komiker. Wollt ihr wissen, warum ich euch das nicht abkaufe…?“ Seine Stimme war beinah zu einem Flüstern geworden und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Vor einer Woche hab ich zwei Gestalten von hier abhauen sehen. Ein Mädchen und ein Typ. Etwa eure Statur. Dann seh ich, wie ihr hier einfach wieder einsteigt und als die Keifer kommen, rennt ihr ziemlich sicher hier hoch und verschanzt euch in einer strategisch guten Position. Sowas wäre nicht möglich gewesen, wenn ihr das erste Mal und dann noch mehr oder weniger zufällig hier gelandet wärt, weil Prinzesschen Hunger bekommen hatte. Hab ich recht?“ Die beiden Geschwister schwiegen nur und der Mann grinste wieder. „Ich hab recht… Es ist keine Schande, das zuzugeben. Also schön, für den Einbruch sollte ich euch beide eigentlich sofort aufschlitzen wie ein Schwein beim Schlachter, denn dieses Zeug da unten gehört MIR und nicht EUCH, verstanden?!“ So ein geisteskranker Spinner…, dachte Alex und überlegte, ob er nicht einfach abdrücken sollte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Typ in derselben Lage steckte wie er selbst, sich aber komplett anders benahm. Alex war eingeschüchtert, weil er eine Klinge nur weniger Millimeter von seinem Hals entfernt hatte, doch der Typ benahm sich so, als würde er sich gar nicht am falschen Ende einer Waffe befinden. Er brauchte nur den Finger zu krümmen und der andere wäre Geschichte, aber entweder war der Typ dumm oder er nahm ihn einfach nicht ernst. Plötzlich lachte der Typ leise. „Na los, nennt mir einen Grund, warum ich euch am Leben lassen sollte.“ Alex überlegte, doch ihm fiel beim besten Willen kein Grund ein. Seit der Großteil der Menschheit sich in diese Dinger verwandelte, hatte er unzählige Male überlegt, ob es überhaupt noch einen Grund zum Leben gab.
„Ich hab keinen.“, antwortete er schließlich und der Typ sah auf einmal etwas verdutzt aus.
„Was ist mit dir?“, fragte er dann Rachel, die zuerst die Schultern hoch zog und dann den Kopf schüttelte. Plötzlich steckte der Mann sein Schwert in die Scheide, die er auf dem Rücken trug.
„Was zum…“, dachte Alex dann laut und Rachel griff nach seinem Arm, damit er ebenfalls die Waffe senkte. Sie war noch nie ein Freund davon gewesen, wenn die letzten Menschen sich auch noch gegenseitig abschlachteten.
„Ihr seid die ersten Menschen seit…“ Der Mann überlegte kurz. „Ach weiß der Teufel… seit ich lebe, die so darauf antworten. Ihr scheint ziemlich verbittert zu sein.“ Er lachte plötzlich wieder und schlug Alex dann ins Gesicht, woraufhin Rachel einen spitzen Schrei ausstieß. „Pscht, Kleine, oder willst du noch mehr Keifer anlocken?“ Er zerrte Alex am Kragen hoch, der durch den überraschenden Schlag auf dem Boden landete und sich die Nase hielt, aus der es unaufhörlich blutete. Der verdammte Wixer hat mir die Nase gebrochen! „Haste nicht kommen sehen, wa'?“, spottete der Fremde und lachte wieder. „Ich lass euch am leben, aber das heißt nicht, dass ich euch einfach davon kommen lasse. Also los, Prinzesschen, im Gänsemarsch voran die Treppe runter und du direkt hinterher, Strubbelbirne.“ Er schuppste Rachel sachte am Rücken vorwärts, als sie zu lang zögerte und als Alex grade wieder seine Waffe auf den Fremden richten wollte, entwaffnete er diesen mit blitzschnellen Bewegungen. Verdutzt schaute er nun in den Lauf seiner eigenen Beretta. „Los los, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.“ Zögernd setzte sich Alex in Bewegung, hielt Rachel aber am Arm fest, sodass sie neben ihm ging. Er wollte nicht, dass sie voraus ging und als Keiferschild diente.
Der Mann dirigierte die beiden Geschwister eine Weile durch die Gegend, bis sie vor einem Stadion standen. Alex und Rachel wurden durch einen recht kleinen Eingang in das Innere geführt und fanden sich in einem ewig langen Korridor wieder. Die Lampen brannten und die Geschwister staunten, als ihnen bald gewöhnliche Menschen entgegen kamen. Zumindest äußerlich schienen sie gewöhnlich zu sein. Er musste daran denken, was der Typ vorher gesagt hatte und überlegte, ob diese Siedlung seine war. Denn die Nahrungsmittel, die in dem Einkaufscenter waren, waren bestimmt nicht nur für ihn allein, wenn er hier lebte. Oder er hatte sie gefunden und war einfach nur zu geizig zum Teilen. Dennoch fragte er sich, wie fünfzehn Jahre niemand bemerkt hatte, dass dort solche Unmengen an Verpflegung drin waren.
„Ich hab 'ne Frage.“, meldete sich Alex dann, als er sich nicht mehr mit Spekulationen zufrieden geben wollte.
„Oh, komischer Zufall, ich auch. Ich stell' meine zuerst: Wer zur Hölle hat dir erlaubt zu quatschen?“, konterte der Typ und legte seinen Kopf leicht schief. Der ist doch total bescheuert in der Birne…
„Du hast nie gesagt, dass wir nicht reden dürfen.“
„Hab ich wohl vergessen.“, antwortete er dann und Alex verzog das Gesicht. Was zum Teufel ist los mit diesem Idioten…? Wie konnte so einer so lang überleben? „Hey, Zwergin, pass auf, dass du dir bei den Stufen nicht die Beine brichst. Die sind ziemlich…“, begann er dann und deutete auf die Stufen vor ihnen, die eine Etage tiefer führten. Rachel, die grade einen Fuß drauf gesetzt hatte, rutschte weg und konnte sich grade so am Geländer fest halten. „abgenutzt.“, beendete er dann den Satz. Eher schleichend als gehend quälten die Geschwister sich die Stufen herunter. „Abgenutzt“ war da wirklich noch eine äußerst positive Bezeichnung. Teilweise fehlten ganze Stufen oder es waren so große Ecken abgebrochen, dass die Treppe eher einer Rampe glich. Die beiden waren unglaublich erleichtert, als sie endlich unten ankamen, doch die Stimmung wurde sofort getrübt. Sie standen an einem Ende eines Ganges, von dem links und rechts Gitterstäbe statt Wände entlang führten. Alex begann sich zu fragen, warum ein Stadion einen Knast beherbergte. „Bleib mal hier stehen, Zwergin.“ Der Mann wollte sich grade von ihr abwenden, als er sich doch noch mal ihr zuwandte. „Aber bevor du hier bleibst…“ Er nahm ihr die Schrotflinte und das Kampfmesser ab, grinste dann breit und wollte mit Alex weiter gehen, doch der blieb wie angewurzelt stehen.
„Ohne meine Schwester geh ich nirgends hin.“
„Deine Schwester?!“, fragte der Typ erschrocken, lachte dann aber. „Oh scheiße, ich dachte du bist einer von diesen perversen Drecksäcken, die auf Kinder stehen. Tja, so kann man sich täuschen.“
„Sie ist kein Kind mehr…“
„Nicht?“ Mit schiefem Kopf schaute er sich Rachel an, zog aber nur die Schultern hoch und gab ein „hm“ von sich. Dann wollte er Alex wieder voran treiben, der sich aber nach wie vor nicht rührte.
„Ich sagte, ohne m-“
„Ja, ja… ich weiß. Ohne deine Schwester gehst du nirgends hin. Ab und zu benutz ich schon mal meine Ohren. Aber ich verrate dir mal was: Von uns dreien bin ich der einzige hier, der Entscheidungen fällen darf. Und ich entscheide, dass sie hier bleibt und du weiter gehst.“ Er bohrte die Mündung der Beretta gegen Alex' Unterkiefer. Alex schnappte sich die Hand, drückte auf die Sehnen, sodass sein Griff etwas locker ließ und nahm sich seine Waffe wieder. Dann schoss er dem Typen in die Schulter.
„Rachel, lauf!“, rief Alex ihr zu, die sofort auf ihn hörte und die Treppen wieder hinauf lief. Alex wollte ihr grad folgen, als der Verrückte ihm gegen den Rücken sprang, ihn so zu Boden warf und ihm eins mit dem Schwertgriff überzog.
„Hast du geglaubt, so 'ne lächerliche Schusswunde macht mir was aus…?“, fragte der Typ und setzte sich auf Alex' Rücken. Die Schwertspitze setzte er an Alex' Nacken an, nahm seine restlichen Waffen und warf sie außerhalb seiner Reichweite. Alex war froh, dass Rachel nicht gesehen hatte, wie er zu Boden geworfen wurde, sonst wäre sie nicht weiter gelaufen. „An deiner Stelle würde ich liegen bleiben.“
„Willst du meiner Schwester nicht hinterher…? Sie konnte entkommen.“
„Ich bin nicht blöd, du Dödel. Du bist der Gefährliche von euch beiden und sie ist… 'n Anhang. Wenn ich dich hier festhalte ist das vollkommen ausreichend. Sie wird nichts ohne dich tun und wenn sie erstmal merkt, dass du ihr nicht folgst, wird sie entweder freiwillig zurück kommen oder von einem Mutierten zum Mittag verputzt werden.“ Alex schwieg nur. Er musste eingestehen, dass der Typ, der auf seinem Rücken saß, nicht ganz so dumm war, wie er aussah. Dennoch hoffte er, dass Rachel weder zurück kommen, noch gefressen werden würde. Mit ihren achtzehn Jahren sollte sie langsam begreifen, was in brenzligen Situationen zu tun war. Er hatte ihr oft genug versucht beizubringen, wann sie zurück kommen sollte und wann nicht. Wenn Menschen in so einem Lager Gefangene machten, endete das in der Regel selten tödlich. Allerdings war er sich bei diesem Freak nicht so sicher. Wie schnell er mich entwaffnet hatte..., erinnerte er sich und wurde plötzlich in seinen Gedanken unterbrochen, als die Klinge in seinem Nacken piekte. „Oh sorry, mir ist der Arm etwas lahm geworden. Ist gar nicht so einfach 'n Schwert so zu halten, sag ich dir…“ Er lachte kurz, schwieg aber. Dann holte er kurz Luft und stand auf. „Hey, großer Bruder von Rachel, was hältst du von 'nem Deal?“
„Ein Deal mit dir? Davon halt ich nicht viel.“ Der Typ lachte, während Alex sich langsam erhob.
„Schön, wie du willst. Wäre 'ne einmalige Chance gewesen.“ Der Typ lächelte mit geschlossenen Augen und zog die unverletzte Schulter hoch. „Also, wenn ich bitten darf, Strubbelbirne… Deine Zelle wartet.“ Er scheuchte Alex voran und fuchtelte hinter ihm mit seinem Schwert umher. Sobald Alex dann in einer Zelle war, knallte der Verrückte die Gittertür zu und ging pfeifend davon. Alex schaute sich kurz in der Zelle um, doch viel war nicht zu sehen. Ein klappriges und ungemütlich aussehendes Bett, eine Toilette mit Waschbecken und ein Fenster, das so klein war, dass selbst eine Ratte stecken bleiben würde. Eine Lampe gab es nur auf dem Gang, weshalb es in der Zelle selber eher schummrig war. Frustriert und genervt setzte er sich auf die Pritsche, die furchtbar knarrte. Scheiße…, dachte er nur. Er fragte sich, was er hier sollte. Die Gesetze, die Einbrüche verbieten, gab es schon über ein Jahrzehnt nicht mehr und gestohlen hatte er auch nichts. Zumindest nicht in diesem überladenen Einkaufscenter. Falls der Typ wieder kommen sollte, würde er ihn fragen, aber eigentlich war es ihm lieber, wenn er so weit wie möglich weg blieb. Wenn Alex Glück hatte, würde irgendeine andere Person vorbei kommen, die er fragen könnte.
Die Zeit in der Zelle verging unheimlich langsam und Alex wusste nicht, wie lang er dort schon eingeschlossen war. Ihm kam es vor wie Tage, doch durch das winzige Fenster schien noch immer Sonnenlicht. Erst, als die Dämmerung einbrach und es noch dunkler in diesem Loch wurde, fragte er sich, wie sich die anderen Bewohner seiner Siedlung entschieden hatten und er hoffte, dass Rachel heil dort angekommen ist. Offenbar hatte sie doch etwas davon behalten, was er ihr beibringen wollte und ist nicht hierher zurück gekommen. Zumindest hatte es keinen Tumult in der Nähe gegeben und es wurde auch niemand in die Zellen gesteckt. Dennoch machte er sich unglaubliche Sorgen um seine kleine Schwester.
Erst spät in der Nacht, als Alex bereits auf der ungemütlichen Pritsche eingeschlafen war, klopfte jemand mit einem metallischen Gegenstand gegen die Gitter und riss ihn aus dem Schlaf.
„Aufstehen, du Schlafmütze. Hab dir was zu futtern gebracht.“ Als Alex sich aufrichtete, sah er diesen Verrückten auf der anderen Seite der Gitter stehen. Er bückte sich und schob ein Tablett mit Essen durch einen Spalt zwischen Fußboden und Metall. Alex nahm es ihm ab, konnte sich aber ein „Danke“ verkneifen.
„Wie spät ist es?“, wollte er stattdessen wissen und der andere lachte kurz.
„Tse… du bist wiiirklich unhöflich. Das nächste Mal rette ich keinen Apfel für dich, wenn du nicht langsam lernst, dich zu bedanken.“ Er schaute auf die Uhr, die neben der Treppe an der Wand hing. „Es ist kurz nach drei Uhr morgens.“
„Ist meine Schwester zurück gekommen?“, fragte er dann, doch der Mann schüttelte grinsend den Kopf. Alex hätte ihn am liebsten direkt ins Gesicht geschlagen. „Warum bin i-“, wollte er weiter fragen, doch der Blonde fiel ihm ins Wort.
„Du bist ganz schön neugierig. Und unhöflich. Deine Eltern hätten sich mehr Zeit für deine Erziehung nehmen sollen, statt deine Schwester zu zeugen.“, spottete er.
„Wer braucht schon Erziehung in dieser verdammten Welt.“, antwortete Alex und biss in den Apfel. Diese Köstlichkeiten waren innerhalb der Stadt unglaublich rar, daher war er froh, dass er hier einen bekam. Er aß ihn selbst mit Kerngehäuse, stopfte die Kerne dann in seine Hosentasche und warf den Stiel auf den Boden. Daraufhin schaute Alex zu dem Fremden rüber.
„Was guckst du so bescheuert?“, wollte der Verrückte dann wissen und verzog das Gesicht.
„Warum bist du noch hier?“
„Man soll seinen Haustieren bei der Fütterung ruhig mal Gesellschaft leisten, hab ich gehört. Abgesehen davon… du hattest noch 'ne Frage.“ Alex schaute ihn verdutzt an. Erst unterbrach er ihn und dann wollte er es doch wissen?
„Warum bin ich hier?“, fragte er dennoch und sein Gegenüber verzog den Mund zu einem breiten Grinsen.
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