„Weil das früher die Verwahrungszellen für Randalierer und stark Besoffene waren. Wo hätten wir dich sonst hinbringen sollen?“ Super…, dachte er, konnte sich aber die Antwort verkneifen. „Wir stellen uns sehr pingelig an, wenn jemand in unsere Vorratslager einbricht.“, fügte er dann noch hinzu und Alex zog die Brauen zusammen, während er das Glas Wasser in einem Zug leerte. „Wir sind 'ne Menge Köpfe und da ist jeder Krümel wertvoll. Aber wem sag ich das… Du und deine Schwester lebt sicher nicht allein.“
„Woher willst du das wissen…?“
„Deine Kleidung. Menschen, die allein sind, haben selten einen festen Standpunkt und können auch nicht ewig Klamotten mit sich rum schleppen. Deine sehen aber ganz passabel aus, also scheinst du irgendwo noch mehr zu haben.“ Alex stutzte. Er hatte diesen Typen wirklich ganz falsch eingeschätzt. Verrückt, aber offenbar ein schnell schaltender Verrückter.
„Äh…“, machte Alex dann, als er versuchte den Faden wieder aufzunehmen. „Aber warum bin ich hier? Seid ihr am Grübeln, welche Strafe ihr mir aufhalst?“
„Exakt.“, antwortete der Augenbrauenlose breit grinsend. „Aber das wird wohl noch 'n paar Tage dauern, alsooo…“ Er schaute an Alex vorbei zu der Pritsche. „mach es dir doch 'n bisschen gemütlich…“ Lachend wandte er sich ab und Alex war drauf und dran ihn zurück zu ziehen, um seinen Kopf gegen die Gitterstäbe zu donnern.
„Danke übrigens für das Essen.“, brachte er dann zähneknirschend heraus.
„Keine Ursache!“, rief der Typ dann beinah trällernd und war verschwunden. Alex legte sich zurück auf das klapprige Bett und schlief erst zur Dämmerung wieder ein. Ihm ging ständig durch den Kopf, wie eine Strafe in so einer Siedlung wohl aussah. Zudem passte es ihm überhaupt nicht, dass Rachel dort draußen allein war, aber inzwischen sollte sie bereits wieder bei den anderen sein, wenn der Typ die Wahrheit sagte und sie nicht hier war. Dennoch fragte er sich, ob er den Worten des Blonden trauen konnte. Einen vertrauenswürdigen Eindruck machte er nicht grade, im Gegenteil. Die Rolle eines Psychopathen würde ihm eher stehen als die des fürsorglichen Gastgebers. Aber er konnte wohl nur abwarten, bis er erfuhr, wie seine Strafe aussehen sollte.
Die nächsten Tage kam der Typ, der ihn dort eingesperrt hatte, nur vorbei, wenn er Essen und Trinken dabei hatte. Sie sprachen kaum miteinander und wenn doch, waren es nur Sticheleien. Alex hatte zunehmend die Schnauze voll von diesem Loch und suchte nach einer Möglichkeit hier auszubrechen. Als erstes prüfte er die Gitterstäbe auf Schwachstellen, aber er fand keine. Das Abflussrohr der Toilette und des Waschbeckens waren zu schmal und sowohl Boden als auch Wände bestanden aus Beton. Das Fenster hatte sich leider auch nicht auf wundersame Weise vergrößert, weshalb er dort gar nicht nachsehen brauchte. Er hatte sogar versucht mit einem Löffel den Beton zu beschädigen und sich heraus zu graben, allerdings gab der Löffel schneller auf, als er erwartet hatte.
„Scheiße…“, murrte er und warf das verbogene Stück Metall gegen die Wand. Mit dem Tablett klappte es genauso wenig. Wenn er sich wirklich heraus graben wollte, brauchte er stabileres Metall. Er prüfte die Pritsche, ob er dort irgendwas gebrauchen könnte, doch die Metallkonstruktion wirkte nicht haltbarer als der Löffel.
„Was zum Teufel machst du da?“, fragte auf einmal eine männliche, inzwischen vertraute Stimme und Alex fuhr erschrocken herum, als er grade an der Pritsche nestelte. Sein Herz raste wie verrückt und er brauchte einige Sekunden, um auf die Frage zu reagieren. Verdammte scheiße, wie kann der sich so anschleichen??
„Ich… äh…“, begann er, wusste aber nicht, was er sagen sollte. Er konnte ja schlecht sagen, dass er ausbrechen wollte.
„Versuchst du etwa auszubrechen?“, erriet der Typ dann amüsiert und lachte kurz. „Bemüh' dich nicht. Morgen früh kommst du eh aus der Zelle raus.“
„Was…?“ Alex war zuerst verwirrt, doch dann begann er zu verstehen. Die Siedlung hatte sich wohl entschieden, was sie mit Alex vorhatten und wenn er aus der Zelle kommen würde, hieße die Strafe sicherlich nicht „lebenslang in der Verwahrungszelle versauern“.
„Lasst ihr mich laufen?“, fragte er hoffnungsvoll, doch der Typ schüttelte lächelnd den Kopf.
„Du wirst hingerichtet.“ Alex' Magen fiel gefühlte Kilometer und ihm wurde plötzlich schlecht.
„Wie könnt ihr so 'nen Scheiß beschließen, wenn ich nicht mal 'ne Aussage machen durfte, verdammte Scheiße?!“, brüllte er den Blonden auf der anderen Seite der Gitterstäbe an, der ein Auge zusammen kniff und seinen Zeigefinger in ein Ohr bohrte. „Was seid ihr für 'ne verkackte Siedlung?! Ich will sofort mit jemanden sprechen, der diesen Dreck beschlossen hat!!“ Der Verrückte griff durch die Stäbe, packte Alex' Pulli und zog ihn so ruckartig zu sich heran, dass er mit dem Kopf gegen das Metall knallte. Stöhnend fiel er auf den Boden und hielt sich beide Hände an die Stirn.
„Hör auf hier so rum zu brüllen. Es war die Entscheidung aller. Jemanden wie dich am Leben lassen wäre zu gefährlich für unsere Vorräte, die außerhalb dieser Mauern gelagert werden. Du könntest wieder in Versuchung geraten und das will niemand hier riskieren.“ Alex schaute zwischen seinen Händen hindurch zu ihm hoch, schwieg aber. „Das verstehst du sicherlich.“ Natürlich verstand er es, aber seine Siedlung würde so weit nie gehen. Vor allem nicht, wenn der Gefangene nicht mal die Chance hatte, sich zu erklären. „Erinnerst du dich daran, dass ich dir einen Deal vorschlagen wollte?“ Alex überlegte kurz und bestätigte dann. „Der Deal lautet, dass ich dich hier raus hole.“ Er wartete auf mehr, doch der Blonde lächelte nur.
„Und weiter? Wo ist der Haken?“, fragte er dann und stand auf. Er fasste sich noch einmal an die Stirn und zuckte zusammen. Das wird 'ne dicke Beule geben…
„Ich will nach San Francisco.“
„Dann… geh halt.“, konterte Alex verwirrt, sein Gegenüber zog allerdings amüsiert einen Mundwinkel nach oben.
„Hast du 'ne Ahnung, was in San Francisco ist?“
„Du meinst… abgesehen von verrückten Menschen, verrückten Mutierten und 'ner Natur, die die Stadt überzieht?“ Der Blonde nickte. „Kein Plan, Mann.“
„Medizinische Vorräte, Waffen, Munition, Essen und Trinken in Hülle und Fülle. Die gesamte Stadt ist praktisch unberührt, seit das Virus ausbrach. Zumindest von Menschen unberührt.“ Langsam dämmerte es ihm. Offenbar wollte dieser durchgeknallte Typ mit ihm zusammen dort hin. „Wenn ich dich hier raus holen soll, kommst du mit nach San Francisco und wir schnappen uns sämtliche Vorräte.“
„Warte, warte…“, sagte Alex und schüttelte abwehrend die Hände. „Du willst, dass ausgerechnet ICH mit dir dort hin gehe? Warum fragst du nicht einen von deinen Leuten?“
„Die schaffen nicht mal, sich nicht selbst auf die Schuhe zu pissen. Wir haben hier dicke Mauern und noch dickere Türen aus Stahl. Da kommt kein Mutierter durch, also brauchen wir auch keine Waffen auf sie zu feuern. Dementsprechend würden die einen Freak nicht mal treffen, wenn er direkt vor deren Nasen stünde.“
„Aha und warum trägst du dann 'ne Pistole…?“
„Aus dem selben Grund, warum du eine trägst. Uuuund um ein paar Wixer von den Mauern abzuknallen, wenn mir langweilig ist.“ Der Blonde grinste breit und seine grauen Augen funkelten bösartig. Der Gedanke daran, mit ihm einen acht-Tages-Marsch Richtung Süden zu unternehmen, fühlte sich mehr als nur beschissen an. Schließlich schüttelte Alex kurz den Kopf und überlegte.
„Wenn dort kein Schwein ist, warum sind die Vorräte dann noch alle dort? Du bist sicher nicht der Erste, der nach fünfzehn Jahren auf die Idee kommt, sich dort zu bedienen.“ Sein Gegenüber lachte verlegen und kratzte sich den Kopf.
„Jah… Was das angeht… Mutierte wuseln da rum und wenn ich dem glauben darf, was wandernde Leute berichteten, sollen das nicht nur ein paar sein wie hier. Ich vermute, dass dort ausnahmslos alle Menschen mutierten.“
„Vergiss es.“, sagte Alex dann prompt. Er hatte absolut keine Lust darauf, sein Leben zu riskieren. Die Mutierten in Portland und Umgebung waren schon schlimm genug, obwohl sie hier alles andere als zahlreich waren. Er mochte sich gar nicht vorstellen, was sich dann alles in San Francisco tummelte.
„Gut, wie du willst.“, sagte der andere dann und wandte sich ab. „Deine Schwester wird sicherlich nicht begeistert sein, wenn sie morgen deine Überreste von der Straße kratzen kann.“ Alex grummelte innerlich, massierte sich mit geschlossenen Augen die Schläfen und überlegte, was er tun sollte. Wenn er morgen hingerichtet werden sollte, wäre Rachel allein und er hätte das Versprechen gebrochen, das er seiner Mutter gab, bevor sie starb. Andererseits war eine Reise nach San Francisco genauso gefährlich und die Chance, dass er dort lebend wieder raus kommen würde, war ziemlich gering. Abgesehen von dem Punkt, dass man ununterbrochen zu Fuß mehr als acht Tage lang unterwegs war. Mit Pausen wären sie mehr als zwei Wochen unterwegs. In dieser Zeit wäre Rachel dann auch allein und er könnte nicht auf sie aufpassen… Andererseits konnte er sich vielleicht rechtzeitig aus dem Staub machen, bevor sie in San Francisco waren und zu seiner Schwester zurück kehren. Der Typ hier war zwar ein totaler Freak und offenbar auch kämpferisch überlegen, aber selbst der muss irgendwann mal schlafen.
Die halbe Nacht hindurch versuchte er dennoch, aus dieser Zelle auszubrechen, was ihm aber nicht gelang. Nachdem er sich schlafen gelegt hatte, wurde er wieder geweckt und er fühlte sich schrecklich gerädert. Er hatte das Gefühl, als hätte er nur eine Stunde lang geschlafen.
„Einen wunderschönen guten Exekutions-Morgen!“, begrüßte der Blonde ihn hocherfreut und schloss die Zellentür auf. Vier weitere Männer waren bei ihm, die ein Gesicht zogen, als wollten sie nicht in Alex' Nähe sein. Oder vielleicht wollten sie auch nicht in der Nähe dieses Spinners bleiben…
„Bleib mir bloß von der Pelle…“, schnarrte Alex ihn an, als ihm Handschellen angelegt werden sollten.
„Stell dich nicht so an. ’N paar hübsche Armbänder haben noch niemandem geschadet.“
„Ich verpass dir gleich mal ein paar hübsche Armbänder…“ Der Blonde lachte nur. Zwei der anderen Männer kamen ebenfalls in die Zelle und hielten Alex fest, der versuchte sich von diesen Gorillas zu befreien. Das Narbengesicht legte ihm dann Handschellen an und ging als erstes aus der Zelle. Alex' Herz schlug ihm bis zum Hals. Er dachte daran, die anderen mittels Tritt in die Weichteile aus dem Verkehr zu ziehen, aber da war immer noch dieser Spinner, gegen den er keine Chance haben würde. Vor allem nicht mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Und überhaupt musste er vier Gorillas in Menschenkostümen bewegungsunfähig machen. Zwei würde er packen, aber vier…?
„Übrigens, hast du dir die Sache von gestern noch mal überlegt?“, fragte der Mann ohne Augenbrauen, als er einige Treppen hinaufstieg, die nur wenig besser aussahen als die, die in die Verwahrungszellen führten. Als Alex nicht antwortete, wandte er sich zu ihm um und schaute ihn fragend an. „Noch hast du die Möglichkeit.“ Alex' Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, dass er gleich hingerichtet werden sollte. Der Schweiß brach ihm aus und es wurde noch schlimmer, als sie plötzlich ins Freie traten. Sie waren auf dem Dach des Stadions und eine enorme Menschenmasse stand einige Meter weiter. Es mussten über fünfhundert Leute gewesen sein. Kein Wunder, dass sie so penibel reagierten, wenn es so viele Mäuler zu stopfen galt. Die Gorillas führten Alex durch die Hälfte der Menge, die entweder bedrückt oder wütend drein schauten. Einige warfen ihm auch Schimpfwörter an den Kopf, wenn er vorbei ging. Schließlich blieb der Mann ohne Augenbrauen am Rand des Daches stehen und drehte sich zu Alex um, der schweißgebadet den Blick erwiderte. „Letzte Chance…“, trällerte er und wartete einige Sekunden auf eine Antwort, doch Alex' Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte nicht mal etwas sagen, wenn er es gewollt hätte. Der Blonde seufzte plötzlich und kratzte sich am Kopf. Dann wandte er sich schweigend ab und blieb bei den zwei anderen Gorillas stehen. Ein Mann, der etwa Mitte fünfzig sein musste, gesellte sich neben Alex und räusperte sich.
„Wie heißt du, mein Junge?“, fragte er und Alex' Augenbraue zuckte. „Mein Junge“…?
„Deine Mutter…“, krächzte er dann regelrecht heraus. Die Menge tuschelte empört, aber er hörte ein Lachen, das er inzwischen recht gut kannte.
„Tyler, wie ist sein Name?“, fragte der Mann dann jemanden aus der Menge.
„Pff… Keine Ahnung.“, antwortete der Spinner hinter Alex. „Nenn ihn einfach Strubbelbirne. Darauf hört er inzwischen ganz gut.“ Der Alte verzog das Gesicht. „Kack auf den Namen und quatsch einfach deinen Kram runter…! Ich hab heut noch mehr zu tun, als darauf zu warten ihn endlich vom Dach zu kicken!“ Na super… Von allen Anwesenden muss ausgerechnet dieser Idiot derjenige sein, der mich vom Dach wirft… Alex schaute auf die Straße und ihm wurde schlecht. Von dieser Höhe war die Chance, dass er das überlebte, gleich Null. Sein Kopf würde auf dem Asphalt wie eine reife Melone zerplatzen. Fuck, Fuck, Fuck…, fluchte er ununterbrochen in Gedanken. Ihm musste schnell irgendwas einfallen.
„Also gut…“, seufzte der Mann neben ihm plötzlich und Alex schaute erschrocken zu ihm auf. „Werte Gemeinschaft, wir haben uns heute hier versammelt, um die Gerechtigkeit in unserer neuen Welt ein weiteres Mal zu verteidigen!“, sprach er dann mit lauter Stimme zu der Masse vor sich. „Dieser junge Mann hat es gewagt, sich an unseren Vorräten zu vergehen und wird mit seinem Leben dafür bezahlen müssen! Einstimmig wurde entschieden, dass er zum Tode durch den Sprung vom Dach unserer Heimat verurteilt wird! Möge der Herr mit deiner Seele gnädig sein. Tyler…? Mach es bitte kurz.“ Der Mann ging einige Meter zur Seite und Alex hörte Schritte hinter sich. Entscheide dich endlich!, mahnte er sich selbst und nachdem er erneut auf die Straße starrte, drehte er sich zu diesem Spinner, Tyler, um.
„Warte…!“, rief Alex ihm zu und Tyler, der grade sein Bein für einen Tritt gehoben hatte, hielt inne. „I-ich hab's mir überlegt…!“ Der Blonde stutzte kurz, grinste dann aber.
„Zu spät, Strubbelbirne.“, sagte er dann und Alex wurde schlecht, als er die Antwort hörte. Kurz darauf spürte er Tylers Fuß an seinem Rücken und er spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor.
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