Alex' Herz schlug ihm bis zum Hals, als er vom Dach des Stadions fiel. Er kniff die Augen zusammen und wollte gar nicht sehen, wie der Boden immer näher kam. Schließlich landete er auf etwas und erschrak. Er hatte immer gedacht, dass sich Beton und Asphalt härter anfühlten, doch dies hier war erschreckend weich, auch wenn es genauso aussah. Er wollte grade verwirrt aufstehen, als er angezischt wurde.
„Bleib liegen…!“ Alex erschrak sich wieder, als er das Wispern hörte und tat, was die Person verlangte. Plötzlich schoss neben seinem Gesicht ein undefinierbarer spitzer Gegenstand aus dem Boden und aus einer kleinen Öffnung kam eine rote Flüssigkeit, die stark nach Blut aussah. Und auch so roch… „Spiel tot.“, flüsterte wieder die Stimme und Alex, dessen Herz sich einfach nicht beruhigen wollte, starrte ins Leere. Er hatte absolut keine Ahnung, wie man „tot spielte“. Geschweige denn, wie ein Mensch lag und guckte, nachdem er frisch auf einen harten Boden aufknallte.
„Hey, bist du tot?!“, brüllte dieser Idiot, der ihn runter gestoßen hatte, von oben und Alex hätte beinah geantwortet, versuchte aber so leblos wie möglich auszusehen. Eine halbe Ewigkeit lag er dort, bis auf einmal jemand neben ihm stehen blieb. Ihm kamen die Stiefel bekannt vor und plötzlich hockte derjenige sich runter und als Alex Tyler erkannte, musste er sich zusammen reißen, ihm nicht sofort an die Gurgel zu springen. „Erstaunlich, wie tot du aussehen kannst. Aber du musst noch ein paar Minuten länger durchhalten.“ Tyler stand auf. „Hey, Hermano, hilf mir mal hier!“, rief er dann jemandem zu und plötzlich wurde Alex von vier Händen hoch gezerrt. Zwei gehörten sicherlich Tyler. Alex wollte grade protestieren, doch Tyler schlug ihm gegen den Kopf. „Ein Wort und ich mach dich einen Kopf kürzer. Du wurdest grade vom Dach geworfen, also benimm dich auch so. Hermano, wenn wir ihn rein gebracht haben, schmier' was von dem Blut auf das Asphalt-Stück. Nicht, dass du das vergisst und die anderen sich wundern, wo auf einmal das Blut hin ist.“
„Geht klar.“, antwortete der andere, der ihn trug. Alex verstand langsam, was passiert war, dennoch verstand er nicht, warum die beiden Männer das getan hatten. Er hoffte, dass Tyler ihm das erklären würde, sobald er sich nicht mehr totstellen musste. Schließlich wurde er in einen Raum gebracht und lieblos fallen gelassen. Der andere Mann nahm ihm die Handschellen ab und Tyler knallte die Tür zu.
„Du kannst von den Toten auferstehen.“, sagte der Blonde dann trocken und reichte ihm eine Flasche Wasser. Zaghaft nahm Alex diese an. Sein Herz schlug noch immer wie verrückt und er hatte Mühe sich zu beruhigen. Dann stellte er die Flasche auf den Boden, stand auf, griff nach Tylers Pulli und drückte ihn gegen die nächste Wand. Er war stinkwütend, dass dieser Spinner ihn nicht eingeweiht hatte. Tyler jedoch lächelte nur, als Alex Luft holte.
„Bist du total bescheuert oder was?!“, brüllte er ihn an. „Hättest du mich nicht vorwarnen können?! Ich hätte beinah einen beschissenen Herzinfarkt bekommen, verdammte Scheiße!!“ Der andere schnappte sich Alex' Arme und zog ihn von Tyler weg.
„Was glaubst du, wie du auf dem Dach ausgesehen hättest, wenn du davon gewusst hättest? Gelassen? Oder eher zu Tode verängstigt?“ Alex stutzte. Er war sich ziemlich sicher, dass er sogar dann noch erschrocken wäre, wenn er davon gewusst hätte. Immerhin sprang er nicht jeden Tag aus so einer Höhe runter. „Die Siedlung soll von dem Mist nichts erfahren und ich zweifle an deiner Schauspielkunst.“
„Die du offenbar gut beherrschst.“, antwortete Alex dann und versuchte sich von Tylers Kumpel zu befreien, doch der war noch unnachgiebiger als diese beschissenen Handschellen. Als er zu Tyler schaute und eine Antwort erwartete, zog er nur lächelnd die Schultern hoch.
„Gut genug, um dich und die anderen zu täuschen. Lass ihn los, Hermano.“ Der Lateinamerikaner hörte sofort und ließ Alex los, der sich seine ehemals verletzte Schulter rieb.
„Was soll der Scheiß hier…?“ Er schaute sich den älteren Mann an, der noch schlimmer bewaffnet war als Tyler. „Seid ihr so 'ne verkackte Widerstandsgruppe?“
„Pff oh Gott nein…“, antwortete Tyler amüsiert und wollte etwas sagen, wurde aber unterbrochen, als zwei weitere Männer rein kamen. „Sagen wir einfach, es sind paar Freunde von mir, die mit nach San Francisco wollen. Carlos“ Er deutete auf den Latino. „kommt von dort und würde gern ein paar persönliche Sachen holen.“ Dann schaute er zu den anderen beiden, die grade rein gekommen waren. „Und diese Vollidioten wollen wohl einfach nur helfen.“
„Du hast bei deinem Deal kein Wort von denen erwähnt.“
„Hätte das was an deiner Meinung geändert? Es ist so oder so eine Selbstmordaktion. Ob mit oder ohne dich.“ Tyler grinste breit. „Wo wir schon bei dem Thema sind… Bist du dabei oder nicht?“
„Vergiss es.“, antwortete Alex direkt, ohne lang überlegen zu müssen. „Auf dem Dach hab ich das nur gesagt, weil ich noch etwas länger leben wollte. Auch wenn's nur zwei Wochen mehr sind. Aber offenbar hattest du gar nicht vor, mich draufgehen zu lassen und du sagst ja selbst, dass es mit oder ohne mich auf das gleiche Ergebnis hinaus läuft.“ Tyler lachte kurz, schaute zu seinen drei Freunden und zog sein Schwert.
„Ich hätte dich sterben lassen, wenn du dich nicht um entschieden hättest. Die Matte, auf der du gelandet bist, ist verdammt klein und ehrlich gesagt war ich etwas verwundert, als ich gesehen hab, dass du sie nicht verfehlt hattest. Allerdings… wenn du nicht eingewilligt hättest, hätte ich dich weiter links oder rechts vom Dach gekickt und du hättest die Matte definitiv verfehlt. Aber da du noch lebst und noch immer die gleiche Meinung vertrittst wie zuvor, werd ich es wohl nachholen, dich unter die Erde zu bringen. Es gibt noch genug andere Möglichkeiten jemanden umzubringen, als denjenigen vom Dach zu schuppsen.“ Er grinste nur, als Alex einen Schritt zurück ging. „Was meine „Freunde“ angeht… Erinnerst du dich daran, was ich dir über das Schuhe-anpissen gesagt hatte?“ Alex nickte zaghaft. „Ich meinte damit ausnahmslos ALLE. Also auch die Jungs hier.“ Die drei schauten Tyler verwirrt an und offenbar hatten sie keine Ahnung, wovon er da sprach.
„Und…?“
„Ich hab dich bisher nicht auf deine eigenen Schuhe pissen sehen.“ Alex schwieg einen Augenblick. Tyler wollte ihn wohl dabei haben, weil er schießen konnte, im Gegensatz zu den anderen.
„Also gut…“, seufzte Alex dann. „Ich bin dir wohl was schuldig, nachdem du mich auf die winzige Matte hast fallen lassen und mein Kopf noch immer da ist, wo er hingehört.“
„Genau, Kumpel.“, antwortete Tyler dann grinsend und klatschte in die Hände. „Also gut, dann stell ich dich mal den anderen vor. Carlos dürfte dir inzwischen ein Begriff sein. Er ist meine rechte Hand, also erlaub dir keine Späßchen mit ihm, sonst erlaub ich mir Späßchen mit dir.“
„Und die willst du sicher nicht mitmachen, Hombre.“, ergänzte Carlos und Alex verzog das Gesicht. Irgendwie konnte er sich das bei diesem Spinner gut vorstellen.
„Das ist Dallas Wood.“, sagte Tyler dann und deutete auf einen schwarzhaarigen Mann, der Ende zwanzig sein musste. „Unser Sandsack.“
„Wieso Sandsack?“, fragte Alex verdutzt nach.
„Wir teilen aus, er steckt ohne einen Mucks zu machen ein.“
„Tolle Freunde hast du da, Dallas…“, meinte Alex dann, doch der Typ zog einfach die Schultern hoch. Also ein weiterer Spinner… Kann ja 'ne super Reise werden.
„Der „Schöne“ daneben ist Wodka. ‘N Russe.“, klärte Tyler dann auf.
„Wodka…?“
„Er hat so 'nen beschissenen Namen, den ich nicht aussprechen kann. Wodka ist das einzig russische Wort, das ich verstehe, also hat er den Namen verpasst gekriegt. He, spuck mal deinen richtigen Namen aus.“
„Pjotr Schirjajew.“, antwortete er dann und Alex verzog das Gesicht. Er merkte sich dann doch lieber den alkoholischen Namen…
„Gesundheit, Wodka…“, murrte Tyler dann. „Du hast vielleicht schon mitbekommen, dass ich Tyler heiße.“
„Der nette alte Sack hat mich dir vorgestellt.“, spottete Alex und fuhr sich durch die Haare. Der Schreck saß noch immer tief, aber langsam hatte er sich wieder beruhigt. „Ich bin Alexander Hunt. Aber Alex reicht völlig.“
„Hunt? Echt jetzt…?“, fragte Tyler nach und zog seine nichtvorhandenen Augenbrauen hoch.
„Problem damit?“
„Nein.“, sagte er dann ernst. „Klingt nur total bescheuert, wenn ich daran denke, dass ich dir ein Scharfschützengewehr abgenommen hab. Hermano, wo hast du seine Sachen hin gepackt?“
„Unter den Dielen in der kleinen Vorratskammer.“, antwortete der Latino und Tyler stand von der Kiste auf, auf der er saß, steckte sein Schwert zurück in die Scheide und ging pfeifend aus dem Raum. Alex schaute sich die anderen drei Gestalten an und wunderte sich, warum sie alle so viele Waffen bei sich trugen, wenn sie doch nicht schießen konnten. Aber vielleicht war das auch nur eine dezente Übertreibung von Tyler. Es dauerte nicht all zu lang, bis der Blonde mit Alex' Waffen zurück kam.
„Dein Essen hab ich im Rucksack gelassen bis auf das, was schnell verdorben wäre. Wäre sonst ziemlich unschön gewesen.“ Er drückte Alex seine Sachen in die Hand und er schaute Tyler skeptisch an.
„Wie lang war ich denn in diesem Loch?“
„Etwa zwei Wochen. Plus minus ein paar Tage.“ Alex wurde düsig, als er das hörte. Zwei Wochen lang konnte er auf seine Schwester nicht aufpassen und er machte sich noch mehr Sorgen um sie als zuvor, weil er angenommen hatte, dass er nur eine Woche dort gefangen war.
„Wann willst du aufbrechen?“
„Auf der Stelle.“ Er zögerte einen Moment. „Das heißt… sobald wir das Loch auf der Straße wieder ordentlich geflickt haben.“
„Wie lang dauert das?“
„Halbe bis dreiviertel Stunde.“, meinte Wodka dann und Alex schaute von ihm zu Tyler.
„Zeit genug, um meine Schwester zu holen.“ Alex ging zur Tür und wollte grade gehen, als Tyler ihn am Rucksack packte und zurück zog.
„Whow, whow, whow…“, bremste er ihn aus. „Das soll wohl ‘n Scherz sein. Dieses Gör bleibt schön hier in Portland. Keinen Bock drauf, dass sie uns in die Scheiße reißt, nur weil sie die Klappe nicht halten kann. Du: ok. Ruth: absolutes no-go!“
„Rachel.“, korrigierte Alex ihn.
„Tse… wie auch immer. Sie bleibt hier.“
„Dann bleib ich auch hier.“ Tyler starrte ihn grimmig an.
„Jlkfjkaljdülsd!“, machte der Blonde, kratzte sich die kurzrasierten Seiten seines Kopfes und ließ dann die Arme schlapp hängen. „Also schön… Ihr drei flickt die Straße, ich hol seine dämliche Schwester und pass auf, dass unser „Jäger“ wieder zurück kommt. Wenn wir wieder da sind, geht’s sofort los.“
„Tyler, warte kurz.“, hielt Dallas ihn auf, als die beiden Männer grade raus gehen wollten. Tyler blieb stehen, ohne ihn anzusehen. „Ich hab eben nachgedacht und… ich würde lieber hier bleiben.“
„Ist das deine endgültige Entscheidung?“, fragte der Blonde, nachdem er sich zu seinem Freund umgedreht hatte und etwas lag in seiner Stimme, das Alex nicht gefiel. Dallas nickte nur zögernd. Dann zog Tyler blitzschnell sein Schwert und schlug dem anderen in einer einzigen Bewegung den Kopf ab. Das Blut aus den Halsschlagadern spritzte kurz auf wie eine Fontäne und der leblose Körper sackte zu Boden. Alex, Wodka und Carlos wurden bleich, als sie Dallas dort kopflos liegen sahen.
„Wäh…“, machte Tyler und wischte das Blut von seinem Schwert an Wodkas Jacke ab. Dieser sprang angeekelt und erschrocken zurück, zog die Jacke aus und warf sie über Dallas, der den ganzen Boden vollblutete. Schweigend steckte Tyler sein Schwert zurück und verließ den Raum.
„Carajo…“, murmelte Carlos und nun war Alex überzeugter denn je, dass er sich nicht mit Tyler anlegen sollte. Er konnte kaum fassen, dass er grade seinen Freund geköpft hatte, und das ohne mit der Wimper zu zucken. Plötzlich war er heilfroh, dass dieser Verrückte nicht so schnell reagiert hatte, als er die Reise nach San Francisco verweigert hatte.
„Alex, bei Fuß!“, rief Tyler dann vom Flur aus und Alex zuckte kurz zusammen. Dieser Typ war furchteinflößend und er war sich nicht sicher, ob er Rachel in seine Nähe lassen wollte. Dennoch lief er ihm hinterher. Tyler stand auf dem Flur in der Nähe der Ausgangstür und starrte Alex an. Sein Blick war erschreckend neutral, weder hasserfüllt, noch traurig, noch sonst irgendwas. So ein kranker Vollidiot…, dachte Alex, als Tyler sich umdrehte und die Tür öffnete. „Bleib dicht an der Mauer. Ich weiß nicht, wie viele noch auf dem Dach sind oder ob jemand aus 'nem Fenster hängt. Bin nicht scharf drauf, dass ich den anderen erklären muss, warum du noch quicklebendig umher wandelst.“ Alex schwieg und ging zwischen der Mauer und Tyler entlang, bis der Blonde in einen Zugang für die Kanäle kletterte. „Mach den Deckel zu, wenn du drin bist.“ Alex kletterte nach Tyler die Leiter herunter, schloss den Gullydeckel und drückte reflexartig den Schalter an seiner Lampe. Allerdings tat sich nichts, da die Solarzellen wahrscheinlich aufgebraucht waren.
„Fuck…“, murmelte er, als das Licht aus blieb. „Du hättest wenigsten für Saft auf meiner Lampe sorgen können.“
„Kenn mich mit Solarenergie nicht aus, Strubbelbirne.“, wehrte Tyler ab. Er ging an dem Rand des Abwasserkanals entlang, bis er auf einmal verschwand. Es war so dunkel hier unten, dass Alex nicht gesehen hatte, wohin der Spinner verschwunden war. „Hier, Strubbelbirne.“, sagte er dann plötzlich zu seiner Linken und Alex drehte sich erschrocken zu ihm um. Tyler klopfte auf irgendwas und plötzlich wurde Alex von Licht angestrahlt. Dann warf er ihm eine Taschenlampe zu. „Wir haben die hier gebunkert, falls Mutierte das Stadion angreifen. Die Kanalisation wird bei uns nur als Fluchtweg in absoluten Notfällen benutzt und weil wir im Dunkeln nichts sehen würden, haben wir voraus gedacht und Taschenlampen sowie Batterien hier gebunkert.“ Tyler ging grinsend an ihm vorbei und folgte weiter dem künstlichen Fluss in der Mitte der Tunnel.
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