Inzwischen kam Carlos mit einer Ladestation wieder und drückte sie Wodka in die Hand.
„Dann wollen wir mal…“, murmelte der Russe und stöpselte alles richtig an.
„War der mal Automechaniker früher?“, fragte Alex, als er sich neben die offene Fahrertür stellte. Tyler nickte nur schweigend. „Echt? Wie alt ist er denn?“
„Mitte oder Ende dreißig, glaub ich.“, antwortete Tyler und lehnte sich auf den Lenker. „Sein Vater hat ihm das von klein auf beigebracht und er hatte erst ein paar Jahre in 'ner Werkstatt gearbeitet, als das Virus ausbrach. Er hat auch den Jeep wieder startklar gemacht.“
„Aha.“, antwortete Alex. „Was ist mit dir? Hast du vor dem Ausbruch schon fahren gelernt?“
„Pff ich war zehn damals… Würdest du deinen zehnjährigen Sohn ans Steuer lassen? Bin mir nicht mal sicher, ob man mit dem Alter überhaupt an die Pedalen kommt…“ Alex schaute den Blonden verdutzt an, der aber nur über die Motorhaube hinweg in die Landschaft starrte. Der ist also nur zwei Jahre älter als ich…? Hätte ich nicht gedacht., ging ihm dann durch den Kopf. „Ich hab's Fahren damals selbst gelernt, weil ein Fahrzeug aus meiner Sichtweise schutzbietender ist als wenn man zu Fuß unterwegs ist.“
„Mhm.“, machte Alex und Tyler schaute zu ihm runter.
„Und du? Fahren gelernt?“, wollte er dann wissen und Alex nickte nur. Grant hatte ihm damals beigebracht, wie man PKWs knackte und wie man sie fuhr. Allerdings ist das schon ewig her und er hatte selten die Gelegenheit zu fahren. Bei so einem militärischen Truck würde er wohl schnell an seine Fähigkeitsgrenzen stoßen, wenn Tyler von ihm verlangte zu übernehmen.
„Kannst du so 'nen Truck überhaupt fahren?“, fragte er dann nach, als er grade daran dachte. Tyler grinste nur breit und nickte.
„Ich kann alles fahren, was Räder und 'nen Motor hat.“, antwortete er schließlich und schaute zu Wodka durch die Windschutzscheibe, als dieser die Haube etwas runter drückte.
„Wird 'ne Weile dauern.“, sagte der Russe dann und Tyler lehnte sich seufzend zurück.
„Hättest du nicht auf die Idee kommen können, bevor wir die Lagerhalle geplündert hatten, Strubbelbirne…?“, murrte er dann und verschränkte die Hände auf dem Hinterkopf.
„Du hättest genauso gut auf die Idee kommen können. Immerhin bist du auch nicht grad hirnlos.“ Tyler lachte kurz schnaubend, schwieg aber. Alex schaute sich in der Gegend um und sein Blick blieb bei der zweiten Lagerhalle hängen, die etwas kleiner war als die, aus der er und Tyler die Munition hatten. „Wodka, wie lang braucht die Batterie ungefähr?“, fragte er dann den Russen, doch er zog zunächst die Schultern hoch.
„Halbe Stunde etwa. Sollte reichen für den Anfang.“
„Ok, ich geh mich mal in der anderen Lagerhalle umsehen.“ Er winkte Rachel mit sich und ging zu dem tonnenförmigen Bau. Die Geschwister waren erst ein paar Meter gegangen, als Tyler aus dem Truck sprang und zu ihnen lief.
„Passt auf die Fahrzeuge auf und schießt, falls sich irgendwas nähert!“, rief er den anderen beiden zu, schob die Hände in die Hosentasche und ging schweigend neben Alex her.
„Ich dachte die können nicht schießen.“, meinte der Dunkelhaarige dann und Tyler verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen.
„Natürlich können die das. Aber sie treffen einfach nicht. Bin aber nicht scharf darauf, denen 'ne Schrotflinte in die Hand zu drücken, weil der Schaden zu groß wäre, wenn sie einen von uns treffen würden.“, antwortete er dann und schaute zu Rachel. „Wie lang hantierst du schon mit dem Ding rum?“ Sie überlegte einen Moment und schaute dann zu Alex.
„Glaub seit das mit deiner Schulter passiert ist, oder?“, fragte sie und ihr Bruder nickte nur. „Also seit vier Jahren.“ Tyler zog eine Braue hoch, fragte aber nicht nach, was mit Alex' Schulter war. Hätte Alex aber auch gewundert, wenn er sich auf einmal für Verletzungen von beinah Fremden interessierte. Als sie an der Lagerhalle ankamen, öffnete Tyler das Tor genauso wie bei der anderen. War zwar laut, ging aber schnell. Und wenn keine Mutierten bei der Granate aufgetaucht waren, würden sie bei einem Pistolenschuss sicherlich nicht grad hellhörig werden.
„Sesam öffne dich.“, sagte Tyler und schuppste die Türflügel auf. Den dreien kam sofort ein unglaublich unangenehmer Geruch entgegen und sie mussten sich die Hände vor die Nase halten. „Woah verdammt…“, murrte Tyler naserümpfend, nahm die Taschenlampe und knipste sie an. Als er auf den Boden leuchtete, wussten die drei, woher der Gestank kam: Überall lagen Überreste von Mutierten, Soldaten und Nahrungsmitteln herum. Die ehemals menschlichen Reste waren zwar schon lange verwest, dennoch wirkten sie frischer als die, die draußen herum lagen. Machte wohl der verschlossene Raum.
„Mir wird schlecht…“, röchelte Rachel, wich zurück und lief dann raus, um sich im Gras zu übergeben. Die beiden Männer schauten ihr kurz hinterher und Alex hatte das Gefühl, als müsste er ihr gleich folgen. Der Geruch war so bestialisch, dass es ihm beinah die Nasenschleimhäute weg ätzte. Tyler zog sich den Pulli über die Nase, damit er wenigstens eine freie Hand hatte und begann eines der Regale abzusuchen, in denen Konserven standen.
„Ob die noch gut sind…?“, fragte Alex nach und zog sich ebenfalls den Pulli über die Nase. Tyler schwieg und nahm sich eine Dose.
„Hm… Seit zehn Jahren abgelaufen.“, antwortete er nach einem Blick auf das Verfallsdatum. Dann legte er die Taschenlampe weg, zog sein Schwert und rammte die Spitze in den Deckel. Er hebelte die Dose auf, wischte die Essensreste von der Klinge und schob es zurück in die Scheide, dann leuchtete er dort rein und roch dran. „Riecht aber ganz gut und sieht nicht gammlig aus. Willst mal probieren?“ Grinsend hielt er Alex die offene Dose hin, der jedoch verweigerte.
„Bin nicht scharf auf 'ne Lebensmittelvergiftung.“ Tyler zog die Schultern hoch und schüttete sich etwas von der Nahrung in den Mund. Alex verzog das Gesicht und er spürte, wie ihm sein Mageninhalt wieder hoch kam. „Oh Gott, du bist echt abartig…“, murrte er und musste sich die Hand gegen Pullover und Mund drücken.
„Schmeckt besser als die Köder.“, antwortete Tyler dann grinsend und das reichte Alex, um seinen Mageninhalt nicht mehr bei sich behalten zu können. Er schaffte es grade so noch den Pulli runter zu ziehen und sich weg zu drehen, bevor er sich auf den Fußboden erbrach. Der Blonde lachte schadenfroh, warf die offene Dose lässig über seine Schulter und schaute sich die anderen Konserven an. „Nehmen wir welche davon mit?“ Alex richtete sich auf, spuckte aus und wischte sich den Mund mit einem Taschentuch sauber.
„Wenn du das da essen willst, bitte. Ich rühr davon nichts an.“
„Warum nicht? Denkst du, in San Francisco gibt es Essen, das frisch aus der Fabrik kommt? Das wird genauso alt sein wie dieses Zeug hier.“, konterte Tyler dann und Alex hatte das Gefühl schon wieder erbrechen zu müssen.
„Nee, aber…“ Er deutete auf die Leichen, die überall rum lagen. „die Konserven haben sicher deren Abgase durch das Metall hindurch aufgesaugt.“
„Quatsch.“, konterte Tyler. „Metall hält dicht. Da kommt sowas niemals durch.“
„Bist du sicher…?“
„Ziemlich.“, antwortete der Blonde dann und Alex haderte noch eine Weile mit sich selbst.
„Ich weiß nicht…“, sagte er dann und als er daran dachte, dass die Verwesungsgase doch durch das Metall gedrungen sein könnten, musste er sich wieder übergeben.
„Du bist echt 'n Lappen, Strubbelbirne.“, sagte Tyler lachend und sammelte ein paar Dosen ein, deren Verfallsdaten noch nicht ganz so weit zurück lagen. Er stupste Alex mit dem Ellenbogen an, der noch immer vornübergebeugt da stand und den Rest seines Mageninhalts aus Nase und Mund tropfen ließ. „Hier, mach dich nützlich und trag paar mit.“ Als Alex sich erhob, sich die Nase putzte und den Rest vom Mund wischte, nahm er Tyler ein paar Dosen ab. Das Taschentuch, das er nun nicht mehr benutzen wollte, ließ er einfach auf den Boden fallen.
„Dann tu mir wenigstens 'nen Gefallen und misch die unter andere Konserven, sodass ich nicht mehr unterscheiden kann, welche von hier sind und welche nicht…“
„Geht klar.“ Grinsend ging Tyler raus und Alex folgte ihm schweigend. Rachel stand draußen und sie sah so aus, wie Alex sich fühlte. Dennoch lächelte er sie an und sie erwiderte es etwas gezwungen. Tyler drückte seine Konserven Rachel in die Arme, die kaum über den Stapel gucken konnte und daraufhin gingen die Geschwister zum Truck, um die Konserven in eine der leeren Kisten zu verstauen. Zusammen hievten sie die Kiste dann auf die Ladefläche. Tyler verbarrikadierte derweil die Torflügel und als er zu den anderen kam, schaute Alex ihn verwirrt an.
„Was sollte das…? Ist doch egal, ob die Tür offen oder zu ist.“, meinte er und kramte in seinem Rucksack nach Magentropfen herum. Noch bevor Tyler antworten konnte, fand er das Fläschchen und gab es seiner Schwester.
„Falls in San Francisco und in dieser anderen Stadt nichts ist, das wir mitnehmen können, bleiben hier wenigstens paar Reste, die wir noch mitnehmen können.“
„Und du meinst, in der relativ kurzen Zeitspanne kommen Menschen hier her und nehmen sich die restlichen Konserven mit?“ Tyler zog erst nur die Schultern hoch und Alex nahm das Fläschchen von seiner Schwester entgegen, um ebenfalls ein paar Tropfen daraus zu sich zu nehmen.
„Man weiß nie. Ich bin lieber doppelt vorsichtig als einmal leichtsinnig.“
„Leichtsinnig ist doch dein zweiter Vorname…“, murrte Alex und packte das Fläschchen wieder weg. Da er nun um sein Mittag erleichtert wurde, kramte er in seinem Rucksack nach etwas Essbaren herum, das ihm nicht sofort wieder hoch kommen würde. Rachel hatte auch schon etwas aus ihrem eigenen Rucksack geholt und aß es, als Tyler sich grinsend abwandte und zu Carlos und Wodka ging.
„Wie sieht's aus?“, erkundigte sich der Blonde.
„Kannst es mal versuchen.“, antwortete Wodka und Tyler stieg sofort in den Truck, um das Monstrum zu starten. Es dauerte ewig, bis der Wagen endlich ansprang und alle waren ziemlich erleichtert sich nicht mehr in den relativ kleinen Jeep quetschen zu müssen.
„Seht mal, was ich vorhin gefunden hab.“, meldete sich Carlos plötzlich und hielt den anderen eine Kiste mit Funkgeräten vor die Nase.
„Hermano, das kommt wie gerufen. Ich wollte grade vorschlagen, dass zwei von uns im Jeep fahren sollten, falls was mit dem Truck nicht hinhaut. Damit können wir dann in Verbindung bleiben.“, sagte Tyler grinsend und griff sich eins raus. Auch Wodka, Alex und Rachel nahmen sich jeweils eins heraus. „Pack die anderen auf die Ladefläche, falls eins verloren oder kaputt geht.“
„Mach ich.“, antwortete Carlos und schob die Kiste nach hinten zu den Granaten und Konserven.
„Tyler, wenn wir den Truck mitnehmen, können wir doch auch die restliche Munition mitnehmen. Platz ist genug und wenn es in San Francisco so schlimm ist, wie ich mir vorstelle, würde ich die Kisten ungern hier lassen.“ Tyler nickte kurz und die Gefährten holten sämtliche Kisten raus, für die sie auch die entsprechenden Waffen besaßen. Alles andere, wie Maschinengewehre und ähnliches, ließen sie dort.
„Also, wer will mit dem Jeep fahren?“, fragte Tyler dann, als er auf den Fahrersitz des Trucks kletterte.
„Rachel und ich.“, meldete sich dann Alex und der Blonde warf ihm den Schlüssel zu.
„Dann fahrt ihr voraus. Rachel, willst du die Karte mitnehmen?“, fragte er dann und kramte in seinem Rucksack herum, ohne eine Antwort abzuwarten.
„Eh…“, machte sie nur und war verdutzt, dass er ihren Namen endlich mal benutzte. Tyler hielt ihr das Stück Papier vor die Nase und sie nahm es ihm ab. Dann zog er die Fahrertür zu, Carlos und Wodka kletterten ebenfalls in den Truck und Rachel lief zu ihrem Bruder, der den Jeep bereits startete.
„Alex, habt ihr die richtige Frequenz in den Funkgeräten drin?!“, brüllte Tyler den Geschwistern zu, die beide bestätigten. Dann fuhr Alex los, um die Barrikade herum und Tyler folgte ihm. Es fühlte sich komisch an, wieder hinter dem Steuer zu sitzen und er brauchte einige Sekunden, um wieder drin zu sein, doch danach war es angenehm selbst zu fahren. Vor allem, weil er dann selbst bestimmen konnte, ob er durch eine Horde Freaks fahren wollte oder nicht…
„Wirst langsam warm mit Tyler, hm?“, fragte Rachel nach einer ganzen Weile und Alex schaute sie kurz verdutzt an. Es stimmte schon, dass er ihm nicht mehr alle fünf Minuten den Kopf abreißen wollte, im Gegensatz zum Morgen, als Tyler ihn noch vom Dach gestoßen hatte.
„Geht.“, antwortete er dann und seine Schwester grinste breit.
„Ich mag Tyler. Carlos ist auch in Ordnung, aber mit Pjotr komm ich nicht so zurecht.“
„Macht vielleicht der Altersunterschied. Immerhin ist er der Älteste, wenn ich das richtig mitbekommen hab.“ Alex schwieg einen Augenblick und dann fiel ihm auf, dass sie Wodka mit seinem richtigen Vornamen angesprochen hatte. „Du kannst Wodkas Namen aussprechen…?“, fragte er verdutzt nach und sie lachte.
„Denk schon. Nachdem er sich bei mir vorgestellt hatte, hab ich seinen Namen im Kopf ständig wiederholt. Mal langsam, mal bisschen schneller, mal auseinander genommen und irgendwann hatte ich den Dreh raus. Ob ich ihn wirklich richtig ausspreche, weiß ich aber nicht. Müsste ich ihn wohl mal fragen.“ Alex nickte verwirrt. Vielleicht hätte er das auch mal machen sollen, damit er ihn nicht ständig mit dem Getränk anreden brauchte. Andererseits hatte er bisher nicht all zu viel mit ihm zu tun gehabt. Die Geschwister schwiegen eine Weile und sie redeten nur, wenn sie an eine Kreuzung oder Abzweigung kamen. „Sag mal… Denkst du, dass die drei gefährlich für uns sein könnten…?“, fragte Rachel dann nach einiger Zeit.
„Weiß nicht.“, gab Alex dann zu. Er hatte sich auch schon darüber den Kopf zerbrochen. Tyler erschien ihm immer noch unberechenbar und mit Carlos und Wodka hatte er noch nicht so viel zu tun, als dass er das einschätzen könnte. „Momentan würde ich mich nur vor Tyler in Acht nehmen.“, antwortete er dann schließlich und Rachel legte den Kopf leicht schief.
„Warum? Er ist doch nett.“ Alex zog die Augenbrauen hoch.
„Nett? Er kann sich selten an deinen Namen erinnern und hat nicht nur eine Schraube locker. Wir wären eigentlich eine Person mehr gewesen, aber als der andere aussteigen wollte, hat Tyler den geköpft ohne mit der Wimper zu zucken. Ein „netter“ Mensch hätte ihm nicht mal 'ne Standpauke gehalten, sondern es einfach hingenommen. Ein „netter“ Mensch hätte mich auch nicht vom Dach gekickt und uns schon gar nicht erst gefangen genommen. Geschweige denn mir beinah die Nase zu brechen… Keine Ahnung, was du an dem Spinner „nett“ findest.“
„Naja… er ist ziemlich lustig und er geht viel auf Ratschläge ein. Zum Beispiel mit dem Truck oder der Munition oder dass wir überhaupt erst zu dieser Barrikade gefahren sind.“
„Ja, schon…“, murrte Alex dann, wollte das Thema aber nicht weiter breit latschen. Sicherlich wären sie noch bis übermorgen zusammen unterwegs und da hatte er noch etwas Zeit, um zu entscheiden, ob Tyler wirklich ein totaler Freak oder ein netter Mensch war.
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