Die Sonne ging grade über der Bucht auf, als Alex sich gähnend streckte. Er schob seine Beretta zurück ins Holster, als er sie grade rechtzeitig nach dem Saubermachen zusammen gesetzt hatte, stand auf und schaute sich vom Dach des Trucks aus um. Das Licht der Sonne erhellte kaum etwas, doch es reichte, um zu sehen, wie groß die Bucht wirklich war und dass die eigentliche Stadt noch Meilen entfernt war. Sie lag weiter weg, als er in der Nacht vorm Schlafengehen erwartet hatte und er war froh, dass er weite Strecken zu Fuß gehen konnte. Wenn die Zivilisation nicht zusammen gebrochen wäre, wäre er sicher nicht fit genug gewesen, weil er den ganzen Tag nur vor der Playstation gehockt hätte. Aber zum Glück machte ihm ein langer Fußmarsch nichts aus. Er schaute nach Süden zur Golden Gate Brücke und sah, dass bereits Nebel heran kroch. Er hatte schon einiges über den Nebel gehört und wenn es schlimmer werden würde, könnte der Aufenthalt hier ziemlich unangenehm werden. Die Mutierten hatten feinere Sinne als Menschen und im dichten Nebel wären Menschen ganz klar im Nachteil. Daumen drücken…, dachte er, schulterte sein Gewehr und kletterte auf die Ladefläche des Trucks.
„Hey, Wodka, Carlos, Zeit zum Aufstehen.“, weckte er die beiden und stupste sie mit seiner Schuhspitze an, bis die beiden Männer sich rührten. Dann sprang Alex auf den mit Gras bewachsenen Asphalt, ging zur Fahrertür und öffnete diese.
„Bin schon wach…“, murmelte Tyler leise, als Alex grade Luft geholt hatte, rührte sich aber nicht.
„Wirklich…?“, fragte er nach, weil er schon öfter miterlebt hatte, wie jemand im Tiefschlaf der Meinung war, wach zu sein.
„Ja, wirklich.“, antwortete Tyler dann und setzte sich hin.
„Du siehst beschissen aus.“, stellte Alex fest, nachdem er ihn prüfend angesehen hatte und das meinte er nicht nur, weil die Frisur des Blonden zerzaust war. Er war blass, der Schatten unter den Augen war kaum zu übersehen und er wirkte etwas ausgemergelt. Als hätte er eine Woche lang nicht geschlafen. Tyler schaute ihn mit verengten Augen an, sagte aber nichts. Stattdessen machte er sich den Zopf neu, sprang aus dem Truck, nachdem Alex zur Seite ging und zu beider Überraschung strauchelte Tyler etwas. „Alles in Ordnung?“, fragte Alex und runzelte die Stirn.
„Passt schon.“, bekam er dann als Antwort. Alex zog schweigend die Brauen hoch, schwieg aber lieber, bevor Tyler ungemütlich werden würde. Stattdessen ging er zum Jeep rüber und weckte seine Schwester. Als alle mehr oder weniger wach waren, gingen sie zu Tyler, der am südlichen Punkt des Rastplatzes am Geländer stand und auf die Bucht hinaus starrte. „Der Nebel wird dichter.“, meinte er dann, als die anderen sich ebenfalls umschauten.
„Wir stellen die Wagen später hinter die Busse dort hinten, falls jemand von dieser Straße in die Stadt will. Außerdem können wir die Busse als Barriere nutzen.“, schlug Wodka vor und Alex schaute sich auf dem Platz um. Es standen wirklich einige Busse herum, die aber übel ausgeschlachtet wurden. In dem Nebel würden die als Versteck reichen, doch bei hellem Licht würde man von der Straße aus sofort sehen, dass dahinter ein Truck des Militärs stand. „Wenn wir bisschen Glück haben, kommt niemand vorbei.“
„Wenn wir Glück haben…“, wiederholte Rachel. Alex dachte an die Fahrt hierher und von Glück konnte wirklich keine Rede sein. Dennoch waren sie nicht zahlreich genug, um sich im Ernstfall irgendwo verstecken zu können. Die Gegend hier wirkte unglaublich trostlos und da würde sicher niemand auf die Idee kommen in die Berge zu kraxeln, um dort etwas zu suchen. Außer der Sucher roch Menschenfleisch.
„Alex, hast du dich schon entschieden, ob ich mitkommen soll?“, wollte Tyler dann wissen und Alex schaute ihn nochmal prüfend an. Er sah jetzt, wo er ein wenig wacher schien, etwas besser aus, aber das Straucheln trug dazu bei, dass Alex von der Entscheidung, die er während der Wache getroffen hatte, nur noch überzeugter war.
„Jopp, du bleibst hier.“
„W-was…?“, fragte Rachel plötzlich und schaute ihren Bruder erschrocken an. „Du willst da allein rein gehen? Dann komm ich lieber-“
„Nein, du bleibst auch hier, Rachel.“, unterbrach Alex sie. „Tyler, behältst du sie im Auge, während ich weg bin?“
„Klar.“, antwortete er desinteressiert und Alex drehte ihn an der Schulter zu sich um.
„Ich muss mich auf dich verlassen können.“
„Ja, Mann, ich pass auf sie auf wie ein Köter auf seinen bescheuerten Knochen. Solang du da drin nicht krepierst… Keine Lust deine Vaterrolle für den Rest meines Lebens übernehmen zu müssen.“
„Vaterrolle?“, plusterte Rachel empört, doch Alex ließ mehr oder weniger zufrieden seine Schulter los.
„Gut.“, sagte er dann und wandte sich ab. Er wollte schnell irgendwas essen und sich dann auf den Weg machen, bevor der Nebel noch schlimmer wurde. Auch die anderen vier suchten sich Frühstück und als Alex seinen Rucksack aufsetzte, begann Carlos damit den Truck hinter den Bussen zu parken. Er steckte sich schließlich sein Funkgerät an den Gürtel, nahm sein Gewehr und schaute zu Rachel, die ihn besorgt anstarrte. „Ich war schon öfter allein unterwegs. Du brauchst dir keine Sorgen machen.“
„Portland ist aber nicht San Francisco… Was, wenn es wirklich so schlimm ist, wie die anderen gesagt haben…?“
„Und was, wenn nicht?“, konterte er und schaute Richtung Stadt, die schon beinah vom Nebel verschluckt wurde. „Ich hab 'nen Schalldämpfer mit. Sollte reichen, um die Weibchen auszuschalten. Und an den Männchen kann ich locker vorbei schleichen.“
„Wehe, dir passiert was…“, murrte sie und boxte ihm gegen den Bauch, worauf er lachte und ihr gegen den Arm knuffte.
„Ich pass auf mich auf. Und du… behalt die Hampelaffen im Auge. Vor allem Tyler.“
„Der sieht heut nicht so fit aus, oder?“, meinte sie dann und drehte sich zu dem Blonden um, der auf dem Dach des Trucks saß und sein Schwert putzte.
„Nicht wirklich… Aber das hab ich nicht gemeint. Pass einfach auf, dass dir keiner blöd kommt. Und wenn, gib mir über Funk Bescheid.“ Nachdem Rachel die Augen verdrehte und nickte, umarmte er seine kleine Schwester und rief die anderen Männer. „Ich hau ab!“, rief er zu ihnen rüber und Carlos und Wodka hoben die Hände zum Gruß. Tyler hingegen steckte sein Schwert weg und sprang vom Dach.
„Warte mal, Alex!“, rief er zu ihm rüber, als dieser grade gehen wollte. Er blieb stehen und schaute Tyler zu, der was aus der Fahrerkabine des Trucks holte, dann kam er zu den Geschwistern gelaufen. Er drückte Alex einen Beutel in die Hand.
„Was ist das?“, wollte er wissen und schaute rein.
„Warnwesten und diese Aludecken, die in den Verbandskästen von Fahrzeugen drin sind. Also, ich hab mir heut Nacht folgendes überlegt: Warnwesten stehen für gefährliches Gebiet, Decken für sicheres Gebiet. Bring die an 'nem Punkt an, den man von hier aus mit 'nem Fernglas sieht, ok?“
„Geht klar. Zumindest wenn ich es schaffe in 'nem gefährlichen Gebiet auf 'nen hohen Punkt zu kommen, ohne eingekesselt zu werden.“
„Schaffst du schon.“, antwortete Tyler grinsend und schlug ihm auf die Schulter. „Meld dich ab und zu mal über Funk, damit wir wissen, dass du noch lebst.“
„Mach ich.“
„Viel Spaß, Strubbelbirne.“ Tyler wandte sich ab und ging davon, während Alex sich noch mal von seiner Schwester verabschiedete und sich dann auf den Weg machte. Er kletterte über den Zaun und ging auf die Brücke zu, deren Drahtseile bedrohlich im seichten Wind knarzten. Na super… Wehe die kracht mir jetzt ein…, dachte er und sein Herz begann schneller zu schlagen. Durch den Nebel konnte er die andere Seite nicht sehen, doch als er sich im Kopf die Karte vorstellte, wusste er, dass er nicht mit nur drei Schritten auf der anderen Seite sein würde. Als er die Brücke betrat, wurde er etwas langsamer. Er hatte absolut keine Ahnung, wie lange eine Hängebrücke dieser Größe ohne Wartung halten würde. Es standen zwar noch vereinzelt Autos herum, aber nun kamen etwa achtzig Kilo mehr auf die Brücke und er wusste nicht, ob er der Tropfen sein würde, der das Fass zum Überlaufen bringen könnte. Er schaute zu den Drahtseilen, die die Fahrbahn hielten. Abgesehen davon, dass sie schon ziemlich rostig und mit Flechten und Moosen bewachsen waren, schienen sie zumindest noch ganz zu sein. Dennoch atmete er nervös ein paar Mal ein und aus. Die Brücke war ewig lang für Fußgänger und wenn die Seile nachgeben würden, wenn er mitten drauf war, dann würde er zu weit vom Festland entfernt in den Ozean stürzen. Er nahm sein Funkgerät vom Gürtel.
„Kennt sich von euch jemand mit Brückenkonstruktionen aus?“, fragte er und ging weiter an den Rand. Wenn die Fahrbahn wirklich abstürzen sollte, konnte er sich vielleicht an den Seilen festhalten. Rachel und Tyler antworteten sofort mit einem „nein“ und Wodka und Carlos schwiegen zunächst.
„Warum fragst du?“, wollte Tyler dann wissen.
„Die Brücke sieht nicht mehr all zu frisch aus. Ich bin nicht sicher, ob sie 'nen Truck und 'nen Jeep gleichzeitig aushalten wird.“ Die Stahlseile zu seiner Linken knirschten wieder bedrohlich, als eine leichte Brise über die Brücke fegte.
„Bin nicht sicher, aber so 'ne Brücke sollte mindestens 50 Jahre ohne Wartung halten. Zumindest, solang nicht 'ne Armee drüber marschiert.“, antwortete Carlos dann. „Allerdings… Salzhaltige Luft und der Nebel könnten den Zerfall beschleunigen, also tipp ich mal auf 30 Jahre.“
„Sehr aufmunternd.“, meinte Alex dann zu sich selbst. Er seufzte und beschleunigte seinen Schritt etwas, damit er schneller auf der anderen Seite war. Nach etwa zehn Minuten erreichte er den ersten Pylon. Vorsichtig schaute er über das Geländer und konnte grade so noch erkennen, dass hier das Festland endete. Von nun an hatte er eine ganze Weile nur Wasser unter sich. „Rachel, gibt es einen Weg in die Stadt, ohne über irgendeine Brücke fahren zu müssen?“
„Warte kurz…“, antwortete seine Schwester und ein paar Minuten war Ruhe, während Alex weiter ging. Der Nebel war inzwischen so dicht, dass er den anderen Pylonen gar nicht sehen konnte. „Ja den gibt's. Aber ist 'n ziemlich krasser Umweg. Wir müssten einmal komplett um die ganze Bucht rum und von Süden in die Stadt rein, aber wären wir dafür etwa…“ Sie schwieg kurz. „fünf oder sechs Stunden unterwegs.“
„Gibt's keinen kürzeren Weg?“
„Nur, wenn wir über andere Brücken fahren würden. Die gibt’s hier wie Sand am Meer… Aber scheinen alle länger zu sein als die Golden Gate.“
„Wir haben keine Zeit für 'nen Umweg, Alex.“, meldete sich Tyler und Alex seufzte. Irgendwie hatte er vermutet, dass der Blonde so antworten würde. „Wenn der Nebel verschwindet, schauen wir uns das Ding mal an. Wir sagen dir dann Bescheid und wenn wir nicht über die Brücke fahren, fahren wir rechtzeitig von ihr los.“
„Ok.“, antwortete Alex dann nur. Er verstand nicht recht, wo das Problem lag außen herum zu fahren. Sicher, es war ein enormer Umweg, aber Alex war eh noch in der Stadt für mehrere Stunden beschäftigt und bezweifelte, dass er in den nächsten zwei Stunden schon wieder an diesem Rastpunkt war, wo die anderen warteten. In der Zeit, wie Alex die Westen und Decken an die Häuser hängen sollte, würden die anderen den Umweg locker schaffen. Wer weiß, was der Freak da hinten in den nächsten Stunden treibt…, dachte er dann und klemmte das Funkgerät zurück an seinen Gürtel. Er atmete einmal tief durch, schaute auf das Navi und ging dann los.
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